Georg Forster

Cook, der Entdecker

Nullius in Verba


Der Name des Weltumseglers Cook ist zu allgemein bekannt, und seine Seereisen haben ihm die Bewunderung seiner Zeitgenossen in einem viel zu hohen Grad erworben, als daß noch jemand fragen könnte; wer war Cook, und was that er? Vielmehr wirkt schon dasjenige, was ein jeder sich auf diese Fragen selbst zu antworten weiß, wie eine Zauberformel, um ein stets wachsendes Theilnehmen an jeder neuen Nachricht von seinen Entdeckungen zu erregen. Hätten diese Blätter, die ich seinem Andenken weihe, den Reiz der Neuheit, so würde ich also um ihr Schicksal unbekümmert seyn können. Wenn ich mir aber ein Verhältniß zwischen dem Leser und dem Schriftsteller denke, welches beyden rühmlicher ist, mischt sich eine schüchterne Besorgniß in meinen Wunsch, der Wißbegierde und den übrigen Forderungen eines aufgeklärten Publikums Genüge zu leisten. Dazu kommt noch, daß es nicht die Lebensgeschichte dieses außerordentlichen Mannes ist, welche mich hier beschäftigen soll; denn dies wäre wenigstens ein überflüssiges und mißliches Unternehmen, da bereits eine deutsche Meisterhand1 die Hauptzüge eines solchen Gemäldes entworfen hat. Indeß giebt es allerdings noch einen Gesichtspunkt, der Cooks Thaten und seinen Geist in einem neuen Lichte zeigen kann. Ihre blendende Größe hat man lange genug blos angestaunt, wie etwa ein glänzendes Meteor. Entfaltete man aber ihre Beziehungen auf die Summe unseres Wissens, und berechnete man ihren gegenwärtigen und dereinst zu hoffenden Nutzen, dann erst würde sich Cooks ganzer Werth für die Menschheit unparteyisch abwägen lassen; dann würde jene gaffende Bewunderung, die auch die Dummheit unserem Helden zollt, bey Denkenden in dankbare Verehrung übergehen. Wer nun im Stande ist, die Verhältnisse unserer Gattung mit festem, allumfassenden Blick zu durchschauen, Plan und Absicht, nach einem bestimmten Ziele strebende Entwicklung, und sichern Fortgang zur Vollendung[105] aus dem verworren scheinenden Chaos ihrer Schicksale herauszufinden: der entwerfe jene vollständige beziehende Darstellung von Cooks Verdiensten, und lehre uns, wie weit er sein Jahrhundert in Erkenntniß und Aufklärung fortgeführt, welchen Zuwachs die menschliche Glückseligkeit durch sein Bestreben gewonnen, und welche neue Aussichten in die goldene Zukunft einer allgemein vollendeten Bildung sein Genius uns eröfnet habe. Der Dank der Edlen unserer Zeit und jener bessern Nachkommenschaft verspricht dem Menschenfreunde, der sich auf diese Art an Cooks Verdiensten Antheil erwerben würde, unsterblichen Lohn. Aber es wäre Vermessenheit, sich mit blöden Augen in jene steile Höhe hinaufzuwagen, wo solch ein Überblick erst möglich wird. Ohne daher bey der gegenwärtigen Veranlassung so tief in die Bestimmung des Menschengeschlechts dringen zu wollen, lassen sich gleichwohl die näher am Tage liegenden Verkettungen so angeben, wie sie auf unserm niedrigeren Standpunkte erscheinen; wenigstens lassen sich kleine Gebiete, Theile des Ganzen, wenn auch nur in schwachen Umrissen, nachbilden, um künftigen Weltweisen vorzuarbeiten. Mit andern Worten: Cooks Entdeckungen zusammenzufassen, ihre Gränzen abzustecken, ihrer geschickten Anordnung und Verbindung, so wie manchen ihrer wichtigen Folgen nachzuspüren, und auf die Art nicht blos dem Seemann und Entdecker sondern auch dem Menschen, ein geringes Denkmal zu stiften, dies wäre ein Versuch, den Cooks Reisegefährte vielleicht ohne Anmaßung und ohne Furcht vor Wiederholungen, dem Urtheil deutscher Leser unterwerfen dürfte.

