1768

[156] 1/39.


An Ernst Wolfgang Behrisch

Leipzig d. Merz 1768.

Wenn dir an einem Briefe von mir etwas gelegen war, so tahtest du wohl zu schreiben, denn du hättest gewiss lange warten sollen. Doch du hast lange gewartet; aber Kind, weisst du denn warum? Ein schönes Compliment vom Docktor deinem Bruder und vom Prinzen dem kleinen. Nicht wahr das hättest du nie vermuhtet, ich binn in Dreßden gewesen, auf zwölf Tage, die Gallerie zu sehen, die habe ich gesehen, was man gesehen heisst. Deine Brüder sind wohl, und haben mich wohl bewirthet. Dresden ist ein Ort, der herrlich ist, und wenn mirs erlaubt wäre ein kleines Supplement daran zufügen, so wünschte ich mich nie heraus.

Viel Mühe und Jammer kostete es mich Augusten auszufragen, und nach vieler Mühe erfuhr ich daß sie fort war, das war dumm.

Könnte man nicht erfahren wer das alberne Heurahtsprojekt ausgedacht hat, und was das für ein jämmerlicher Ton ist in dem du mit Augusten stehst.

Was macht Annette? Ey, ey! Giebts eine Annette in der Welt? Weisst du's auch noch? ich dächte du hättest es längst vergessen, wenigstens hast du in 3 guten Monaten nichts nach ihr gefragt, und ich binn auch so höflich gewesen dir nichts von ihr zu schreiben.

[156] Gut wenn du es wissen willst wie es mit uns steht, so wisse. Wir lieben einander mehr als jemals ob wir einander gleich seltner sehen. Ich habe den Sieg über mich erhalten sie nicht zu sehen, und nun dacht ich gewonnen zu haben, aber ich bin elender als vorher, ich fühle daß die Liebe sich selbst in der Abwesenheit erhalten wird. Ich kann leben ohne sie zu sehen, nie, ohne sie zu lieben. Allen Verdruß den wir zusammen haben mache ich. Sie ist ein Engel, und ich binn ein Narr.

Höre Behrisch, ich kann ich will das Mädgen nie verlassen, und doch muss ich fort, doch will ich fort; Aber sie soll nicht unglücklich seyn. Wenn sie meiner wehrt bleibt, wie sie's jetzt ist! Behrisch! Sie soll glücklich seyn. Und doch werd' ich so grausam seyn, und ihr alle Hoffnung benehmen. Das muss ich. Denn wer einem Mädgen Hoffnung macht, der verspricht. Kann sie einen rechtschaffnen Mann kriegen, kann sie ohne mich glücklich leben, wie fröhlich will ich seyn. Ich weiß was ich ihr schuldig binn, meine Hand und mein Vermögen gehört ihr, sie soll alles haben was ich ihr geben kann. Fluch sey auf dem, der sich versorgt eh das Mädgen versorgt ist, das er elend gemacht hat. Sie soll nie die Schmerzen fühlen, mich in den Armen einer andern zu sehen, biß ich die Schmerzen gefühlt habe, sie in den Armen eines andern zusehen, und vielleicht will ich sie auch da mit dieser schröcklichen Empfindung verschonen. Es ist sehr verworren[157] was ich geschrieben habe, aber du magst dich heraus dencken. Du kennst mich.

Schicke mir doch mein Büchlein Annette mit der nächsten Post. Du brauchst es doch nicht, und ich habe wieder an den Gedichten geändert und neue gemacht. Streiche in dem Gedichte Der wahre Genuß das strittige Wort aus, und setze Freund dafür.

Mein Schäferspiel hat schröckliche Correckturen gelitten, und ist seiner Endigung nah. Du sollsts auch haben. Wenn du geschickt bist sollst du bald wieder einen Brief kriegen. Adieu.


1/40.


An Ernst Wolfgang Behrisch

d. 26 Apr. 1768.

