Menalkas und Alexis

[122] Ein Greis war Menalkas, achtzig Jahre waren schon über sein Haupt hingeflogen; silbern war sein Haar auf seiner Scheitel und um sein Kinn, und ein Stab sicherte seinen wankenden Fußtritt. Und wie der, der nach den Arbeiten eines schönen Sommertages vergnügt an der Kühlung des Abends sitzt, den Göttern dankt und so den stillen Schlaf erwartet, so waren seine übrigen Tage den Göttern und der Ruhe heilig; denn er hatte gearbeitet und Gutes gethan, und erwartete gelassen und froh den Schlummer in dem Grabe. Er sah seine Kinder gesegnet; reiche Heerden und schöne Triften hatt' er ihnen übergeben. Mit zärtlicher Sorgfalt eiferten sie, wer mehr den frommen Alten erfreuen, mehr die Pflege der Jugend ihm vergelten könne; und das lassen die Götter nicht ungesegnet. Vor seiner Hütte saß er oft, oder im sonnenreichen Vorhaus, wo er den wohlbepflanzten Garten übersah, oder in weit sich verlierender[122] Entfernung die Arbeiten und den Reichtum des Feldes; oder er hielt den vorübergehenden mit freundlicher Schwatzhaftigkeit auf, und hörte die Geschichtgen der Nachbarschaft, und von dem Fremdling die Neuigkeiten, und Sitten und Gebräuche ferner Länder. Seine Kindeskinder, sein süssester Zeitvertreib, gauckelten dann um ihn her. Er schlichtete ihre kleinen Zwiste, und lehrte sie gütig seyn, und nachgebend, und mitleidig gegen Menschen und gegen das kleinste Thier; und unter die mannigfaltigen Spiele, die er sie lehrte, mischet' er immer süßtreffenden Unterricht. Er selbst macht' ihnen ihr Spielgeräthe; immer kamen sie gelaufen, mach uns dieß und mach uns das, und wenns fertig war, küßten sie ihn, und hüpften mit frohem Gewühl um ihn her. Aus Schilf lehrt' er sie Flöten machen und Hirtenpfeifen, und blies ihnen vor, wie man den Schafen und den Ziegen zur Weide und von der Weide bläst; lehrte sie viele Lieder; die kleinen mußten sie singen, die grössern sie mit der Flöte begleiten; oder er erzählte ihnen lehrreiche Geschichtgen; dann sassen sie aufmerksam am Boden oder auf der Thürschwelle um ihn her.

Einst saß er so im Vorhaus an der Sonne, und Alexis sein Enkel stand allein bey ihm. Ein schöner Jüngling, jetzt hatt' er dreyzehn Frühlinge gesehn; der jugendlichen Gesundheit Rosenfarbe glühte auf seinen Wangen, und in goldnen Locken wallete sein Haar. Und der Greis erzählte ihm von dem Vergnügen, andern Gutes zu thun, und dem, der in der Noth ist, beyzustehen; und daß kein Vergnügen dem gleicht, das man fühlt, wenn man eine gute That gethan hat: Die schön aufgehende Sonne, das Abendroth, der volle Mond in einer hellen Nacht, schwellen unsern Busen, vor Vergnügen; aber süsser, mein Sohn, süsser ist jene Freude noch. Dem schönen Knaben quollen Thränen die Wangen herunter; mit Entzücken sah es der Greis: Du weinest mein Sohn, so sagt' er, und sah mit freundlichem Blick ihm ins Gesicht; aber gewiß, nicht meine Reden allein können dieß; in deinem Busen muß etwas seyn, das ihnen diese Stärke giebt.[123]

Alexis wischte die Thränen von der Röthe seiner Wangen, aber neue quollen immer nach. Ach! sagt' er, ich fühl' es, ich fühl' es ganz; nichts ist süsser, als andern Gutes thun.

Menalkas drückte gerührt des Jünglings Hand in seine Hände und sprach: Auf deiner Stirne, in deinen Augen seh ich's, dich rührt etwas mehr, als das, was ich dir sagte.

Betroffen blickte der Jüngling seitwärts: Sind, so sprach er, deine Reden nicht rührend genug, Thränen wie Thau auf die Wangen zu giessen?

Ich sehe, mein Sohn, sagte Menalkas, ich sehe daß du mir was verhelest, zum erstenmal vielleicht, das deinen Busen schwellt, und schon auf deiner Zunge sitzt.