Ehe wir weiter gehen, verdient es eine vorläufige Untersuchung, aus welchem Gesichtspunkte der sittliche Werth der Entdeckungen beurtheilt werden müsse. Läßt sich im Allgemeinen über diesen Punkt etwas als wahr festsetzen, so wird es uns hernach, in der weiteren Anwendung auf Cook, zum bequemen Maaßstabe dienen. Wie aber, wenn der beredte Mann Recht hätte, welcher von einer blos physischen Bestimmung des Menschen, als der einzig wahren, sprach, und Wissenschaft die Quelle alles menschlichen Elends nannte? Wäre es alsdenn nicht um den vermeynten Ruhm aller Entdecker geschehen? Wenigstens ist so viel gewiß, daß dieses[106] Paradoxon über manche schwache Einwendung siegte, und daß man Blößen gab, wenn man sich gegen die Evidenz der darin behaupteten Thatsachen sträubte. Wer könnte auch im Ernste die Zerrüttungen läugnen, die von der Entwicklung verschiedner Fähigkeiten im Menschen unzertrennlich sind? Allein, wenn man diese Unzertrennlichkeit zugiebt, so bleibt noch unerwiesen, daß die Ausbildung des Menschengeschlechts einen andern Gang hätte nehmen können, als sie wirklich genommen hat; und ehe man dies beweiset, ruft man uns vergebens in die Wälder zurück. Der untergeschobene Begriff, die Perfectibilität als ein der Natur entgegengesetztes Extrem zu betrachten, mußte freylich den Gesichtspunkt verwirren und eine Täuschung zuwege bringen, welche nur eine consequentere Philosophie wieder aufheben kann. Diese wird in allem, was geschieht, eine Kette von Verhältnissen gewahr, welche nothwendig, wie Ursach und Wirkung in einander greifen, und die Möglichkeit vernichten, daß ein Stäubchen sich anders bewegt haben könnte, als es sich bewegt hat. Wie das Unendliche ans Endliche, so ist, über alle Gränzen menschlicher Begriffe hinaus, Freyheit an Nothwendigkeit geknüpft, und hiemit zwischen dem innigen Bewußtseyn des kühnsten Denkers, daß seinen Handlungen Gedanken vorhergehen, und der ehernen Wahrheit, daß keine Idee aus nichts entstehen kann, ein ewiger Kampf erregt.