Lange nicht geschrieben Behrisch, lange nicht, und doch immer ebenderselbe wie ich war. Siehe ich habe dich noch so lieb als ich dich hatte und Netten noch so lieb als ich sie hatte, mehr noch beyde wenn ich die Wahrheit sagen soll, denn stärcker ist eine Leidenschafft wenn sie ruhiger ist, und so ist meine. O Behrisch ich habe angefangen zu leben! Daß ich dir alles erzählen könnte! Ich kann nicht, es würde mich zu viel kosten. Genug sey Dirs, Nette, ich, wir haben uns getrennt, wir sind glücklich. Es war Arbeit, aber nun sitz ich wie Herkules, der alles getahn hat, und betrachte die glorreiche Beute umher. Es war ein[158] schröcklicher Zeitpunckt biß zur Erklärung, aber sie kam die Erklärung und nun – nun kenn ich erst das Leben. Sie ist das beste, liebenswürdigste Mädgen, nun kann ich dir schwören, daß ich nie nie aufhören werde das für sie zu fühlen was das Glück meines Lebens macht, das zu dencken was ich dir neulich geschrieben habe, und das zu wollen. Behrisch, wir leben in dem angenehmsten freundschafftlichsten Umgange, wie du und sie; keine Vertraulichkeit mehr, nicht ein Wort von Liebe mehr, und so vergnügt, so glücklich, Behrisch sie ist ein Engel. Es sind heute zwey Jahre daß ich ihr zum erstenmal sagte, daß ich sie liebte, Zwey Jahre Behrisch und noch. Wir haben mit der Liebe angefangen und hören mit der Freundschafft auf. Doch nicht ich. Ich liebe sie noch, so sehr, Gott so sehr. O daß du hier wärest, daß du mich trösten, daß du mich lieben könntest. Ich käme gern zu dir, recht gerne; aber deine Umstände, sie sind nicht vortheilhaft für Freunde die dich besuchen wollen. Da hast du eine Landschaft, das erste Denckmal meines Nahmens, und der erste Versuch in dieser Kunst. Bessere nachfolgende werden es rechtfertigen, ich hoffe weiter zu kommen.

Da hast du das Lustspiel, du wirst es kaum mehr kennen. Horn will, ich soll nichts mehr dran korrigiren aus Furcht es zu verderben, und er hat fast recht. Es mag gut seyn, es fehlt nur noch ein Auftritt daran, der siebente der nicht fertig ist. Schreibe[159] bald deine Gedancken. Höre noch was. Behalte das Geld was ich noch kriegen sollte, biß Michael, mit der Bedingung daß du mir den Reukauf erlaubest, wenn mein Vater die Grille kriegen sollte es nach Frankfurt zu haben. Adieu.


1/41.


An Ernst Wolfgang Behrisch

[Leipzig, Mai 1768.]

Da hast du die Lieder, ich konnte dir sie ohnmöglich eher schicken. Hiermit benachrichtige ich dich zugleich daß du das Clavier behalten kannst, möge es sich wohl halten, und dir manchesmal eine Erinnerung meiner seyn.

Ferner sende ich dir 3 meiner neusten Lieder, wenn du mit ihnen zufrieden bist, so lass sie von deinem grosen Meister componiren, et sublimi feriam sidera vertice. Ein Compliment von Netten. Horn wird täglich unsinniger. Und ich gehe nun täglich mehr Bergunter. 3 Monate noch Behrisch, und darnach ist's aus. Gute Nacht ich mag davon nichts wissen.[160]


1/42.


