Zweiter Abschnitt

[11] Hervor mit euch, ihr Herren Liebesgötter!

Bringt Leben in das schläfrige Gedicht!

Mythologie spricht zwanzigmal beredter,

Als die Natur, dieß deutsche Mädchen, spricht.

Auch kümmr' ich mich um alle deine Spötter,

Großmächtigster Herr Amor! trotzig nicht.

Ich hoffe steif, durch dich, bei wenig Geist,

Wohl so berühmt zu werden, als ein Kleist.

Zwar hält dich selbst die Weisheit noch in Ehren,

Wenn du durch Uz und Hagedorns Gesang,

Bald feinen Scherz, bald süßer Freude Lehren,

Verkündigest. Doch eine Katz' im Fang'

Will mancher Mann von Geist noch lieber hören,[12]

Als was von dir so manches Knäbchen sang,

Der, wie du selbst, am Bart' noch ohne Haar,

Doch nicht, wie du, ein Kind der Schönheit war.

Kurz um, ich mag bei so gestalt'ten Sachen,

Ob's Boileau und Batteur gleich erlaubt,

Mit Adlerkant dir keine Mühe machen,

Da ohnehin kein Mensch mehr an dich glaubt.

Ein Kritikus wird zwar den Grund verlachen;

Allein mich dünkt, das Herz fragt überhaupt

Den Kritikus nicht leicht: ist's wahr? ist's schön? –

So lebe wohl denn, bis auf's Wiedersehn.

Der Sekretär war jung, doch sehr bescheiden;

Er fühlte schon ein langes, langes Jahr

Ganz in Geheim der Liebe süße Leiden,

So freundlich auch das Fräulein Nettchen war.

Was quäl' ich mich? (so seufzt er) von uns beiden

Nimmt nie den Ring die Lieb' am Traualtar';

Denn, wird bei mir, dem es an Ahnen fehlt,

Wohl auf mein Herz und mein Verdienst gezählt?[13]

Das kannst du doch so unversucht nicht wissen!

Fiel ihm sogleich die treue Hoffnung ein.

Zwei Tage dich beim Abendpfeifchen missen:

Wie könnte das der alte Brunnenhain?

Was träumst du nun von tausend Hindernissen?

Ein Feiger wird kein schönes Mädchen frein!

Drum wirb, dem Vorurtheile zum Ersatz',

Nur noch zuvor um einen höhern Platz.

Das scheint nun leicht, und ist es in der That.

Denn, wie bekannt, gibt es der Wege viele:

Bestechungskunst schleicht einen andern Pfad,

Als Kriecherei, und jede kommt zum Ziele.

Nur theuer ist wahrhaftig! guter Rath

Für einen Mann, der thöricht die Gefühle

Von Edelmuth und eignem innerm Werth',

Im Vorgemach' Fortunens, in sich nährt.

Herr Adlerkant war auch in diesem Falle;

Geduldig saß er manche liebe Nacht,

Und rechnete, von einem Aktenwalle[14]

Rund eingefaßt, auf einen Deut, die Pracht

Der Mauten aus, indeß auf einem Balle

Sein Herr Kolleg' am Punschnapf' ihn verlacht',

Und auf der Ehrsucht Rechnung etwas schrieb,

Wozu ihn doch allein die Liebe trieb.

Den Schwärmer rührt nicht gleich ein Ungemach:

Was Wunder nun, daß keins auch unsern rührte,

Ihn, der, aus Vossens Musenalmanach,

Dafür ein Lied vor Nettchen deklamirte,

Am schmalen Tisch' – o Herrlichkeit! – beim Schach,

Ihr rundes Knie mit seinem Knie berührte,

Und am Klavier, durch manches Klagelied,

Versteckt gestand, was Nettchen längst errieth.

