Die Nuß

[68] 1770.


Geröthet von der Sonne, hing

Einst eine Nuß am Baum';

Ich war ein Knab', und so ein Ding

So recht für meinen Gaum.

Ich kletterte den Baum hinan;

Mein war die Nuß! hinein

Biß ich, fing aber hurtig an

Sie wieder auszuspein.

Mit Tugend auf der Stirne, stand

Ein Mädchen einst am Bach';

Ich war ein Jüngling, und empfand

Die Liebe allgemach.[69]

Ihr Herz war sanft; ich bat darum;

Mein ward's, nach langem Harr'n.

Drauf nahm sie mir's, weiß nicht, warum?

Und schenkt' es einem Narrn.

Mit Weisheit auf den Lippen, saß

Ein Autor einst bei mir;

Ich war ein Mann, und hört' und las

Die Weisen mit Begier.

Ich warb um seine Freundschaft zwar,

Mein ward sie auch; darauf

Gab aber mich sein Golddurst gar

Für einen Schurken auf.

Itzt seh' ich erst bei Nüssen zu:

Zernagt' ein Wurm den Kern?

Bei Mädchen: Aendert sie ein Nu?

Beim Mann': Was lockt den Herrn?

Quelle:
Leopold Friedrich Günther von Goeckingk: Gedichte. Teil 1–4, Teil 4, Frankfurt a.M. 1821, S. 68-70.
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