An Adam Friedrich Oeser

Theuerster Herr Professor,

Zwölf Tage bin ich nun wieder in meiner wehrten Vaterstadt, von Anverwandten, und Freunden, und Bekanndten umgeben die sich über meine Ankunft teils freuen, teils verwundern, und alle sich bemüen, dem neuen Ankömling, dem halben Fremdling gefällig zu seyn, und ihm eine Stadt die zusehr Antithese von Leipzig ist um viel Annehmlichkeiten für ihn zu haben, durch einen freundschafftlichen Umgang erträglich zu machen. Wir wollen sehen wieweit sie's bringen, jetzo kann ich nichts sagen, ich binn zu zerstreut, und mit meiner neuen Einrichtung zu sehr beschäfftigt, als daß mein Herz für das was ich verlohren habe, und für das was ich hier wieder finde, viel Empfindung haben sollte. Ich schreibe Ihnen auch für dießmal nichts, als daß meine Ankunft nach einer glücklichen Reise, eine erwünschte Ruhe über meine Famielie verbreitet hat, daß meine Kranckheit, die nach dem Ausspruch meiner hiesigen Aerzte nicht so wohl in der Lunge als in denen dazu führenden Teilen liegt, sich täglich zu bessern scheint. Daß Ihr Tischer nachdem er sich einige Tage bey uns aufgehalten, mit guten Empfelungsschreiben an den Ort seiner Bestimmung,[161] in der Hoffnung seine Sache so gut als möglich auszuführen gereißt ist, und sich Ihnen und Ihrem ganzen Hause bestens empfelen läßt. Und das sey für diesmal alles. Jede danckbaare Empfindung für alles was ich Ihnen schuldig binn, sey biß zu einer ruhigern und glücklichern Zeit aufgehoben, sobald ich diese so sehr erwartete Epoche werde erreicht haben, will ich Ihnen einen längern und bessern Brief schreiben; mitlerweile erhalten Sie mir Ihre Liebe, Ihre Freundschafft die mir so sehr geschmeichelt, die mich so sehr aufgemuntert hat, erhalten Sie mich in dem Andencken Ihrer verehrungswürdigen Gattin und Ihrer liebenswürdigen Kinder, und aller meiner Freunde; Hrn. Kreuchauff, Hrn. Gervinus, Hrn. v. Hardenberg, Hrn. v. Lieven, Hrn. Huber, bitte ich insbesondere meiner Ergebenheit zu versichern, und meinem Successor Hrn. Gröning den schnellsten Fortgang in der Kunst zu wünschen. Ich binn mit der beständigsten Hochachtung,

Theurester Hr. Professor

Franckfurt am Mayn,

Dero ergebenster

am 13. Sept. 1768.

JWGoethe.


1/43.


An Anna Katharina Schönkopf

[Frankfurt, September 1768.]

Mademoiselle,

Hr. Goethe dem bekanndt ist, daß Scheere, Messer, und Pantoffeln, diejenigen Mobilien sind die am[162] meisten bey Ihnen auszustehen haben, schicket Ihnen hiermit, eine mittelmäsige Scheere, ein in gutes Messer, und Leder zu zwey Paar Pantoffeln. Sie sind alle von gutem Stoffe, dauerhafft, und mein Herr hat ihnen noch überdieß die möglichste Geduld anbefohlen, doch aber glaubt ich nicht daß Klingen und Leder solange bey Ihnen aushalten werden als Er. Nehmen Sie mir's nicht übel, ich sage wie ich's dencke, drittehalbjahre das können Sie weder von einem Pantoffel noch von einem Messer, noch von – das lass ich dahin gestellt seyn – verlangen, denn grausam gehen Sie mit allem um was sich unter Ihre Herrschafft begiebt oder begeben muß. Zerreise und zerbrechen sie alles, biß Ostern, da steht Ihnen neue Warre zu diensten, und erinnern Sie Sich manchmal, bey diesen Kleinigkeiten, daß mein Herr noch beständig wie sonst Ihnen ergeben ist. Selbst hat er nicht an Sie schreiben wollen, um sein Gelübde, nie vor dem ersten eines Monats Ihnen einen Brief zu schicken, nicht zu brechen. Mittlerweile, das ist, zwischen heut und dem ersten October, empfielt er sich durch mich ganz ergebenst, und ich nehme diese Gelegenheit, mich Ihnen gleichfalls zu empfelen.

