[62] Wielang sol deine Zorn-Flut sich
Getrewer Vater, über mich,
Mich, dein Geschöpff, ergiessen?
Laß endlich auch
Nach altem Brauch
Ein Gnaden-Bächlein fliessen!
Ach deine Hand ist mir zu schwer,
Zermalmstu mich doch, wie ein Beer
Dem Schäfflein, seinem Raube,
Des Löwen Muth
Der Hindin thut,
Der Habicht einer Taube.
Schaw, wie die sieche Lager-stat
Mich Ärmste zugerichtet hat,
Ich lieg' in Durst vnd Schmertzen,
Kein Kraut, kein Safft
Ersetzt die Krafft,
Die mir entgeht im Hertzen.
Der Sinnen Fertigheit gebricht,
Für grosser Ohnmacht red ich nicht,
Die Zunge bleibt mir kleben,
Aus Schwachheit muß
Ich mit Verdruß
Mich andre lassen heben.
Ich trage Grawen für der Nacht
Vnd habe gantz mich außgewacht,
Mein Schlaff ist Pein vnd Sorgen:
Ich sehne mich
So sehr, als sich
Kein Wächter, nach dem Morgen.
Komm, sag ich, Tag-Liecht! kömpt es dan,
So geht mit jhm mein Leyd erst an,
Durchdringt mir Marck vnd Beine,
Ich liege naß
Ohn vnterlaß
Von Thränen, die ich weine.
Auch greiffstu mir mit Plagen ein,
Die nicht zu offenbahren seyn,
Vnd dennoch in mich dringen:
Wer gläubt es wol?
Mein Hertz ist vol,
Vnd möchte nur zerspringen.
Erkennstu nicht, daß ich vorhin
Ein abgelebte Wittwe bin,
Die sehr sehr viel erlitten?
Ach welche Zeit,
Hat Grahm vnd Leydt
Mir nicht das Hertz bestritten?
Nicht, daß mir für dem Tode grawt;
Nein! sehnt dieß Fleisch vnd diese Haut
Doch schon sich zu verwesen:
Mein Alter spricht,
Ich habe nicht
Mehr hoffnung zu genesen.
Ich bin so müd vnd satt der Welt,
Als etwa einer, den man hält
Hart auff den Hals gefangen,
Der Bande Last
Von Hertzen hasst,
Vnd wäre gern entgangen.
Mich kräncket, daß du mich so schlägst,
Nicht tödtest, sondern Lust nur trägst
Biß auff den Todt zu schwächen:
Ist denn mein Hertz
Ein Felß vnd Ertz,
Vnd wil nicht endlich brechen?
Der Artzt verzweiffelt gantz an mir,
Die Freunde sind bißweilen hier,
Zu sehen, wie es stehe;
Doch auff der Flucht,
Ein jeder sucht
Nur wie er von mir gehe.
[63]
Sie giessen lauter scharffen Wein,
Nicht Oele, meinen Wunden ein,
Man wil mich nicht verbinden,
Vnd sagt wol frey,
Dieß alles sey
Ein Lohn der grossen Sünden.
Ja, Herr, ich habe mißgethan,
Vnd mein Gewissen klagt mich an:
In Schuldt bin ich gezeuget,
Mit böser Lust
Hat mich die Brust
Der Mutter abgesäuget.
Doch wiltu nach der Schärffe gehn,
Wie wird die gantze Welt bestehn?
Gerecht sind deine Sachen:
Wer weiß allhier
Ein Wort für dir,
Das tauglich sey, zu machen?
Ich bin für deiner wilden Handt
Ein zartes Blümchen, das den Brandt
Der Sonnen nicht kan tragen:
Ich bin ein Graß
Vnd springend Glaß,
Was wiltu an mir schlagen?
Bist du kein Witwen-Vater mehr?
Wo bleibt dein alter Nahm vnd Ehr'?
Hat nun dein Wort ein Ende?
Begehrt dein Mundt
Ohn Hertzens Grundt,
Daß man zu dir sich wende?
Was aber red ich? O der Schuld,
O vnermäßlich' Vngedult!
O erst ein grosses Leyden,
Das ich mich dein
In dieser Pein
Nicht recht weiß zu bescheiden!
Was meister' ich doch deinen Raht
Der alles dieß beschlossen hat,
Der mich so lässet quälen?
Was er schon thut,
Ist recht vnd gut,
Er wird in keinem fehlen.
Ich bin dein Bild vnd dein Gemerck,
Vnd deiner Hände thewres Werck,
Dein Tohn vnd dein Leib-eigen:
Derwegen wil
Ich lieber still
Zu aller Straffe schweigen.
Gieb meinem Jammer keine Ruh,
Ich schliesse meinen Mund dir zu.
Wil nichts dawieder sagen.
Fahr jmmer fort!
Nur laß mich dort,
O Vater, vngeschlagen.
Laß hie die jnnerliche Pein,
Die Hitze, meine Helle seyn,
Hie mag der Durst mich kräncken,
Wenn mich nur nicht
Nach diesem Liecht
Der Hellen Bäche träncken.
Herr Jesu, wahrer Pelican!
Komm, frisch mein durstig Hertz doch an,
Gieb Kühlung meiner Zungen!
Wirff nicht mich hin,
Weil ich auch bin
Ein kleines deiner Jungen.
Auch ich bin dir ein thewrer Kauff.
Ich sperre meinen Mund dir auff,
Laß nur ein Tröpfflein fliessen
Von deinem Blut,
Es lescht die Glut
Der brennenden Gewissen.
Gieb, daß ich willig leyden mag
Mein Elend, deiner Liebe Schlag;
Schleuß mich in deine Wunden:
Vnd kürtz einmahl
Mir diese Qual
Mit einer seelgen Stunden.
Buchempfehlung
Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.
70 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.
390 Seiten, 19.80 Euro