Vierter Auftritt

[63] Geronte, Orgon, Damon, Climene, Lisette, Philipp.


GERONTE. Wo ist dein Herr?

PHILIPP. Mein Herr hat mir aufgetragen, ihn der ganzen Gesellschaft geneigtem Andenken zu empfehlen. Er ist vor einer halben Stunde ausgeritten, und hat mir diese Briefe gegeben, die ich jetzt nach der Ordnung übergeben werde.


Er übergiebt dem Orgon und allen anderen, außer Lisetten, Briefe, mit tiefen Verbeugungen.


GERONTE. Nun, was sollen alle diese Narrenspossen heißen?[63]

LISETTE. Hast du mir nicht auch einen Brief mitgebracht?

CLIMENE liest. Gnädige Frau Mutter – Dieser Brief kann unmöglich an mich seyn.

PHILIPP. Belieben Sie nur, ihn ganz hinaus zu lesen.

ORGON. Wache ich, oder träume ich? Was für eine Raserey! Und diesen Brief gab dir dein Herr, daß du ihn mir bringen solltest? Die Aufschrift ist an mich; ich erkenne seine Hand. Sollte er denn unglücklich genug gewesen seyn, den Verstand ganz zu verlieren?

GERONTE. O in diesem Puncte hat er nicht viel zu verlieren gehabt. Was schreibt er denn mir für Teufeleyen? Ich will ihn doch einmal lesen.

ORGON. Hat jemals ein unglücklicherer Vater gelebet, als ich? Lesen Sie nur, was er mir schreibt.


Er giebt den Brief Damon.


DAMON liest. Die Grausamkeit der Aeltern kann die Kinder nicht von ihren Pflichten loszählen. Ich folge den meinigen, da ich nun, auf ewig Abschied zu nehmen, Sie nochmals an einen unglücklichen Sohn erinnere. Ich weiß, daß ich kein Recht habe, über die Handlungen meines Vaters zu urtheilen. Ich kann Ihre Heurath mit Climenen nicht misbilligen: aber warum sollte ich durch eine falsche Hoffnung getäuschet werden? Warum hat man gefährliche Anschläge wider mich vor, die ich nicht ergründen kann? Sie werden mich nicht mehr sehen. Sie haben mich unglücklich gemacht: aber Sie haben mir das Leben gegeben. Sie haben nicht als ein Vater gehandelt: aber ich will allezeit bleiben Ihr gehorsamster und unglücklicher Sohn, Timant – O Himmel, was soll diese Verwirrung bedeuten?

CLIMENE. Mir schreibt er als einer Stiefmutter. Ich weiß nicht, was er haben will.

ORGON. Das habe ich nicht zu erleben geglaubet. Wollte Gott, daß ich es nicht erlebet hätte! Ein Sohn, den ich so sehr geliebet habe, schreibt mir auf diese Art und quälet mich mit so bittern Vorwürfen. Der Himmel weiß es, ob ich die Pflichten eines Vaters vergessen habe.

GERONTE fasset den Philipp an. Sage geschwind, du Verräther! bist du an allen diesen Narrenspossen Schuld? Ist dein Herr krank,[64] unsinnig oder rasend? Wo ist er hin? Antworte, und sage die Wahrheit, oder du sollst hangen.

PHILIPP. Ach, gnädiger Herr! Barmherzigkeit! Ich will gern alles sagen, was ich weiß. Wo mein Herr aber ist, weiß ich nicht. Daß er unsinnig ist, bin ich in meinem Gewissen überzeugt; daß ich aber nicht Schuld daran bin, will ich beschwören.

ORGON. So sage nur ordentlich, ob es wirklich wahr ist, daß mein Sohn sich erfrechen kann, mir so zu schreiben, und durch was für einen Zufall er so rasend geworden ist.

PHILIPP. Sie wissen es schon, gnädiger Herr, wozu das Mistrauen fähig ist, meinen Herrn zu treiben. Er stellet sich bey allen Gelegenheiten einen Haufen fürchterlicher Sachen vor, und wählet aus seinen Einbildungen allemal die abentheuerlichste, um sie für unzweifelhaft wahr zu halten. Heute hat er sich in den Kopf gesetzt, sein Herr Vater hätte selbst das Fräulein geheurathet; und dazu gab ihm ein Stück von einem Briefe, das er aus der Brieftasche gerissen hatte, Anlaß. Darauf schwatzte er allerhand Zeug von Gefahr und Nachstellungen, entschloß sich, in den Krieg zu gehen, ritt von hier weg, und gab mir diese Briefe zu überliefern.

ORGON. Ist es möglich, daß seine Thorheit so weit gehen kann? Bisher habe ich sein Mistrauen für einen Fehler seines Verstandes gehalten: aber ich fürchte, ich fürchte, es möchte ein Fehler des Herzens seyn.

GERONTE. Ich glaube, es ist ein Fehler des Gehirns. Ich muß doch auch noch einmal lesen, was er mir schreibt.


Er liest.


Mein Herr! Ich verschone Sie wegen der Freundschaft meines Vaters, weil meine Stiefmutter Ihre Tochter ist. Ich will Ihre Bosheit und Ihre Schande verschweigen. (Was zum Henker! mir schreibt er auf diese Art!)


Er liest weiter.


Aber nehmen Sie diese Warnung an; hören Sie auf, mich zu verfolgen, und mir nach dem Leben zu stehen. Ich schreibe Ihnen, um Sie abzumahnen. Sollten Sie aber künftig wieder mit Nachstellungen mich in Gefahr setzen: so werde ich auf eine andere Art mit Ihnen verfahren. Daß Sie Schuld daran sind, daß mich mein Vater enterbet, verzeihe ich Ihnen: aber weiter gehen Sie nicht, oder fürchten Sie den Zorn Timants.


[65] Geronte läuft gegen die Scene.


Hey Jacob! – oder du bist da, Lisette! laufe geschwind – Ich kann vor Zorn und Aergerniß fast nicht reden.

DAMON. Was treibt Sie denn für eine Hitze? Was wollen Sie thun?

GERONTE. Dem Timant ein halb Schock Häscher nachschicken, die ihn gleich in das Tollhaus bringen sollen. Da soll er lernen, was es heißt, ehrliche Leute bey ihrem guten Namen anzutasten. Mich für einen Meuchelmörder anzusehen!


Zu Orgon.


Verzeih mir, ich bedaure dich: aber dein Sohn hat verdient, gestrafet zu werden.

ORGON. Ich werde diesen Zufall nicht überleben! Grausamer Sohn! unwürdiger Timant! was treibt dich für eine Wuth?

DAMON. Erlauben Sie mir, ihm nachzureiten. Ich will ihn ereilen; ich will ihm die Thorheiten seines Vergehens vorhalten, und ihn zurück bringen, um Sie alle um Vergebung zu bitten. Er schreibt mir auf eben diese Art; er beklaget sich über meine Treulosigkeit; ich muß ihm das Gegentheil erweisen. Versprechen Sie mir nur, daß Sie es ihm verzeihen wollen.

ORGON. Sie sind zu großmüthig, liebster Damon! mein Sohn verdienet keinen solchen Freund; er verdienet kein Mitleiden und keine Vergebung.

GERONTE. Ja, ich will ihm jemand nachschicken!


Zu Orgon.


Es geschieht doch mit Ihrer Bewilligung? Er soll in das Tollhaus gebracht werden.

ORGON. War ich in meinen alten Tagen zu einem solchen Schimpfe bestimmt? – Nein, verzeihe mir! ich kann unmöglich darein willigen. Ich weiß, wie sehr er dich beleidigt hat: aber bey diesem Vorschlage zu seiner Bestrafung würde ich am meisten leiden. Er mag hingehen, wohin ihn seine Raserey führet. Ich ziehe meine Hand von ihm ab; ich enterbe ihn, und will ihn nicht mehr sehen.

DAMON. Er ist aber doch vielleicht so strafbar nicht, als er scheint! Verzeihen Sie ihm, er wird sich mit der Zeit bessern! Nehmen Sie das Herz eines Vaters wieder an![66]

GERONTE. Ich hätte meine Tochter mit einem hübschen Bräutigame versehen!

ORGON. Meines Sohnes Rasereyen betrüben mich doppelt, weil sie mich des Vergnügens berauben, mich genauer mit dir zu verbinden. – Aber darf ich Fräulein Climenen einen andern und bessern Bräutigam in Vorschlag bringen? Du hattest sie mir für meinen Sohn erlaubt: darf ich für jemand anders um sie anwerben, der ihrer besser werth ist?

GERONTE. Ich bin damit zufrieden, wenn es nur jemand Kluges ist.

ORGON nimmt den Damon bey der Hand. Nähern Sie sich, Damon! Mein Sohn ist meiner nicht mehr werth. Nein! denn er verdienet meine Liebe nicht mehr: Sie sollen mein Sohn seyn. Ich kenne Ihre Tugend und Ihre Zärtlichkeit besser, als Sie glauben. Ich schätze Sie hoch; nach meinem Tode gehöret mein Vermögen Ihnen.

DAMON. Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche! Sie schätzen mich hoch, und biethen mir an, ich solle mir das Unglück meines Freundes zu Nutze machen? Wie wenig kennen Sie mein Herz, wenn Sie denken können, daß ich fähig bin, Ihr Anerbiethen anzunehmen! Ich bin Ihnen dankbar. Aber wenn Sie mich verbinden wollen: so verzeihen Sie Ihrem Sohne.

