Spielmanns Lied

[31] Und legt ihr zwischen mich und sie

Auch Strom und Tal und Hügel,

Gestrenge Herrn, ihr trennt uns nie,

Das Lied, das Lied hat Flügel.

Ich bin ein Spielmann wohlbekannt,

Ich mache mich auf die Reise,

Und sing' hinfort durchs ganze Land

Nur noch die eine Weise:

»Ich habe dich lieb, du Süße,

Du meine Lust und Qual,

Ich habe dich lieb und grüße

Dich tausend, tausendmal!«


Und wandr' ich durch den laub'gen Wald,

Wo Fink und Amsel schweifen:

Mein Lied erlauscht das Völkchen bald

Und hebt es an zu pfeifen.

Und auf der Heide hört's der Wind,

Der spannt die Flügel heiter

Und trägt es über den Strom geschwind

Und über den Berg und weiter:[31]

»Ich habe dich lieb, du Süße,

Du meine Lust und Qual,

Ich habe dich lieb und grüße

Dich tausend, tausendmal!«


Durch Stadt und Dorf, durch Wies' und Korn

Spiel' ich's auf meinen Zügen,

Da singen's bald zu Nacht am Born

Die Mägde mit den Krügen,

Der Jäger summt es vor sich her,

Spürt er im Buchenhage,

Der Fischer wirft sein Netz ins Meer

Und singt's zum Ruderschlage:

»Ich habe dich lieb, du Süße,

Du meine Lust und Qual,

Ich habe dich lieb und grüße

Dich tausend, tausendmal!«


Und frischer Wind und Waldvöglein

Und Fischer, Mägd' und Jäger,

Die müssen alle Boten sein

Und meiner Liebe Träger.

So kommt's im Ernst, so kommt's im Scherz

Zu deinem Ohr am Ende;

Und wenn du's hörst, da pocht dein Herz,

Du spürst es, wer es sende:

»Ich habe dich lieb, du Süße,

Du meine Lust und Qual,

Ich habe dich lieb und grüße

Dich tausend, tausendmal!«

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 1, Leipzig und Wien 1918, S. 31-32.
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