Frühlingsweben

[112] Wo die letzten Häuser stehen

Hinter zart begrünten Hecken,

Führt der Weg zum Wald hinein.

Erst doch gilt's zwei Dirnlein necken,

Die mit hellen Augen sehen

Übern Zaun her. Spaß muss sein.


Hinter mir ihr helles Lachen,

O du süßes Mädchenlachen,

Schlendre ich auf weichen Wegen

Frühlingsfroh dem Wald entgegen.

Feuchter Schimmer, grüner Hauch,

Voll in Säften Baum und Strauch.

Rings das Spiel des jungen Lichtes.

Durch das offene Wipfeldach

Wie ein goldner Regen bricht es,

Tropft durch leis bewegte Zweige,

Überrieselt Moos und Steige,

Küsst im Gras die Primeln wach.


Wo die kleinen Veilchen stehen,

Seh ich helle Kleider wehen;

Frühlingshüte, Kinderköpfchen,

Buntes Band in blonden Zöpfchen,

Frühlingsstimmen, helles Lachen.

O du süßes Kinderlachen!

Keine Nachtigallenlieder

Geben deinen Zauber wieder.[113]

Komm ich an die kleine Schar,

Wie die Häschen, naht Gefahr,

Sitzen sie auf einmal stumm

All im grünen Gras herum.

Dann ein Kichern, Zischen, Lachen:

Lassen uns nicht bange machen.


Nur das große, schlanke Mädchen,

Zierlich hält sich's wie am Drähtchen,

Weiß auf einmal sehr verlegen,

Nicht, wie soll ich mich bewegen.

Herr, was sehn Sie so hierher?

Sie belästigen uns sehr.

Freilich kann ich es nicht wehren,

Wollen Sie uns doch beehren.


Zwischen Birken, zwischen Buchen

Geh nun ich auch Veilchen suchen.

Pflücke sittsam erst allein,

Besser geht's nachher zu zwein.

Hier ein Blümchen, da, und da!

Bis wir abseits uns verirrt.

Keines weiß recht, wie's geschah.

Leis nur aus der Ferne schwirrt

Lachen, Rufen uns ans Ohr.


Doch das kommt beim Veilchensuchen

Zwischen Birken, zwischen Buchen,

Bei den besten Leuten vor.

Lässt's die Mutter auch nicht gelten,

Andere werden uns nicht schelten.


Quelle:
Gustav Falke: Mynheer der Tod. Hamburg 1900, S. 112-114.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Mynheer der Tod
Mynheer Der Tod Und Andere Gedichte (German Edition)

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon