Achter Auftritt

[79] DER RITTER der aus dem Kabinett hervorgeht. Was hab ich gehört, und in welchen Abgrund von Verräterei und Nichtswürdigkeit hab ich hineingeblickt! Niemals konnte ich diese Menschen achten, mit denen ich leben mußte! Oft waren sie mir verdächtig; aber wenn man sie bei mir solcher verruchten Handlungen wegen angeklagt hätte, ich hätte sie gegen jedermann in Schutz genommen. Nun versteh ich dich, schöne Verführerin, warum du mich erst morgen früh sehen wolltest! Gewiß war es ihr bekannt, daß der Marquis heute nacht verreisen solle; aber daß er sie zwingen würde, mit ihm zu gehen, dachte sie nicht. Sie glaubte gewiß, seine Neigung zu ihr sei erschöpft, wie ihre Neigung zu ihm. O die Abscheuliche! Diese Unschuld zu heucheln! – Wie ein himmlischer Geist stand sie vor uns, und die reinsten Wesen schienen durch ihren Mund zu sprechen, indes sie, eines Liebhabers überdrüssig, sich nach andern umsieht und über die Zauberkugel weg nach den betrogenen Männern schielt, die sie als ein himmlisches Wesen anbeten. Wie soll ich das alles zurechtlegen, was ich gehört habe? Was soll ich tun? Der Graf und die Marquise spinnen den unerhörtesten Betrug an. Um ihren ungeheuern Plan durchzuführen, wagen sie es, den Namen einer vortrefflichen Fürstin zu mißbrauchen, ja sogar ihre Gestalt in einem schändlichen Possenspiel nachzuäffen. Früher oder später wird sich's entdecken, und die Sache endige sich, wie sie wolle, so muß sie dem Fürsten und der Fürstin höchst unangenehm[79] sein. Es leidet keinen Aufschub. – Soll ich hingehen und dem betrogenen Domherrn die Augen eröffnen? Noch wäre es möglich, ihn zu retten! Das Halsband ist zerstückt; aber noch ist der Marquis hier, man kann sie festhalten, ihnen den Schmuck abnehmen, die Betrüger beschämen und sie in der Stille verjagen. – Gut, ich gehe. – Doch halt! Das tu ich um des kalten, eigennützigen Weltmannes willen? Er wird mir danken und für die Rettung aus der ungeheuren Gefahr mir seine Protektion versprechen, mir eine ansehnliche Charge zusichern, sobald er sich wieder würde in Gunst gesetzt haben. Diese Erfahrung macht ihn nicht klug; er wird dem ersten besten Betrüger sich wieder in die Hände geben, sich immer leidenschaftlich, ohne Sinn, Verstand und ohne Folge betragen; wird mich als einen Schmarotzer in seinem Hause dulden; wird bekennen, daß er mir Verbindlichkeiten habe, und ich werde vergebens auf eine reelle Unterstützung warten, da es ihm, ungeachtet seiner schönen Einnahme, immer an barem Gelde fehlt. – – Geht nachdenkend auf und nieder. Törichter, beschränkter Mensch! Und du siehst nicht ein, daß sich hier der Weg zu deinem Glücke öffnet, den du so oft vergebens gesucht hast? Mit Recht hat dich heute der Domherr als einen Schüler verlacht, mit Recht der Graf deine Gutmütigkeit auf eine verruchte Weise mißbraucht! Du verdientest jene Lektion, da du nicht einmal durch sie klüger geworden bist. – Sie glaubten nicht, dich zu ihrem Verderben zu unterrichten. – Wohl, so soll es sein! Ich eile zu dem Minister. Er ist eben auf dem Landhause, wohin diese Betrüger zusammen in die Falle gehen. Sie sind keiner Schonung wert! Es ist eine Wohltat fürs menschliche Geschlecht, wenn sie nach Verdienst gestraft werden, wenn man sie außerstand setzt, ihre Künste weiter fort zu treiben. Ich eile; der Moment ist entscheidend! Werden sie über der Tat ergriffen, so ist alles bewiesen. Die Steine, die der Marquis in der Tasche hat, zeugen wider ihn; es hängt[80] von dem Fürsten ab, die Schuldigen zu behandeln, wie es ihm recht dünkt, und ich werde mit leeren Versprechungen gewiß nicht hingehalten. Ich sehe mein Glück mit dem Anbruche des Tages hervortreten! Hier ist nicht ein Augenblick zu säumen! Fort! Fort!

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 79-81.
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