Wenn also die Verhältnisse des Menschen, wodurch diese oder jene Fähigkeit in ihm sich entwickelt, nicht von ihm selbst abhängig sind, so ist es auch diese Entwicklung nicht; folglich gehört die wissenschaftliche Ausbildung, nebst allen ihren Folgen, ohne Widerrede zu den bestimmten Einrichtungen der Natur; und der vermeynte Contrast zwischen der physischen und sittlichen Bestimmung des Menschen beruhet auf einer Abstraktion, die nicht im Reiche der Wirklichkeit, sondern in unserer Vorstellungsart liegt. Fähigkeiten, welche nur den Stoß eines äußern Verhältnisses erwarten, um sich nothwendig und unaufhaltsam zu entwickeln, sind berechnete Anlagen der Natur; und das Wesen, in welchem sich diese Entwicklung vollendet, ist nicht minder ihr Eigenthum, erfüllt nicht minder ihre Absicht, als das, in welchem sie anfängt. Es giebt folglich keine blos physische, oder, mit einem[107] andern Wort, blos thierische Bestimmung des Menschen, sondern sein Charakter ist, wie der Philosoph der Menschheit unwiderstehlich dargethan hat, Sittlichkeit, die zwar unzählige Schattirungen und Stufen hat, aber das einzige ist, wodurch er sich vom Thier unterscheidet. Mit Anlagen, die einander zu widersprechen scheinen, macht übrigens der Mensch keine Ausnahme in der Ökonomie der Natur; denn nach unserer Art zu reden, giebt es überall streitende Verhältnisse und Widersprüche, weil wir überall Absichten annehmen, wo wir Beziehungen bemerken. Soll, zum Beyspiel, das Hanfkorn zur Pflanze keimen, so darf es der Hänfling nicht verzehren, dem es gleichwohl zur Nahrung angewiesen ist. Uns scheinen diese Verhältnisse allerdings widersprechend; wüßten wir uns aber an die Stelle der Natur zu setzen, so würden wir bald einsehen, daß jedes Einzelne gerade die Bestimmung hat, die es wirklich erreicht. So wie jedes Wachsthum Zerstörung voraussetzt und sich wieder in Zerstörung endigt, so ist auch die Entwicklung einer Anlage Unterdrückung einer andern. In einer Welt, wo die größte Mannichfaltigkeit der Gestalten nur durch das Vermögen einander zu verdrängen, bewirkt wird, hieße es in der That die einzige Bedingung ihres Daseyns aufheben, wenn man diesen immerwährenden Krieg und diese anscheinende Unordnung abgestellt wissen wollte. Hat nicht dem ungeachtet alles in der Natur seine Gesetze? Sind nicht die größeren Bewegungen mit bewundernswürdiger Genauigkeit abgemessen? Sollte sich also nicht vermuthen lassen, daß auch die äußersten Punkte, zwischen welchen jede partielle Kraft schwanken und ihren Nachbarinnen Abbruch thun oder sie verschlingen darf, ihre unabänderlichen Gränzen haben? Man nenne dieses Schwanken zwischen Extremen, wenn man will, einen Puls der Natur, der bald schneller, bald langsamer schlägt, und schlagen wird, bis etwa Büffons Epoche der Erstarrung eintritt, oder das Machtwort einer Gottheit dreinredet; – so lange das jezige Schema der Erscheinungen besteht, müssen auch diese Oscillationen fortdauern. Das Mittel zwischen den Extremen, welches manche Philosophen so eifrig suchten, und oft zu finden wähnten, das vollkommene Gleichgewicht der Kräfte, ist Ruhe, aber Ruhe des Todes.

