Siebenter Auftritt

[91] Die Vorigen. Der Graf.


DER GRAF den zwei Schweizer mit den umgekehrten Hellebarden vor sich hertreiben. Ich sag euch, daß ihr eure Grobheit zeitlebens zu büßen haben werdet! Mir so zu begegnen! Dem größten aller Sterblichen! Wißt, ich bin Conte di Rostro, di Rostro impudente, ein ehrsamer, überall verehrter Fremder, ein Meister aller geheimen Wissenschaften, ein Herr über die Geister –

SCHWEIZER. Bring Er das unserm Obersten vor, der versteht das Welsche, sieht Er; und wenn Er nicht geradezu geht, so werden wir Ihn rechts und links in die Rippen stoßen und Ihm den Weg weisen, wie's uns befohlen ist.

GRAF. Habt Ihr Leute denn gar keine Vernunft?

SCHWEIZER. Die hat der, der uns kommandiert. Ich sag's Ihm, geh Er geradezu, ganz gerade dahin, da steht unser Oberster.

GRAF gebieterisch. Wagt es nicht, mich anzurühren!

DOMHERR der auf die Stimme des Grafen zu sich kommt und auffährt. Ja, da erwartete ich dich, großer Kophta, würdigster Meister, erhabenster unter allen Sterblichen! So ließest du deinen Sohn fallen, um ihn durch ein Wunder wieder zu erheben. Wir sind dir alle auf ewig verpflichtet. Ich brauche dir nicht zu gestehen, daß ich dieses Abenteuer hinter deinem Rücken unternahm. Du weißt, was geschehen ist; du weißt, wie unglücklich es ablief; sonst wärst du nicht gekommen. In dieser einzigen Erscheinung, großer Kophta, verbindest du mehr edle Seelen, als du vielleicht auf deiner langen Wallfahrt auf Erden beisammen gesehen hast. Hier steht ein Freund vor dir, vor wenig Augenblicken der glücklichste, jetzt der unglücklichste aller Menschen. Hier eine Dame, des schönsten Glücks wert. Hier Freunde, die das Mögliche und Unmögliche zu wirken mit der lebhaftesten Teilnahme versuchten. Es ist was Unglaubliches geschehen. Wir[91] sind hier beisammen, und wir leiden nur aus Mißtrauen gegen dich. Hättest du die Zusammenkunft geführt, hätte deine Weisheit, deine Macht die Umstände gefügt – Einen Augenblick nachdenkend und mit Entschlossenheit fortfahrend. Nein, ich will nichts sagen, nichts wünschen: dann wäre alles gegangen, wie es abgeredet war, du hättest nicht Gelegenheit gehabt, dich in deinem Glanze sehen zu lassen, gleichsam als ein Gott aus einer Maschine herunterzusteigen und unsre Verlegenheit zu endigen. Er naht sich ihm vertraulich und lächelnd. Was beschließen Sie, mein Freund? Sehn Sie, schon stehn unsre Wächter wie betäubt: nur ein Wort von Ihnen, so fallen sie in einen Schlummer, in dem sie alles vergessen, was geschah, und wir begeben uns inzwischen glücklich hinweg. Geschwind, mein Freund, drücken Sie mich an Ihre Brust, verzeihen Sie mir und retten Sie mich!

GRAF gravitätisch ihn umarmend. Ich verzeihe dir! Zu dem Obersten. Wir werden zusammen sogleich von hier wegfahren.

OBERSTER lächelnd. O ja! recht gern!

DOMHERR. Welch ein Wunder!

MARQUISE zum Marquis. Was soll das heißen? Wenn der uns noch rettete!

MARQUIS. Ich fange an zu glauben, daß er ein Hexenmeister ist.

OBERSTER. Ich brauche diese Reden nicht weiter anzuhören; ich weiß nur schon zu klar, mit wem und was ich zu tun habe. Gegen die Szene gekehrt. Treten Sie nur auch herein, junger Mann, Sie haben mich lange genug allein gelassen.


Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe. Poetische Werke [Band 1–16], Berlin 1960 ff, S. 91-92.
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