ORGON. Ich bin von Ihrer Tugend bezaubert: sagen Sie mir aber nichts mehr von meinem unwürdigen Sohne! Nehmen Sie seinen Platz bey der unvergleichlichen Climene ein; empfangen Sie ihre Hand von meinen Händen; Sie sind ihrer werth.


Zu Geronten.


Du bist es doch zufrieden?

GERONTE. Ja nun ja, wenn es meiner Tochter recht ist. Willst du den Damon haben?

CLIMENE. Gnädiger Herr Vater!

GERONTE. Nun, mache fort, sage es heraus.

CLIMENE. Ich werde Ihnen allezeit gehorchen. Ich nehme Damons Hand an, wenn Sie es haben wollen.


Zu Orgon.


Ich küsse die Ihrige, zum Danke für Ihre Güte; und Sie, Damon, was antworten Sie?[67]

DAMON. Daß ich nicht weiß, ob ich wache, oder ob alles dieses ein verwirrtes halb trauriges und halb angenehmes Träumen ist. Sollte ich meinen Freund um seine Geliebte bringen?

ORGON. Sie bringen ihn nicht darum. Er wird sie ohnedieß nimmermehr erhalten, und nimmermehr hieher kommen. Empfangen Sie Climenens Hand.

CLIMENE. Sie zweifeln, Damon!

DAMON küsset ihr die Hand. Nein! ich zweifle nicht, ich bin der Ihrige. Und wie soll ich Ihnen beyden antworten, um Ihnen mein Erstaunen und meine Verwunderung darzuthun? Aber ich kann noch nicht ruhig seyn, bis mein Freund Vergebung erhalten hat. Ich bitte Sie darum! Ich beschwöre Sie darum! Bloß mit dieser Bedingung kann ich Climenens Hand annehmen.

ORGON. Wie wenig ist mein Sohn so einer edelmüthigen Freundschaft werth!


Zu Geronten.


Komm mit mir! ich muß mich, um mich zu erholen, ein wenig zu beruhigen suchen. Hernach wollen wir gleich Anstalt zu der Vermählung dieses Paares machen.

GERONTE. Ich gehe mit dir. Der verzweifelte Timant! Mich für einen Giftmischer zu halten! Deswegen war es, daß er nicht zu Tische kommen wollte.


Sie gehen beyde ab.


CLIMENE. Sie sind mehr verwirrt, als erfreuet. Was denken Sie, Damon?

DAMON. Ich bin zwischen tausend Leidenschaften getheilet. Ich kann meine Freude nicht genug ausdrücken; ich liebe Sie mehr, als mein Leben: aber verzeihen Sie mir, ich kann nicht vollkommen glücklich seyn, so lange mein Freund unglücklich ist.

CLIMENE. Wir wollen schon die Väter bereden, ihm zu verzeihen. Kommen Sie mit herein!


Sie gehen hinein.


LISETTE. Nun, Herr Briefträger, diesesmal war deines Herrn Narrheit für Climenen wenigstens gut: sie ist mit dem Damon besser versorgt. Aber wenn sie deinen Herrn gehabt hätte, und hätte ihn umarmen wollen, so hätte er allemal geglaubt, sie hätte die Absicht, ihn zu erdrosseln. Wie wird es aber nun mit dir aussehen, da dein Herr fort ist?[68]

PHILIPP. O, das weiß ich nicht! Wenn ich kein ander Mittel finde: so ziehe ich ihm in den Krieg nach.

LISETTE. Ja, du schickest dich gut zum Soldaten.

PHILIPP. Warum sollte ich mich nicht dazu schicken? Ich kann fluchen, zuschlagen, Toback rauchen, Schulden machen, und mich mit einem ganzen Dutzend andern –

LISETTE. Herumschlagen?

PHILIPP. Nein, betrinken, und dazu von Schlachten und Morden, trotz dem großen Eisenfresser, schwatzen.

LISETTE. O! da schickest du dich zur Noth gar zum Oberofficier. Ich muß gehen! Auf wiedersehen! Lebe wohl, Held nach der neuen Mode!


Sie geht ab.


PHILIPP. Es ist mir doch bange bey der Sache. Ich weiß nicht, was ich anfangen soll.

TIMANT hinter der Scene. Pst! pst! Philipp!

PHILIPP. Wer ruft mich?

TIMANT. Pst! Philipp, bist du allein?

PHILIPP. Ich glaube wahrhaftig, daß es meines Herrn Gespenst ist! Die Stimme kömmt aus seiner Stube; die ist verschlossen, und ich habe ihn fortreiten sehen. – O weh, die Thüre geht auf!


Quelle:
Johann Friedrich von Cronegk: Der Misstrauische. Berlin 1969, S. 63-69.
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