Deprekation

[292] Epistel.


Stets von allem Geschäft in der Welt das verhaßteste war mir,

Briefe zu schreiben. So leicht mir das Wort in lebendiger Rede

Fließt, wenn die Sache mich reizt, so schwer entströmt es der Feder,

Langsam, brüchig und kalt, als ob auf dem längeren Umweg

Aus dem Herzen aufs Blatt mir Gefühl und Gedanke gefrören.

Kaum, daß ich munter begann, gleich blickt die verwünschte Kritik mir

Über die Schulter herein, und den Ausdruck allzu bedenklich

Wägend verpfusch' ich ihn leicht zu farblos steifer Korrektheit,

Statt im behaglichen Fluß frischweg von der Leber zu plaudern

Ganz, wie der Schnabel mir wuchs. Zum Teil wohl hab' ich's vom Vater,[292]

Der, ob Meister des Worts, sich besann, zwei Zeilen der Post nur

Anzuvertraun, und, an Freundschaft reich, nie Briefe gewechselt.

Drum dafern ihr im Ernst, wie ihr sagt, mir freundlich gesinnt seid,

Drängt unnötig mich nicht zum Schreiben und fordert insonders

Antwort nicht auf jedes Gefühl. Gern send' ich euch Auskunft,

Bündige, gilt's ein Geschäft, doch zu brieflicher Herzensergießung

Fehlt mir fürwahr das Geschick und fehlt vor allem die Neigung.


– »Aber es glückte dir doch manch Lied; wie darfst du behaupten,

Daß dir die kleinere Mühe zu viel?« – Nun, jeglicher hat ja

Seine Begabung für sich, und der schnell hinschießende Habicht

Ist schwerfällig zu Fuß. Niemals auch hab' ich am Schreibtisch

Mühsam, was ich gesungen, erdacht. Stets kam es von selbst mir,

Draußen im Freien, auf schweifendem Gang, wenn der Odem des Frühlings

Leis hinzog durch den Wald, mich bezaubernd, oder zur Herbstzeit,

Wenn von den Wipfeln das Laub sacht rieselte, goldenen Tränen

Ähnlich, und tief im Gemüt die entschlummerte Schwermut weckte.

Oder im Bette, des Nachts, aufdämmert' es mir, und am Morgen

War es zu Rhythmen erblüht, und fertig schrieb ich es nieder.

Freilich ändert' ich wohl mit Bedacht, und die Feile des Künstlers[293]

Braucht' ich mit Fleiß, doch zuvor in geheimnisvoller Empfängnis

Ward mir immer das Beste zuteil als himmlische Gabe.


Nie willkürlich darum, wenn die innere Nötigung ausblieb,

Hab' ich zu dichten gewußt, auf Begehr, wie der Meister des Handwerks

Rasch das Verlangte beschafft, zu Geburtstagsfeier und Hochzeit

Oder zum Neujahrsgruß. Und versucht' ich es dennoch, der Bitte

Weichend, so ward es darnach: ein zusammengestoppeltes Machwerk

Statt des lebendigen Lieds. Nur wenn in beglückender Stunde,

Wie sie dem Alternden, ach, nur noch selten erscheint und im Fluge,

Mir freiwillig die Muse genaht, da vermocht' ich zu schaffen,

Was mich selber erfreut' und vielleicht auch anderen echt schien.

Quelle:
Emanuel Geibel: Werke, Band 2, Leipzig und Wien 1918, S. 292-294.
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