Johanna mit der Rumflasche

Die Zeit hat viele Beine,

Zwei kannst Du an Dir sehn.

Zum Kommen ist das eine,

Das andere zum Gehn.


Ist Jemand fortgegangen,

So sieht man sich allein.

Hast Du an ihm gehangen,

Fallen Dir Tränen ein.


So weinte auch Johanna,

Beweinte ihren Franz.

Ihr Herz, sonst süß wie Manna,

Verbitterte sich ganz.


Am Sarg saß sie daneben

Mit Tüchern in der Hand.

Und Tränen wollt' sie geben,

Bis ihr das Aug' leer stand.


Dann hat sich ein Gedanke

Zu Hanna hingesetzt.

Er pufft sie in die Flanke,

Sie hat's nicht unterschätzt.


Sie sammelt sich entschlossen

Und nickt voll Seelenruh'

Ihm, der sie angestoßen,

Verständnisinnig zu.
[147]

Sie nimmt ein Kohlenbecken,

Füllt's mit Holzkohlen an.

Den Tod soll das bezwecken,

Wenn man nicht anders kann.


Am Fensterbrett, da lachen

Die Blumenstöck' ihr zu;

Gelbe Kanari machen

Laut singend viel Getu'.


Und daß der Tod vollkommen,

Trinkt sie 'nen Liter Rum.

Der Tod hat Platz genommen,

Und doppelt kam sie um.


Zu Franz kam dann Johannen

Im Himmelbette an.

Niemand durft' sie verdammen,

Da sie's aus Lieb' getan.


Nur ist ihr Himmelsnäschen

Jetzt rot – Franz lächelt stumm.

Sie leert noch oft ein Gläschen,

Gewöhnt ans Liter Rum.


Quelle:
Max Dauthendey: Die Ammenballade. Leipzig 1913, S. 143-148.
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