Gotentreue

[269] Erschlagen lag mit seinem Heer

Der König der Goten, Theodemer.


Die Hunnen jauchzten auf blut'ger Wal,

Die Geier stießen herab zu Tal.


Der Mond schien hell, der Wind pfiff kalt,

Die Wölfe heulten im Föhrenwald.


Drei Männer ritten durchs Heidegefild,

Den Helm zerschroten, zerhackt den Schild.


Der Erste über dem Sattel quer

Trug seines Königs zerbrochnen Speer.


Der Zweite des Königs Kronhelm trug,

Den mitten durch ein Schlachtbeil schlug.


Der Dritte barg mit treuem Arm

Ein verhüllt Geheimnis im Mantel warm.


So kamen sie an die Donau tief

Und der Erste hielt mit dem Roß und rief:


»Ein zerhau'ner Helm – ein zerspellter Speer: –

Vom Reiche der Goten blieb nicht mehr!«


Und der Zweite sprach: »In die Wellen dort

Versenkt den traurigen Gotenhort:


Dann springen wir nach von dem Uferrand –

Was säumest du, Vater Hildebrand?«
[269]

»Und tragt ihr des Königs Kron' und Speer: –

Ihr treuen Gesellen: – ich habe mehr.«


Auf schlug er seinen Mantel weich:

»Hier trag' ich der Goten Hort und Reich!


Und habt ihr gerettet Speer und Kron' –

Ich habe gerettet des Königs Sohn!


Erwache, mein Knabe, ich grüße dich,

Du König der Goten, Jungdieterich.«

Quelle:
Felix Dahn: Gesammelte Werke. Band 5: Gedichte und Balladen, Leipzig 1912, S. 269-270.
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