Alexis weinte und sprach: O so will ich dir alles erzählen, was ich sonst in dem innersten des Busens verschwieg. Nur halb gut ist der, der mit dem Guten prahlt, so lehrtest du uns; drum wollt ich verschweigen, was meinen Busen schwellt, was mir's so süß empfinden läßt, daß Gutesthun die süsseste Freud' unsers Lebens ist. Eins unsrer Schafe hatte sich verirret, ich sucht' es in dem Gebürge; und ich hörte im Gebürg' eine Stimme, die jammerte; da schlich ich mich hin, und ein Mann stand da. Er nahm eine schwere Bürde von der Schulter, und legte sie auf den dürren Boden hin. Weiter, so sprach er, vermag ich nicht zu gehen. Mühselig ist mein Leben, und kümmerliche Nahrung mein ganzer Gewinn. Stundenlang irr' ich schon mit dieser Last in der Mittagshitze, und keine Quelle find' ich, den brennenden Durst zu löschen; und kein Baum, und keine Staude bietet eine Frucht mir dar, daß sie mich erquicke. Ach Götter! um mich her seh ich nur Wildniß, keinen Fußsteig der mich zu den meinen führe, und weiter mögen meine schwankenden Kniee nicht. Doch ihr Götter! Ich murre nicht; denn immer habt ihr geholfen! So sagt er, und kraftlos legt er sich auf seine Bürde hin. Von ihm nicht gesehn, lief ich da so schnell ich konnte zu unsrer Hütte, raffte einen Korb voll gedörrter und frischer Früchte zusammen, nahm meine grösseste Flasche voll Milch, und, so schnell ich konnte, lief ich ins[124] Gebürge zurück, und fand den Mann noch, den jetzt ein sanfter Schlaf erquickte. Leise leise schlich ich mich zu ihm hin, und stellte mein Körbgen neben ihn und die Flasche voll Milch; und still schlich ich ins Gebüsche zurück. Aber bald da erwachte der Mann. Er sah auf seine Bürde hin und sprach: Wie süß ist die Erquickung des Schlafes! Nun will ich's versuchen dich weiter zu schleppen, hast du doch so sanft mir zur Pfülbe gedient. Vielleicht leiten die gütigen Götter meinen Schritt, daß ich bald das Rieseln einer Quelle höre; vielleicht eine Hütte finde, wo der gutthätige Hauswirth mich unter sein Dach aufnimmt. Jetzt wollt' er die Bürde auf die Schulter heben, da erblickt er die Flasche und den Korb. Aus seinen Armen entfiel die Bürde. Götter, was seh ich? so rief er. Ach! mir Hungrigen träumet von Speise; und wenn ich erwache ist's nichts mehr. Doch nein, Götter! Ich wache, ich wache! Jetzt langt' er nach den Früchten. Ich wache! O welche Gottheit, welche gütige Gottheit thut dieses Wunder? Das erste aus dieser Flasche giesse ich dir aus, und diese beyden, die grössesten dieser Früchte weyh' ich dir. Nimm, o nimm gnädig meinen Dank auf, der meine ganze Seele durchdringt! So sprach er, setzte sich hin, und mit Entzüken und mit Freudenthränen genoß er da sein Mahl. Erquickt stand er wieder auf, und dankte noch einmal der Gottheit, die so gütig für ihn sorgte. Oder, so sagt' er, haben vielleicht die Götter einen gutthätigen Sterblichen hergeführt, o warum soll ich ihn nicht sehn, ihn nicht umarmen? Wo bist du, daß ich dir danke, daß ich dich segne? Segnet ihn ihr Götter! Segnet den Redlichen, die seinen; segnet, o segnet alles was ihm zugehört! Satt bin ich, und diese Früchte nehm ich mit; mein Weib und meine Kinder sollen davon essen, und mit Freudenthränen mit mir den unbekannten Gutthäter segnen. Jetzt gieng er: O ich weinte vor Freude! Aber ich lief durchs Gebüsche den Weg ihm vor, und setzte mich an ein Bord hin, wo er vorbey mußte: Er kam, er grüßte mich, und sprach: Höre mein Sohn; sage, hast du niemanden auf diesem Gebürge gesehn, der eine Flasche trug[125] und einen Korb voll Früchte? – – Nein, niemand hab' ich in diesem Gebüsche gesehn, der eine Flasche trug und einen Korb voll Früchte. Aber sage mir, so fragt' ich, wie kömmst du in diese Wildniß? Übel hast du gewiß dich verirret; denn hier führt keine Strasse. Übel, so erwiedert er, übel hab' ich mich verirret, mein Sohn; und hätte nicht eine gütige Gottheit, oder ein Sterblicher, den die Götter dafür segnen werden, mich gerettet, so wär' ich vor Hunger und vor Durst im Gebürge gestorben. – – So laß mich nun den Weg dir weisen; gieb deine Bürde mir zu tragen, so folgest du mir leichter. Nach vielem Weigern gab er die Bürde mir; und so führt' ich ihn auf die Strasse. Und sieh, das ist es nun, was jetzt noch mich vor Freude weinen macht. Gering und mühelos war was ich that, und doch vergnügt es mich, wenn's mir zu Sinne kömmt, wie sanfter Sonnenschein. O wie muß der glücklich seyn, der viel Gutes gethan hat!

Und der Greis umarmte den schönen Knaben, voll der süssesten Freude. O, so sprach er, froh und ruhig geh ich ins Grab, laß ich doch Tugend und Frömmigkeit in meiner Hütte zurücke.

Quelle:
Salomon Gessner: Idyllen. Stuttgart 1973, S. 122-126.
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