Einst, als er so zum Lautenzuge sang,

Sie, neben ihm, auf seinen Arm sich lehnte,

(Vermutlich, um der Noten krummen Gang

Genau zu sehn,) und jede Nerv' ihm dröhnte,

Er sie, sie ihn, keins wußte wie? umschlang,

Ihr Busen hoch sich in der Schnürbrust dehnte,[15]

Und, küssend, beid' ein Schwindel überfiel,

War er und sie zu gleicher Zeit am Ziel'.

Das Fräulein liebt' ihn, wie ihr eigen Leben;

(Auf kurze Zeit liebt jedes Mädchen so!)

Der kleine Stolz, den sechszehn Ahnen geben –

Auch sie war nicht ganz frei davon – entfloh;

Ihr Herz und ihr Verstand vertrugen eben

Wie Freunde sich: was fehlt' ihr, um so froh,

So gut zu seyn, als jeder, der dieß liest,

Hat er geliebt, wohl auch gewesen ist?

Wenn Adlerkant in sein Gespräch, was gut

Und edel ist, mit feinem Einschlag' webte,

Dann hüpft' in ihr ein jeder Tropfen Blut

Zum Herzen hin, das wie im Himmel schwebte,

Und, feuerfest noch wider jede Glut

Von Leidenschaft zu werden, sich bestrebte;

Selbst Thränen, wie Olint an der Statüe

Des Sokrates geweint hat, weinte sie.[16]

Ein Mädchenherz muß sehr verdorben seyn,

Das, wenn ein Mann wie Adlerkant es liebet,

Nicht edler fühlen lernt, nicht endlich Schein

Von Wahrheit trennt, und dieser sich ergibet.

Die Blüth' ist schön; wird sie von Dauer seyn?

Ich zweifle sehr. Wie Spreu im Wind' zerstiebet,

So wird auch sie, durch liebe Sinnlichkeit

Und Schmeichelei, früh oder spät zerstreut.

Antonia bestand mit Heldenmuthe

Beinah' ein Jahr in dieser Schwärmerei;

Nur regte sich mit unter wohl im Blute,

Ich weiß nicht, was? Fragt Mädchen, was es sey!

In dieser, ach! so kritischen Minute

Bleibt keine leicht der Tugend noch getreu.

Allein zum Glück', daß unser Adlerkant

Auf Fieber von der Art sich nicht verstand.

Blut hatt' auch er in seinen Adern zwar,

Bei allem Schwall' platonischer Ideen;

Auch wißt ihr schon, was seine Hoffnung war,[17]

Nur wagt' er's nicht, sie Nettchen zu gestehen.

Errathen wollt' er seyn! Dacht' er doch gar,

Man müsse nicht einmal um Liebe flehen,

Wenn Ehe nicht das Ziel der Bitte sey.

Wie neu war er in unsrer Welt, wie neu!

Das Fräulein schien ihn drum noch mehr zu lieben,

Wenn eben Ebb' in ihrem Blute war;

Doch, kam die Fluth zum Herzen angetrieben,

So deuchtet ihr der Mann ein wenig gar

Zu still und strenge. Die Manier zu lieben

Bringt freilich nicht die Mädchen in Gefahr;

Doch sie verräth den ernsten Ehemann,

Und dieser steht den Damen selten an.

Das Schlimmste war, daß unser Nettchen alle

Maximen, die der gute Adlerkant

Ihr einzuflößen sucht', in keinem Falle

Bei Leuten von bon ton anwendbar fand.

Was, im Gespräch mit jenem, ihre Galle[18]

Beinahe wie ein Juvenal empfand,

Das sah die feine Welt tagtäglich an,

Und niemand nahm ein Aergerniß daran.

Verzicht zu thun auf alle die Vergnügen,

Worauf das Glück der großen Welt beruht,

An die Natur und Tugend sich zu schmiegen,

Und so, sich selbst genug, mit kaltem Blut',

Die Leute von bon ton wie Gold zu wiegen:

Ja, ja, ihr Herrn, das ist fürwahr ganz gut,

Allein so schwer, daß man's, in Nettchens Stadt,

Den Fräulein noch nicht angemuthet hat.

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 11-19.
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