Der Trieb der Selbsterhaltung und der Gesellschaftstrieb äußern[108] ihre Wirkungen im Thiere ohne ein besonnenes Bewußtseyn. Erinnerungen und Erfahrungen können diese Triebe leiten, und das Vermögen, Vorstellungen mit einander zu verbinden, kann selbst thierischen Handlungen den Schein der Überlegung verleihen. Zur Vernunft, zur Wahrnehmung der Verhältnisse und Absonderung der Begriffe, gehört das Bewußtseyn eines abstrakten Ich; und dieses war das ausschließende Geschenk unserer menschlichen Organisation. In dieser einzigen Fähigkeit, in einer so geringen, fast unmerklichen Abschattung, liegt der incommensurable Unterschied zwischen der Natur des Menschen, und der vernunftlosen Thiere. Aus ihr allein entwickeln sich alle Erscheinungen der sogenannten Perfectibilität, welche man die angewandte Besonnenheit nennen könnte. Hier aber, wie allerwärts in der Natur, ist es Wirkung und Gegenwirkung, was die schlafenden Kräfte offenbart. Wenn das Bedürfniß eine Sprache schuf und eben dadurch das Bewußtsein weckte, so übte hingegen jeder neue Grad der Erkenntniß das Begehrungsvermögen. Waren bey einem überwundenen Widerstande Begriffe von können und wollen entstanden, so folgte bald ein Wollen aus Vorsatz und mit Bewußtseyn. Brachten endlich erschütternde Erfahrungen den Menschen auf eine höhere Stufe der Besonnenheit, und lehrten sie ihn, daß er nicht alles dürfe, was er kann und will; so führte eben dieser Druck der äußern Verhältnisse zu Begriffen vom Glücke des Lebens, die zwar nach Klima und Lokalumständen verschieden, im Ganzen aber Werkzeuge der ferneren Bildung und Entwicklung sind. Wo die Natur ihre Schätze reichlich ausgespendet hatte, neigten sich die Affekten bald zum gütlichen Vergleich. Ruhiger Genuß der sanfteren sinnlichen Eindrücke begründete die Rechte des Hausvaters, und Gewohnheit erzeugte dann den Despoten. In rauhen Zonen hingegen, erlangte der ungezähmte Wille eine Stärke und Unbiegsamkeit, wodurch er noch lange das Übergewicht behielt, und allen Zwang verschmähte. Zuweilen beugte wohl Gewalt auf einen Augenblick den wilden Nacken; allein der bloße Zwang lehrt keine Verbindlichkeit zu gehorchen. Folglich dauerte der Kampf der Ungebundenheit so lange, bis allgemeine Rechte des Menschen anerkannt wurden, und mit diesen die Begriffe der Sicherheit, der[109] Freyheit des Eigenthums, der gegenseitigen Pflicht, und einer durch heilsame Einschränkung bewirkten Glückseligkeit entstanden. Der Wille schien nunmehr auf einmal wieder so viel Feld zu gewinnen, als er auf einer Seite verlor. Nicht handeln dürfen, wie man will, ja vollends nach der Vorschrift eines Andern handeln müssen, war allerdings gleichsam eine Vernichtung des eigenen Willens. Allein bey diesem unvermeidlichen, sowohl negativen als positiven Zwange, hatte die Vernunft einen Schritt vorwärts gethan, und der Mensch fühlte seine Würde nun nicht mehr in körperlicher Stärke, sondern im Erkennen und Auswählen dessen, was recht und gut ist. Hier entstanden Gesetzgebung und bürgerliche Verfassung; künstliche, zerbrechliche Maschinen, die aber der höheren Kultur den Weg bahnten, und desto mehr Kräfte zur Entwicklung brachten, je gewaltsamer und schneller sich ihre Räder durch einander wälzten. Unzählige Nüancen der Organisation und der äußern Verhältnisse erzeugten verschiedene Mischungen des Charakters. Durch Erziehung, Beyspiel und Gewohnheit hervorgerufne und bestimmte Leidenschaften, Einsichten und Fertigkeiten, setzten ihr Spiel mit einander fort, und wirkten unaufhörlich auf einander, so wie aufs Ganze zurück. Wie dieser Wirbel jeden anders modificirten Menschen faßte und mit sich riß, so vollendete er dann seinen wohlthätigen oder zerstörenden Lauf. Der Wechsel der Verhältnisse, der Zusammenstoß streitender Kräfte, der Contrast entgegengesetzter Ereignisse – diese hin und her strömende Fluth im Ocean der Menschheit läutert und bestimmt überall die Begriffe, und giebt ihnen auch Einfluß auf Handlungen. Tugend und Laster sind daher überall gleichzeitige Erscheinungen; denn auch die Tugend wird nur durch Widerstreben möglich; wo weder Feind noch Gefahr vorhanden ist, da giebt es weder Kampf noch Sieg.

Der Gang so vieler Revolutionen, die sich immer ähnlich sind, so manches auch die Verhältnisse des Orts und der Zeit darin ändern, zertrümmert also offenbar jene idealischen Systeme, die auf eine grundlose Hypothese erbauet sind. Was in Asien vor etlichen Jahrtausenden, in Peru und Mexico vor wenigen Jahrhunderten geschah, was in den Inseln des Südmeeres noch vor unsern Augen geschieht, würde unter ähnlichen[110] Umständen, so oft auch das Menschengeschlecht in den angeblichen Stand der Natur zurück träte, immer wieder geschehen. Die ersten Kriege, selbst der Wilden, enthalten einen Keim der Kultur; denn indem der Eroberer seines Sieges genießt, vermehren sich seine Bedürfnisse. Luxus, Kunst und Wissenschaft, die Kinder Einer Geburt, vermählen sich miteinander und bringen eine neue Brut – Ungeheuer und Genien – zur Welt. Wer über diesen Kreislauf der Begebenheiten unmuthig werden kann, der klage über Winterschnee und Sommerhitze, oder über den Wechsel der Nacht mit dem Tage; er klage über alles in der ganzen Natur, was dem Wechsel unterworfen ist, und – vergesse, daß nur durch diesen unaufhörlichen Wechsel alles besteht. Die relative Moralität gewinnt freylich nicht immer durch die Entwicklung der Fähigkeiten; dieselbe Sonne, die das Wachs erweicht und schmelzt, härtet hingegen den Thon. Wenn aber jemand darum lieber die Sonne ganz entbehren möchte, so dürften wir aus mehr als einem Grunde vermuthen, daß er vielleicht für jede andre Welt, nur nicht für diese wirkliche, geschaffen sey. Daher eilt das Zeitalter auf seiner Bahn weiter, ohne auf die Wehklage eines Hypochondristen zu hören, der von solchen Hirngespinsten ausgeht, und das Menschengeschlecht nach Idealen mißt.

Wer den strengen Optimismus nicht billigen mag, sollte wenigstens, um unpartheyisch zu seyn, die Dinge so nehmen wie sie sind. Die Abwechselung der Jahreszeiten kann, in moralischer Beziehung, in der That nicht gleichgültiger seyn, als jene Revolutionen, (so wichtig sie übrigens für subjektive Bildung seyn mögen) wodurch ruhende Kräfte wirksam werden müssen, und die Gränzen der Erkenntniß durch den Drang der innern und äußern Verhältnisse sich nothwendig erweitern. Der Zeitpunkt kam, wo ein heller Kopf den Gedanken hatte, die runde Erde müsse sich umschiffen lassen, er fand einen König, der in der Hoffnung zu einem Gewinste einen Versuch wohl der Mühe werth hielt, – und Amerika ward entdeckt. Unsere Sophisten wissen jezt mit einem ekelhaften Gepränge von arithmetischer Genauigkeit zu bestimmen, wie viele Tropfen Negerschweiß auf ein Loth Zucker gehen; sie können die Anzahl der Patienten, die durch Fieberrinde genasen, gegen die Schlachtopfer des Venusgifts[111] verrechnen, und zwischen Vortheil und Nachtheil der Entdeckung die kaufmännische Bilanz ziehen, wie ihr Maulwurfsauge sie übersieht. Ob sie aber die Quelle des Bösen verstopfen können, ohne daß zugleich die Quelle des Guten versiegt? Man müßte nicht wissen, daß beydes im Menschen einen gemeinschaftlichen Ursprung hat, wenn man dies für möglich halten wollte. Auf jeder Stufe der Kultur, welche das Menschengeschlecht erreicht hat oder noch ersteigen kann, sind Bedürfnisse und Leidenschaften die Triebfedern aller erhaltenden aber auch aller zerstörenden Thätigkeit. Verschiedene Grade der Erkenntniß ändern nur die Intension und äußere Form derselben; aber das Gute und Große wird überall nur durch sein Gegentheil offenbar.

Mißbrauch kann den Werth der Dinge nicht schmälern; und doch sollte er es, sobald von Vernunft die Rede ist? Es sollte nun doch des Lichtes Schuld seyn, daß ein Hohlspiegel seine Strahlen gebrochen zurückwirft? Nur das Heer der Mühseligkeiten sollte aus Pandorens Büchse hervorgestiegen seyn, damit die Allbegabte ihre Neugier ewig beweinte? Die griechische Fabel ist wenigstens consequent; denn sie heischt den Glauben an heimtückische, schadenfrohe Götter, die das prometheische Geschöpf verderben, aber nicht beglücken konnten. Fürwahr, eine trostlose Lehre! Wer bebt nicht vor ihr zurück, und sieht umher nach einer bessern Überzeugung, die seiner Seele den Frieden wieder geben kann? Wer sieht nicht lieber in allem, was die Nerven zur Thätigkeit spannt, weise Vorsorge der Natur, die allmählig jede Kraft zur Entwicklung reif macht, während daß ihr großes Werk der Zeugungen unaufhaltsam fortschreitet? Wer schließt nicht vielmehr so: da jene Entwicklung eine wesentliche Bedingung unseres Daseyns ist, so ist es ein Verdienst um die Menschheit, ihrer Betriebsamkeit einen neuen Schauplatz zu öfnen.

