Dritter Auftritt


[278] Die Vorigen. Hofmeisterin.


HOFMEISTERIN.

Dem günst'gen Wind gehorcht die Flotte schon'

Die Segel schwellen, alles eilt hinab.

Die Scheidenden umarmen tränend sich,

Und von den Schiffen, von dem Strande wohn

Die weißen Tücher noch den letzten Gruß.

Bald lichtet unser Schiff die Anker auch!

Komm! laß uns gehen! Uns begleitet nicht

Ein Scheidegruß, wir ziehen unbeweint.

GERICHTSRAT.

Nicht unbeweint, nicht ohne bittern Schmerz

Zurückgelaßner Freunde, die nach euch

Die Arme rettend strecken. O! vielleicht[278]

Erscheint, was ihr im Augenblick verschmäht,

Euch bald ein sehnsuchtswertes, fernes Bild.


Zu Eugenien.


Vor wenigen Minuten nannt' ich dich's

Entzückt willkommen! Soll ein Lebewohl

Behend auf ewig unsre Trennung siegeln?

HOFMEISTERIN.

Der Unterredung Inhalt, ahn' ich ihn?

GERICHTSRAT.

Zum ew'gen Bunde siehst du mich bereit.

HOFMEISTERIN zu Eugenien.

Und wie erkennst du solch ein groß Erbieten?

EUGENIE.

Mit höchst gerührten Herzens reinstem Dank.

HOFMEISTERIN.

Und ohne Neigung, diese Hand zu fassen?

GERICHTSRAT.

Zur Hilfe bietet sie sich dringend an.

EUGENIE.

Das Nächste steht oft unergreifbar fern.

HOFMEISTERIN.

Ach! fern von Rettung stehn wir nur zu bald.

GERICHTSRAT.

Und hast du künftig Drohendes bedacht?

EUGENIE.

Sogar das letzte Drohende, den Tod.

HOFMEISTERIN.

Ein angebotnes Leben schlägst du aus?

GERICHTSRAT.

Erwünschte Feier froher Bundestage.

EUGENIE.

Ein Fest versäumt' ich, keins erscheint mir wieder.

HOFMEISTERIN.

Gewinnen kann, wer viel verloren, schnell.

GERICHTSRAT.

Nach glänzendem ein dauerhaft Geschick.

EUGENIE.

Hinweg die Dauer, wenn der Glanz verlosch.

HOFMEISTERIN.

Wer Mögliches bedenkt, läßt sich genügen.

GERICHTSRAT.

Und wem genügte nicht an Lieb und Treue?

EUGENIE.

Den Schmeichelworten widerspricht mein Herz

Und widerstrebt euch beiden, ungeduldig.

GERICHTSRAT.

Ach, allzu lästig scheint, ich weiß es wohl,

Uns unwillkommne Hilfe! Sie erregt

Nur innern Zwiespalt. Danken möchten wir,

Und sind undankbar, da wir nicht empfangen.

Drum laßt mich scheiden! doch des Hafenbürgers

Gebrauch und Pflicht vorher an euch erfüllen,

Aufs unfruchtbare Meer von Landesgaben

Zum Lebewohl Erquickungsvorrat widmen.

Dann werd' ich stehen, werde starren Blicks

Geschwollne Segel ferner, immer ferner,

Und Glück und Hoffnung weichend schwinden sehn.[279]


Quelle:
Goethes Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 5, Hamburg 1948 ff, S. 278-280.
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