Abenteuer der fünften Amme

[55] »Ja wirklich,« sprach da Eine

»Nichts ist vor Lieb' gefeit,

Herrn Heinz liebten einst reine

Zwilling zur Veilchenzeit.


Und da gibt's nichts zu lachen,

Die Lieb ist wundersam.

Und Liebe konnt' es machen,

Daß Totes wiederkam.«


Die sieben andern Ammen

Mußten ans Herz sich fassen.

Sie rückten eng zusammen

Und stellten fort die Tassen.


»Aurora und Alice,«

So hieß ein Zwillingspaar.

So ähnlich waren diese,

Es fehlte dran kein Haar.


Durch einen Blumenladen

Ernährten sie sich keusch.

Wie Rosen still auf Drahten

Lebten sie ohn' Geräusch.


Heinz kam zur Rosenhecke

Hinter den Ladenpult,

Und nur zum Ankaufszwecke

Empfing man ihn mit Huld.
[56]

Es wagten nie die Damen

Die Käufer anzusehn.

Selbst wenn Ausländer kamen,

Blieb jede schamrot stehn.


Sie sahen nur auf Hände,

Man schlug nie auf den Blick,

Erkannten ohn' Umstände

Den Mensch am Handmimik.


Konnten durch Handschuh lesen,

Was jeder Käufer denkt,

Wenn sie dem obern Wesen

Auch keinen Blick geschenkt.


Sah'n nur den kleinen Finger

Und wußten es sogleich:

Trotz Diamantendinger

Sind Menschen doch nicht reich.


Sie müssen noch was haben,

Noch ein besondres Air.

Denn sonst, bei allen Gaben,

Sind ihre Hände leer.


Bei Heinzens Hände fielen

Sie beide fast zur Wand.

Sie war ganz ohne Schwielen

Und doch die Schicksalshand.
[57]

Zum ersten Male tauten

Die beiden Damen auf.

Und ihre Blicke blauten

Heinz bis zum Hals hinauf.


Von Beiden die Aurora,

Sie ward besonders rot.

Was flüstert ihr ins Ohr da:

Der Mann, der bringt den Tod!


Wogegen die Alice

Den Heinzen fast anblickt.

Und eben es war diese,

Die dann am Heinz erstickt.


Herr Heinz kauft hundert Rosen

Und alle ohne Draht.

Weil er die Stengellosen

Von je verachtet hat.


Herr Heinz kam jeden Morgen

Und kaufte wie verrückt,

Ihm taten Freunde borgen,

Weil's Geben sie entzückt.


Im Herbste, wo die Veilchen

In zweiter Blüte stehn,

Da mußt nach einem Weilchen

Ein Zwilling einsam stehn.
[58]

Denn Heinz, er hat's entschieden:

Er nähm Fräulein Auror'.

Ihm schien die mehr zu sieden,

Und kam ihm wärmer vor.


Alice stand im Laden

Am Sonntag Nachmittag,

Heut' ging die Stadt zum Baden,

Herbstglut am Himmel lag.


Sie mochte nicht mal denken

An das geringste Bad.

Konnt den Gedank nicht lenken

Von Heinz, den sie nicht hat.


Sie ist schon längst entschlossen,

Und heute wird's getan,

Sie füllt sich einen großen

Waschkorb mit Veilchen an.


Sie ist mit ihrem weißen

Firmungsgewand geschmückt.

Tat Tränen stolz verbeißen

Und hat sich tief gebückt.


Im Waschkorb zu ersticken

Sucht sie durch Veilchen Ruh.

Ein Talglicht blöd von Blicken

Sieht ihr mit Tränen zu.
[59]

Auf einen weißen Bogen

Schrieb sie es vorher hin:

»Aurora, bin betragen,

Weil ich Dein Zwilling bin.«


Mit Heinz kommt heim Aurora

Und sucht im Ladenraum:

»Alic' war doch zuvor da!

Jetzt sieht man sie ja kaum.«


Die Talglichttränen stanken,

Das Licht war eben aus.

Es raucht noch in Gedanken –

Aurora schlich hinaus.


»Ach, Heinz, komm doch mal näher,

Ich glaub', es ist wer tot,

Es riecht nach Leichen eher

Als wie nach Rosenrot.«


Heinz kommt ganz in Gedanken,

Zum Veilchenkorbe hin,

Fühlt seine Kniee wanken

Und sagt: »Es liegt wer drin.«


Tief unter blauen Veilchen

Lag die Alice weiß,

Sie zuckte noch ein Weilchen

Und starb dann schnell mit Fleiß.
[60]

Untröstlich war Aurora,

Herr Heinzen schluchzt mit Macht.

Ein Licht war noch zurvor da,

Und jetzt war's still und Nacht.


Und noch nach langen Jahren

Sieht man den Heinzen viel,

Mit seltsamen Gebahren

Zur Veilchenzeit oft still,


In eine Hand voll Veilchen

Den Kopf hineingesteckt,

Das treibt er so ein Weilchen,

Bis ihn Aurora weckt.


»Ich wollte es nur fühlen«

Spricht Heinz dann lebensmüd,

»Ob Veilchen wirklich kühlen,

Wenn's Blut im Herzen glüht.«


Heut' sitzt am Sarge diese

Aurora, und sie weint,

Denkt: glücklich ist Alice,

Jetzt kriegt sie meinen Freund.


Und seufzend streut Aurora

Ihm Parmaveilchen hin:

»Ach wärst Du wie zuvor da,

Weil ich noch lebend bin!«
[61]

»Jetzo«, schloß hier die Amme,

»Will ich Kaffee einschenken.

Lieb ist 'ne wundersame

Sache und gibt zu denken.« –


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 55-62.
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