Venus Perversa

[78] Dort sitz nieder! sieben Kreuze

zwischen uns! und gönn mir's: sei nicht Tier!

Sondern ich suche andere Reize:[78]

Dich: komm, liebe dich vor mir!


Dich nur, Dich! nur deine verschmachtenden Blicke

und deine zuckende Scham und deine scheuen

Seufzer gönn mir – ja, entzücke

mich mit Deinen Rasereien!


Oh du, wenn die Knospen deiner welken

Brüste unter deinen tastenden Fingern

wieder schwellen wie in jüngern

Nächten – oh, dies Schwelgen –


gönn mir's, gönn mir's! Meine eigenen Freuden

sind mir Schaum, der bitter ist –

aber Du, wenn Du so stöhnst und glühst,

will ich mich an Deiner Wildheit weiden:


wie du gleich enttäuschten Bräuten

deine einsame Sehnsucht stilltest,

deine heimlichen Seligkeiten

mit berauschten Händen fühltest –


fühlst – stillst – – Seele, bricht dein Blick?

Oh du, laß mich diesen Blick genießen!

dies Verröcheln von Lippen bis zu Füßen!

recke dich nicht so starr zurück –


Ekelt dich? – Ah –: witterst du nun den reifen[79]

Menschen? bist du satt der Kuhnatur?! –

Und wir schaudern: wir begreifen

den Triumph der Unnatur.


. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Wohin fliehn nach solchen Wonnen?

Damals lernt'ich die Ekstasen

der entbehrungssüchtigen Nonnen

würdigen, und das geistige Rasen


derer, die vor lauter Brünsten

nach der reinen Inbrunst schreien,

während sie mit Marterkünsten

bis zum Rausch ihr Fleisch kasteien.


Warlich, wenn der Heiligen Einer

jetzt vor meinem Bett erschiene,

brünstiger als ich rang keiner!

Und mit eingeweihter Miene


dürft ich ihm die Hände reichen:

Komm, hier kannst du ruhig beten.[80]

Mußte doch selbst sie mir weichen,

die Versucherin der Asketen,

Quelle:
Richard Dehmel: Die Verwandlungen der Venus. Berlin 1907, S. 78-81.
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Gedichte und Satiren

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»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

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