[Zweite Version]

1.

Frolok, o Tochter Sion, fast,

erjauchz, du Christlich Gmainde:

Es komt dir iz der werde Gast,

dein Bräutgam vnn dein freunde.

Fräu dich mit dem,

Jerusalem!

dein König komt on zirde,

Doch gnadenreich,

aim Hailand gleich,

empfang jn mit begirde.


2.

Ja gar demütig kommet er,

das er dich nicht erschrecke,

Geritten auf aim füllen her,

das er sein macht verdecke,

Aber jdoch

hält er plaz noch,

vnd richt auf durch sein leiden

Vnd demut gros

sein Reich on mos,

das haißt ain Sighaft reuten.


3.

Dan also will ich, spricht der Herr,

die Gotlosen ausrotten,

Der hohen Pferd vnd jr gesperr,

das ist der stolzen, spotten:

Ir vngestümm

vnd grosen grimm

soll er allain erlegen

Mit seiner Stimm,

das niman rüm,

for GOT etwas vermögen.


4.

Sein Demut jren pracht vernicht,

sein Gaist jr flaisch verachtet,

Sein Predig jr Streitbogen pricht,

jr Ratschlag er verlachet,

Diweil er lehrt

Frid auf der Erd

durchs Evangeli gütlich,

Machts Gwissen frej,

im Glaubē neu,

for Got zu stehn ganz fridlich.


5.

Vnd wiwol er ist Sanft vnd still,

noch wachst sein Reich behende,

Auch wider der Tirannen will,

bis an der Weltkrais ende,

Graßt von aim Mör

zum andern sehr,

inn Insuln es auch lendet:

Das macht, man kan

nicht widerstan

seim Wort, welchs sein lauf endet.[823]


6.

Durch das Plůt seines Bunds so theur

lößt er die gfangnen aussen

Von der Grubē sehr vngeheur,

darin kain Wasser sansen,

Sonder voll Not,

voll Sünd vnd Tod

vnd allem Greuel ware:

Die hat Er nun

durch sein gnugthun

zerstört, befridigt zware.


7.

Derhalben seit des Sigs vergnügt,

Ir arm beträngte leute!

Ir die auf Hofnung gfangen ligt,

kehrt zu der Festung heute!

Besitzet sie

im Glauben hie,

so pleibt jr sighaft Helden,

Dan er verkünd,

heut sej er gsint

dirs zwifach zu vergelten.


8.

Jauchz, Tochter Sion, spricht der Herr,

dan ich dein Kind will bgnaden,

Erwecken vber alle ferr,

das ichs erfüll mit Gnaden,

Will stellen dich

ganz sicherlich

gleich wie ains Risen schwerte,

Welchs jm nimand

nimt aus der Hand,

wie man jn auch beschwärte.


9.

GOT der Herr wird erscheinen auch

vber sein Kinder klaine,

Das er sie zu Aposteln prauch

die sein Wort lehren raine:

Der Herr der würd

wie sich gebürt

die Posaun als dan plasen,

Vnn tretten her

wie Wetter schwer

die sich vom Mittag lasen.


10.

Der Herre der Hörscharen, Got,

wird selber sie beschirmē,

Das sie durch sein Wort vnd Gebot

alles zwingen vnd stürmen,

Vnn vuter sich

gewaltiglich

die Schlauderstain bezwingē,

Vnd girend sein

wie neuer Wein:

dem Eckstain mus gelingen.


11.

Dan inn seim Erbland vnd seim Reich

da werden aufgerichtet

Hailige stain, den Kronen gleich,

die von jm sind belichtet:

Was han sie dan

guts zuforan[824]

vnd schöns for andern mehre?

Das Korn, den Most,

Gots Wort, den Trost,

das stärkt jr Jugent sehre.


12.

Nun disen Most vnd dises Korn,

das Evangeli tröstlich,

Pringt dir sanftmütig vnd on Zorn

heut vnser Christus wäslich:

Derhalben vf!

nun frölich ruf

du Christlich Kirch zusamen

›Hosanna sehr!

gelobt sej der

so komt ins HERREN Namen!‹


Quelle:
Philipp Wackernagel: Das deutsche Kirchenlied von der ältesten Zeit bis zu Anfang des XVII. Jahrhunderts, Leipzig 1874, S. 823-826.
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