Zweiter Auftritt

[23] Der Marquis. Die Marquise.


MARQUISE. Ich komme früher, als ich dachte.

MARQUIS. Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen.

MARQUISE. Warum kamst du mir nicht auch entgegen? Der Domherr hatte dich eingeladen.

MARQUIS. Verzeih mir! Ich hatte eben gestern vieles zu berichtigen.[23] Du schriebst mir ja, daß ich mich zu einer Reise vorbereiten sollte.

MARQUISE. Du hast nicht viel verloren. Der Domherr war unleidlich und die Gesellschaft verstimmt. Zuletzt überraschte uns noch der Graf und jagte uns auseinander. Man muß sich nun einmal die Tollheiten dieses Menschen gefallen lassen.

MARQUIS lächelnd. Wie geht es denn mit deiner Unterhandlung? Ironisch. Hast du dich bei Hofe recht eingeschmeichelt?

MARQUISE. Es ist wahr, wir haben uns lange nicht gesehen. Du warst abwesend, als ich verreiste. Gleich als der Fürst und die Prinzessin auf das Lustschloß hinausgezogen waren, mietete ich mir ein kleines Landhaus in der Nähe und wohnte da ganz im stillen, indes sich der Domherr einbildete, ich sähe die Prinzessin täglich. Ich schickte ihm Boten, ich erhielt Briefe von ihm, und seine Hoffnung war aufs äußerste gespannt. Denn wie unglücklich dieser Mann ist, seitdem ihn sein unkluges Betragen vom Hofe entfernt hat, wie leichtgläubig, wenn seinen Hoffnungen geschmeichelt wird, läßt sich nicht denken. Ich brauchte es nicht so künstlich anzulegen, als ich es getan habe, und ich überredete ihn doch.

MARQUIS. Aber auf die Länge kann dieses Märchen nicht halten.

MARQUISE. Dafür laß mich sorgen. Er ist jetzt nahe dem Gipfel seiner Glückseligkeit. Heute nacht, als er mich auf seinem Landhause empfing, brachte ich ihm einen Brief von der Prinzessin –

MARQUIS. Von der Prinzessin?

MARQUISE. Den ich selbst geschrieben hatte. Er war in allgemeinen Ausdrücken gefaßt; die Überbringerin, hieß es, würde mehr sagen.

MARQUIS. Und weiter?

MARQUISE. Ich kündigte ihm die Gnade der Prinzessin an; ich versicherte ihn, daß sie sich bei ihrem Vater verwenden[24] und die Gnade des Fürsten gewiß für ihn wiedererlangen würde.

MARQUIS. Gut! aber welchen Vorteil versprichst du dir von allem diesem?

MARQUISE. Erstlich eine Kleinigkeit, in die wir uns auf der Stelle teilen wollen. Sie zieht einen Beutel hervor.

MARQUIS. Bestes Weib!

MARQUISE. Das erhielt ich vom Domherrn, um die Garderobe der Fürstin mir günstig zu machen. Zähle dir nur gleich deine Hälfte davon ab.


Marquis tritt an den Tisch und zählt, ohne auf das, was sie sagt, achtzugeben.


MARQUISE. aber, wie gesagt, eine Kleinigkeit! – Gelingt mir mein Anschlag, so sind wir auf immer geborgen. – Die Hofjuweliere haben schon lange ein kostbares Halsband liegen, das sie gern verkaufen möchten; der Domherr hat so viel Kredit, daß sie es ihm wohl einhändigen, wenn er ihnen eine terminliche Zahlung garantiert, und ich –

MARQUIS der nach ihr hinsieht. Was sagst du von Terminen? von Zahlung?

MARQUISE. Merkst du denn nicht auf? Du bist so ganz bei dem Gelde.

MARQUIS. Hier hast du deine Hälfte! Die meine soll gut angewendet werden. Sieh einmal, wie ich mich herausgeputzt habe. Er zeigt sich ihr; dann tritt er vor den Spiegel.

MARQUISE für sich. O des eitlen, kleinlichen Menschen!

MARQUIS sich herumkehrend. Was wolltest du sagen?

MARQUISE. Du hättest besser aufgemerkt, wenn du hättest ahnen können, von welcher wichtigen Sache ich sprach. Es ist nichts weniger, als mit einem einzigen Schlage unser ganzes Glück zu machen.

MARQUIS. Und wie?

MARQUISE. Erinnerst du dich, von dem kostbaren Halsbande gehört zu haben, das die Hofjuweliere arbeiten[25] ließen, in Hoffnung, der Fürst solle seiner Tochter damit ein Geschenk machen?

MARQUIS. Ganz recht! Ich habe es sogar diese Woche noch bei ihnen gesehen, als ich diesen Ring kaufte; es ist von unglaublicher Schönheit. Man weiß nicht, ob man die Größe der Steine, ihre Gleichheit, ihr Wasser, die Anzahl oder den Geschmack, womit sie zusammengesetzt sind, am meisten bewundern soll. Ich konnte mich vom Anblick nicht scheiden; dieser Ring verschwand zu nichts dagegen; ich ging recht unzufrieden weg und konnte mir das Halsband einige Tage nicht aus dem Sinne schaffen.

MARQUISE. Und dieses Halsband soll unser werden!

MARQUIS. Dieses Halsband? Unser? Du erschreckst mich! Welch ein ungeheurer Gedanke!

