Zweyter Auftritt

[59] Climene, Damon, Lisette.


CLIMENE. Sie sind hier, Damon! haben Sie sich wieder erholet? Ihr plötzlicher Zufall hat uns alle erschreckt.

DAMON. Es ist zu viel Gnade für mich, daß Sie noch einigen Theil an mir nehmen.


Zu Lisetten.


O wie hart wird mir die Verstellung!

CLIMENE. Wollen Sie wieder zur Gesellschaft kommen?


Zu Lisetten.


Wie traurig sieht er nicht aus! Ich kann mich fast nicht länger verstellen.

DAMON. Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie verlasse. Die Einsamkeit allein kann vielleicht meine Schmerzen lindern, wenn sie zu lindern sind. Ich werde bald wieder kommen, um Abschied zu nehmen –

CLIMENE. Um Abschied zu nehmen! Wohin wollen Sie dann?

DAMON. Ach – ich weiß es fast selbst nicht: aber ich glaube, daß die Veränderung der Luft bey meinen Umständen nöthig ist.

CLIMENE. Ja, Sie haben Recht – Verreisen Sie; ich rathe es Ihnen selbst – Aber wollen Sie denn schon so bald von hier?

DAMON. Ja, so bald es möglich ist.

CLIMENE. Der Himmel segne Ihre Reise – Seyn Sie so glücklich, als Sie es zu seyn verdienen![59]

DAMON. Glücklich! Kann ich es in dieser Welt mehr seyn?

CLIMENE zu Lisetten. Er rühret mich so sehr, daß ich kaum meine Thränen zurückhalten kann.

DAMON. Nein, ich habe die Hoffnung, glücklich zu seyn, schon längst verloren. Der Himmel gebe Ihnen alles das Glück, das Ihre Tugend werth ist. Er gebe Ihnen alle die Jahre, und alle die Vergnügungen, auf die sich meine Jugend hätte Hoffnung machen können. Leben Sie mit Ihrem Gemahle, mit Timanten, glücklich! Keine Plage und kein Schmerz zertrenne dieses Band – Ich sehe Sie zum letztenmale; zum letztenmale küsse ich diese Hand. Climene, leben Sie wohl, auf ewig wohl!


Er küsset ihr die Hand.


CLIMENE. Damon!

DAMON. Anbethenswürdige Climene!

CLIMENE. Sie weinen – Meine Hand ist von Ihren Thränen benetzt.

DAMON. Ich weine! – Ja, es ist wahr. Climene, Sie sind gerühret – Warum wenden Sie Ihre Blicke von mir ab? – Was sehe ich? Sie weinen – O Schmerz! O Zärtlichkeit!

CLIMENE. Was soll ich Ihnen sagen? – Verlassen Sie mich, Damon! – Fliehen Sie – Leben Sie wohl! – Vergessen Sie mich!

DAMON. Ich verlasse Sie ja schon! – Befehlen Sie mir nur nicht, mich jetzo so schleunig zu entfernen. Vergessen soll ich Sie?

CLIMENE. Ja – Doch nein! Vergessen Sie mich nicht – Ich bin nicht glücklicher, als Sie – Ach! ich habe schon zu viel gesagt – Leben Sie wohl, leben Sie wohl, Damon!


Sie will abgehen.


DAMON. Bleiben Sie, anbethenswürdige Climene, bleiben Sie noch einige Augenblicke hier! – Das sind die letzten Augenblicke, in denen mir mein Leben noch nicht zur Last ist. Wenn diese vorbey sind, dann kömmt Unglück, Schwermuth, Raserey! dann mögen alle mögliche Plagen auf mich zusammen kommen! dann kann mein Unglück nicht empfindlicher werden. Ich kann meine[60] Empfindungen nicht verbergen. Die Liebe sieget über meinen Vorsatz, über die Freundschaft, und über meine Standhaftigkeit. Ich liebe Sie, ich bethe Sie an! Das ist das erstemal, daß ich es Ihnen sage: es soll auch das letztemal seyn. Verzeihen Sie mir, wenn Sie dieses Geständniß beleidiget. Sie sollen die Gemahlinn meines Freundes werden. Es ist mir unmöglich, Sie in fremden Armen zu sehen. Ich verlasse Sie auf ewig, meine Leidenschaft möchte sonst zu stark für meine Tugend werden. Darf ich dem edlen Mitleiden und der bezaubernden Zärtlichkeit glauben, die ich in Ihren Augen bemerkte? Vielleicht würde, wenn ich gegenwärtig wäre, mein Anblick Ihre Ruhe stöhren. Das ist die Ursache meiner Entfernung. Nun habe ich Ihnen mein Herz entdeckt; nun bin ich schon vergnügt. Wenn ich vom Grame verzehret, und erblasset seyn werde: so werden Sie wissen, was die Ursache meiner Schwermuth und meines Todes ist. Nichts bleibt mir übrig, als noch einmal von Ihnen Abschied zu nehmen. Leben Sie wohl! Bedauren Sie mich!

CLIMENE. Bleiben Sie, Damon – Ich bin so schwach, als Sie; ich liebe Sie, und ich schäme mich nicht, es zu gestehen. Die Tugend zu lieben, ist ja kein Verbrechen. Ich habe Sie schon lange hochgeschätzet; aber wenn es möglich ist, daß sich meine Liebe vermehren kann, so geschieht es durch den großmüthigen Beweis Ihrer Liebe, den Sie mir jetzo geben. Ja, verreisen Sie. Fliehen Sie mich, liebster Damon! Sie haben mein Herz geliebet; darum verschonen Sie meine Tugend. Leben Sie wohl! Ich werde Sie auch in der Entfernung ewig lieben, mit einer Liebe, die freylich Sie glücklich zu machen nicht im Stande ist; aber die doch so lange, als mein Leben, dauern wird; mit einer Liebe, die unsere Pflicht und unsere Tugend nicht verletzen kann; mit einer Liebe, die unser Herz nicht erniedriget. Wie viel bin ich Ihrer Großmuth nicht schuldig? Sie geben mir ein Beyspiel einer Liebe, die über alles geht; weil sie sich selbst besiegen kann. Leben Sie wohl! Jetzo ist es Zeit, uns zu verlassen. Leben Sie wohl, liebster Damon, und bedauern Sie mich!

DAMON. O Himmel! wo bin ich? Schmerz, Bewunderung, Zärtlichkeit, tausend Empfindungen, die ich nicht zu nennen weiß, reißen mich hin. O Geschick! mußtest du zwey solche Herzen trennen?

CLIMENE. Ermuntern Sie sich, Damon! Sie haben mir ein Beyspiel einer wahren Liebe und einer wahren Großmuth gegeben. Geben Sie mir auch das Beyspiel einer wahren Standhaftigkeit.


[61] Orgon läßt sich hier sehen, und bleibt hinten in der Scene aufmerksam stehen.


DAMON. Ihre Tugend beschämet mich. Ja, Climene, fahren Sie fort, mich durch Ihre Großmuth und Ihr Zureden über mich selbst zu erhöhen. Flößen Sie mir eine Standhaftigkeit ein, die Ihrer und meiner werth ist, und stärken Sie meine wankende Tugend – Doch ach! verbergen Sie nur diese Thränen; ich kann Ihnen nicht widerstehen; und ich fange an, zu verzweifeln.

CLIMENE. O Damon! wie schwer ist es nicht, bey einem solchen Zufalle standhaft seyn! Aber glauben Sie nicht, daß meine Thränen ein Zeichen einer allzu starken Schwachheit sind. Sie fließen nicht ganz aus Schmerzen. Ihre erhabene Zärtlichkeit mischet Wollust in die Thränen, die ich Ihretwegen vergieße. Es ist gut, daß wir uns verlassen. Nehmen Sie mit dieser Umarmung das erste und letzte Zeugniß meiner Liebe hin. Sie werden mich nicht mehr sehen. Trösten Sie sich! Vergessen Sie mich nicht! Sie werden nie der Meinige seyn; bleiben Sie meiner werth.

DAMON umarmet sie. Lebe wohl, göttlich tugendhaftes Herz! Lebe wohl, meine verlorene Hoffnung! In einer bessern Welt will ich dich wieder sehen und wieder umarmen.

LISETTE. Um des Himmels willen hören Sie auf zu weinen! Herr Geronte kömmt; ich höre ihn gehen; trocknen Sie Ihre Thränen ab.

CLIMENE. Nun, Damon, keine Schwachheit mehr! Lassen Sie uns standhaft seyn!

DAMON. Es ist genug! Dieß waren die letzten Thränen der leidenden Tugend.

CLIMENE. Sie weinen noch, Damon! Hören Sie auf, mich zu betrüben!

DAMON. Das waren die letzten Regungen einer unterliegenden Leidenschaft; bald hoffe ich sie durch die Entfernung völlig zu besiegen. Stocket, unglückliche Thränen! Ihr verletzet die Pflicht, und seyd Climenens nicht mehr werth. Ja, Climene, wenden Sie nun Ihre Liebe und Ihre Zärtlichkeit gegen Timanten, gegen Ihren Gemahl. Verbergen Sie Ihre Schwermuth vor ihm; sie möchte ihm zum Mistrauen Anlaß geben. Aber ach! wenn Sie in seinen Armen glücklich sind: so vergessen Sie den traurigen Damon und seine unglückliche Zärtlichkeit nicht ganz.


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 59-62.
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