So rufe ich dann: Seegen über Euch, ihr Beförderer der sittlichen Bildung, denen das Schicksal eine empfängliche Organisation verlieh, denen es Gaben schenkte, die in tausend Jahren nur einmal die Weit beglücken! Gern gehorche ich dem allgemeinen Gefühl, dieser heiligen Stimme der Menschheit, die Euch, als wohlthätige Genien oder Halbgötter, dankbar verehrt. Du unbekannter erster Hirte auf den Höhen des[112] Kaukasus oder Altai, warst vielleicht unter tausenden deiner Brüder allein so organisirt, daß du am fröhlichen Hüpfen deiner gezähmten Lämmer um dich her mehr Vergnügen fandest, als am Röcheln des erwürgten Wildes! Welcher ganz andere, gewiß nicht minder seltene, Zusammenklang innerer Empfänglichkeit mit äußern Eindrücken bildete dich, kühner Bändiger des muthigen Rosses und des wilden Stiers? War es nicht eine Göttin, weiser Triptolem, die dich lehrte, das Zelt an eine feste Stätte zu binden, und goldne Saaten zu ärndten, so war es der göttliche Funke des Genius in dir; dieser Funke, der die Lippen des ersten Gesetzgebers mit Überredung begeisterte, als er Menschen durch Bande des wechselseitigen Vortheils in den engen Bezirk einer Stadt zusammen zog; eben derselbe, der den Keim des Handels pflegte, bis er als ein mächtiger Baum, den Nationen unter seinem Schatten süße Früchte trug; eben derselbe, der bey jeder glücklichen Anstrengung der Geisteskräfte so sichtbar hervorleuchtet; der auf Gama, Columbus, Magellan und Cook geruhet hat!

Wahrheit war die Botschaft, die alle große Männer an die Menschheit zu verkündigen hatten; Wahrheit, Verhältniß der Dinge unter einander und zu uns. Sie entledigten sich getreu ihres Auftrags, und brachten uns Wahrheit, das Kleinod dem Weisen, das Schwerdt in eines Narren Hand. Doch, Nutzen und Mißbrauch haben ihre Gränzen: die Aufklärung aber schreitet von Erfahrung zu Erfahrung ins Unbegränzte fort. »Vielleicht erschöpft sie einst alle Verhältnisse des Menschen, und bringt dann den Frieden des goldnen Zeitalters zurück?« Diese harmlose Hofnung, ein Stein der Weisen unseres Jahrhunderts, verdient wenigstens keinen Spott, so lange sie das aufgesteckte Ziel bleibt, welches so viele Kräfte für das Bedürfniß des gegenwärtigen Augenblicks in Bewegung erhält, und einen jeden anfeuert, in seiner Laufbahn nach der Vollkommenheit zu streben, die ihm erreichbar ist. Wenn die Verwegenheit, in eine Zukunft zu schauen, die unsern Augen geflissentlich entzogen ward, und Bestimmungen voraus zu sagen, welche sich aus den Prämissen der Erfahrung nicht folgern lassen, mit Irrthum bestraft werden muß: so konnte wenigstens keine Strafe unschädlicher, und keine zugleich wohlthätiger seyn, als diejenige, welche die Bilder der Phantasie[113] benutzt, um den Menschen an ein reelles Ziel zu geleiten. Ein solches Ziel ist die subjective Vervollkommnung, welche nur durch eine vollkommnere Erkenntniß der Wahrheit bewirkt werden kann; und so wäre denn das Verdienst des Entdeckers für Gegenwart und Zukunft entschieden; und es ist um desto wichtiger, je grösser der Zuwachs ist, den die Masse menschlicher Kenntnisse durch ihn erhält. In welchem Grade nun insbesondere Cook auf dieses Verdienst Anspruch machen kann, muß die bloße Aufzählung seiner Entdeckungen darthun.

Quelle:
Georg Forster: Werke in vier Bänden. Band 2, Leipzig [1971], S. 105-114.
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James Cook, der Entdecker: Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Frank Vorpahl

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