MARQUISE. Glaubst du, daß ich weiter keine Absicht habe, als dir für Uhren, Ringe und Stahlknöpfe zu sorgen? Ich bin gewohnt, armselig zu leben, aber nicht armselig zu denken. – Wir haben uns lange genug elend beholfen, unter unserm Stande, unter der Würde meiner großen Vorfahren leben müssen; jetzt, da sich eine Gelegenheit darbietet, will ich gewiß nicht kleinlich sein und sie entschlüpfen lassen.

MARQUIS. Aber um's Himmels willen, was ist dein Plan? Wie ist es möglich, ihn auszuführen?

MARQUISE. Höre mich! Dem Domherrn mach ich glauben, die Prinzessin wünsche das Halsband zu besitzen, und daran sage ich keine ganze Unwahrheit: denn man weiß, daß es ihr außerordentlich gefallen hat und daß sie es gern besessen hätte. Ich sage dem Domherrn ferner: die Prinzessin wünsche das Halsband zu kaufen, und verlange von ihm, daß er nur seinen Namen dazu hergeben solle, daß er den Kauf mit den Juwelieren schließe, die Termine festsetze und allenfalls den ersten Termin bezahle. Sie wolle ihn völlig schadlos halten und diesen Dienst als ein Pfand seiner Treue, seiner Ergebenheit ansehen.[26]

MARQUIS. Wie verblendet muß er sein, so viel zu wagen!

MARQUISE. Er glaubt ganz sicher zu gehen. Auch habe ich ihm schon ein Blatt zugestellt, in welchem die Prinzessin ihm Sicherheit zu versprechen scheint.

MARQUIS. Liebe Frau, das wird gefährlich!

MARQUISE. Schäme dich! Mit mir darfst du alles wagen. Ich habe mich schon vorgesehen in Absicht auf die Ausdrücke, die Unterschrift. Sei nur ruhig! – Und wenn alles entdeckt würde, bin ich nicht als ein Seitenzweig der fürstlichen Familie so gut als anerkannt? – Höre nur! Der Domherr ist jetzt voller Freuden über dieses Vertrauen; er sieht darin ein gewisses Zeichen der neugeschenkten Gunst und wünscht nichts sehnlicher, als daß der Kauf zustande und das Halsband schon in ihren Händen sei.

MARQUIS. Und dieses Halsband denkst du zu unterschlagen?

MARQUISE. Natürlich! Mache dich nur immer reisefertig. Sobald der Schatz in unsern Händen ist, wollen wir ihn nutzen. Wir brechen den Schmuck auseinander, du gehst nach England hinüber, verkaufest, vertauschest zuerst die kleinen Steine mit Klugheit; ich komme nach, sobald mir meine Sicherheit nicht mehr erlaubt, hier zu bleiben; indessen will ich die Sache schon so führen und so verwirren, daß der Domherr allein steckenbleibt.

MARQUIS. Es ist ein großes Unternehmen; aber sage mir, fürchtest du dich nicht, in der Nähe des Grafen, dieses großen Zauberers, solch einen Plan zu entwerfen?

MARQUISE. Ein großer Schelm ist er! Seine Zauberei besteht in seiner Klugheit, in seiner Unverschämtheit. Er fühlt wohl, daß ich ihn kenne. Wir betragen uns gegeneinander, wie sich's gebührt; wir verstehen einander, ohne zu sprechen; wir helfen einander ohne Abrede.

MARQUIS. Aber die Geister, die er bei sich hat?

MARQUISE. Possen!

MARQUIS. Die Wunder, die er tut?

MARQUISE. Märchen!

MARQUIS. So viele haben doch gesehen –[27]

MARQUISE. Blinde!

MARQUIS. So viele glauben –

MARQUISE. Tröpfe!

MARQUIS. Es ist zu allgemein! Die ganze Welt ist davon überzeugt!

MARQUISE. Weil sie albern ist!

MARQUIS. Die Wunderkuren –

MARQUISE. Scharlatanerie!

MARQUIS. Das viele Geld, das er besitzt –

MARQUISE. Mag er auf ebendem Wege erlangt haben, wie wir das Halsband zu erlangen gedenken.

MARQUIS. Du glaubst also, daß er nicht mehr weiß als ein anderer?

MARQUISE. Du mußt unterscheiden – wenn du kannst. Er ist kein gemeiner Schelm. Er ist so unternehmend und gewaltsam als klug, so unverschämt als vorsichtig; er spricht so vernünftig als unsinnig; die reinste Wahrheit und die größte Lüge gehn schwesterlich aus seinem Munde hervor. Wenn er aufschneidet, ist es unmöglich zu unterscheiden, ob er dich zum besten hat oder ob er toll ist. – – Und es braucht weit weniger als das, um die Menschen verwirrt zu machen.

JÄCK hereinspringend. Ihre Nichte fragt, ob sie aufwarten kann? – Sie ist hübsch, Ihre Nichte!

MARQUISE. Gefällt sie dir? – Laß sie kommen.


Jäck ab.


MARQUISE. Ich wollte dich eben fragen, wie dir es gegangen ist, ob du sie glücklich in die Stadt gebracht hast? Wie ist sie geworden? Glaubst du, daß sie ihr Glück machen wird?

MARQUIS. Sie ist schön, liebenswürdig, sehr angenehm; und gebildeter, als ich glaubte, da sie auf dem Lande erzogen ist.

MARQUISE. Ihre Mutter war eine kluge Frau, und es fehlte in ihrer Gegend nicht an guter Gesellschaft. – Da ist sie.[28]


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 23-29.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Großkophta
Der Großkophta

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon