Unter den alten Rüstern

[274] Ihr alten Rüstern,

Wie süß zur Rast

Lädt euer Flüstern

Den müden Gast![274]


O wogt und schattet

Ums Haupt mir kühl!

Noch dröhnt's ermattet

Vom Stadtgewühl,


Wo, nie entlastet,

Das Leben rollt,

Gewinnsucht hastet,

Parteiwut grollt,


Nach Brot die Menge

Und Spielen schreit,

Und hohl Gepränge

Die Kunst entweiht.


Vom eitlen Rauschen

Wie bin ich satt!

Nun will ich lauschen

Auf Blüt' und Blatt;


Nun will ich hören

Die Weise nur,

Die du in Chören

Mir singst, Natur,


Die große Weise,

Die, wo sie klingt,

In Schauern leise

Mein Herz verjüngt,


Das Lied vom Wachsen

Und vom Vergehn,

Nach dem die Achsen

Der Welt sich drehn.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 274-275.
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