Michel, sonst Herzog genannt,

nach Verlust seines Herzogtums

aber, wohlbestellter Pachter auf

des gnädigen Herren

hochadelichen Rittergütern.[163]


1/44.


An Christian Gottlob Schönkopf

d 1. Octb. 1768.

Ihr Diener Hr. Schönkopf, wie befinden Sie sich Madame, Guten Abend Mamsell, Petergen guten Abend.

NB. Sie müssen sich vorstellen daß ich zur kleinen Stubentühre hereinkomme. Sie Hr. Schönkopf sitzen auf dem Canapee am warmen Ofen, Madame in Ihrem Eckgen hinterm Schreibetisch, Peter liegt unterm Ofen, und wenn Käthgen auf meinem Platze am Fenster sitzt; so mag sie nur aufstehen, und dem Fremden Platz machen. Nun fange ich an zu discouriren.

Ich binn lange Aussengeblieben, nicht wahr? fünf ganze Wochen, und drüber dass ich Sie nicht gesehen, daß ich Sie nicht gesprochen habe, ein Fall der in drittehalbjahren nicht ein einzigmal passirt ist, und hinführo leider offt passiren wird. Wie ich gelebt habe, das mögten Sie gerne wissen. Eh das kann ich Ihnen wohl erzählen, mittelmäsig sehr mittelmäsig.

Apropos, daß ich nicht Abschied genommen habe werden Sie mir doch vergeben haben. In der Nachbarschafft war ich, ich war schon unten an der Türe, ich sah die Laterne brennen, und ging biß an die Treppe, aber ich hatte das Herz nicht hinaufzusteigen. Zum letztenmal, wie wäre ich wieder herunter gekommen.

Ich tuhe also jetzt was ich damals hätte tuhn sollen, ich dancke Ihnen für alle Liebe und Freundschafft,[164] die Sie mir so beständig erwiesen haben, und der ich nie vergessen werde. Ich brauche Sie nicht zu bitten Sich meiner zu erinnern, tausend Gelegenheiten werden kommen, bey denen Sie an einen Menschen gedencken müssen, der drittehalb Jahre ein Stück Ihrer Famielie ausmachte, der Ihnen wohl offt Gelegenheit zum Unwillen gab, aber doch immer ein guter Junge war, und den sie hoffentlich manchmal vermissen werden. Wenigstens ich vermisse Sie offt – Darüber will ich weggehen, denn das ist immer für mich ein trauriges Capitel. Meine Reise ging glücklich, und mittelmäsig, alles habe ich hier gesund angetroffen ausser meinen Großvater der zwar wieder an der, durch den Schlag gelähmten Seite ziemlich hergestellt ist, aber doch mit der Sprache noch nicht fortkann. Ich befinde mich so gut als ein Mensch der in Zweifel steht ob er die Lungensucht hat oder nicht, sich befinden kann; doch geht es etwas besser, ich nehme an Backen wieder zu, und da ich hier weder Mädgen noch Nahrungssorgen habe die mich plagen könnten, so hoffe ich von Tag zu Tage weiter zu kommen.

Hören Sie Mamsell hat Ihnen mein Verwalter neulich die geringen Kleinigkeiten zugestellt die ich Ihnen auf Abschlag schickte, und wie haben Sie sie aufgenommen, die übrigen Commissionen sind alle nicht vergessen, wenn sie gleich nicht alle ausgerichtet sind. Das Halstuch ist mit dem größten Gusto fertig, und wird mit ehster Gelegenheit folgen, Verlangen[165] Sie eins von inliegender Farbe, so dürfen Sie nur befehlen, und auch was für eine Farbe sie drauf haben wollen. Der Fächer ist in der Arbeit, er wird fleischfarb der Grund, mit lebendigen Blumen. Halten die Schue noch? Machen Sie mit Ihrem Schuster aus ob er sie, wenn sie recht fest gemahlt sind, so in acht nehmen will daß er sie nicht verdirbt, wenn er sie macht, und dann schicken Sie mir Ihr Schuemuster und da will ich Ihnen mahlen so viel sie wollen, und von was Farben Sie wollen, denn es geht geschwind. Was andre Dinge mehr sind wird die Zeit fügen. Schreiben Sie mir wann Sie wollen nur noch vorm ersten November, denn da schreibe ich wieder an Sie und mehr, ich weiß doch Lieber Hr. Schönkopf daß sie nicht selbst schreiben, aber treiben Sie Käthgen ein Bißgen, daß ich bald Nachricht von euch kriege. Nicht wahr Madam das wäre unbillig wenn ich nicht wenigstens alle Monate einen Brief aus dem Hause bekäme, wo ich bißher alle Tage drinne war. Und schreibt ihr mir nicht; so tuhts nichts den ersten November schreib ich wieder.

Empfelungen, an Mad. Obermann Hrn. Obermann Madslle. Obermann ganz besonders, Hrn. Reich, Hrn. Junius, ferner Madslle. Weidmann die Sie um Vergebung bitten müssen daß ich nicht Abschied genommen habe. Adieu alle zusammen. Käthgen, wenn Sie mir nicht schreiben so sollen Sie sehen.

fortgeschickt d 3ten Octbr.[166]


1/45.


An Anna Katharina Schönkopf

Franckfurt am 1. Nov. 68.

Meine geliebteste Freundin,

Noch immer so munter, noch immer so boshafft. So geschickt das gute von einer falschen Seite zu zeigen, so unbarmhertzig einen Leidenden auszulachen, einen Klagenden zu verspotten, alle diese liebenswürdige Grausamkeiten, enthält Ihr Brief; und konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben.

Ich dancke Ihnen für eine so unerwartete schnelle Antwort, und bitte Sie auch inskünftige, in angenehmen muntern Stunden an mich zu dencken, und wenn es seyn kann an mich zu schreiben; Ihre Lebhafftigkeit, Ihre Munterkeit, Ihren Witz zu sehen, ist mir eine der grössten Freuden, er mag so leichtfertig, so bitter seyn als er will.

Was ich für eine Figur gespielt habe, das weiss ich am besten, und was meine Briefe für eine spielen, das kann ich mir vorstellen. Wenn man sich erinnert, wie's andern gegangen ist, so kann man ohne Wahrsager Geist rahten, wie's Einem gehn wird; Ich binn's zufrieden, es ist das gewöhnliche Schicksaal der Verstorbenen, dass Überbliebene und Nachkommende auf ihrem Grabe tanzen.

Was macht denn unser Principal, unser Direckteur, unser Hofmeister, unser Freund Schoenkopf?

[167] Gedenckt er noch manchmal an seinen ersten Ackteur, der doch diese Zeit her, in allen Lust und Trauerspielen, die schweeren und beschweerlichen Rollen, eines Verliebten und Betrübten, so gut, und so natürlich als möglich, vorgestellt hat. Hat sich noch niemand gefunden, der meine Stelle wieder begleiten mögte, ganz mögte sie wohl nicht wieder besetzt werden; zum Herzog Michel finden Sie eher zehen Ackteurs, als zum Don Sassafras einen einzigen. Verstehen Sie mich?

Unsre gute Mama hat mich an Starckens Handbuch erinnern lassen, ich werde es nicht vergessen. Sie haben mich an Gleimen erinnern lassen; ich werde nichts vergessen. Ich dencke in Abwesenheit so gut als gegenwärtig, dem Verlangen derer die ich liebe genüge zu tuhn. Ihre Bibliotheck fällt mir sehr offt ein, ehstens soll sie vermehrt werden, verlassen Sie Sich drauf. Halte ich gleich nicht immer was ich verspreche, so tue ich doch offt mehr als ich verspreche.

Sie haben Recht, meine Freundinn, dass ich jetzt für das gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt zu habe, mein hiesiger Aufenthalt, ist so unangenehm, als mein Leipziger angenehm hätte seyn können, wenn gewissen Leuten gelegen gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen. Wenn Sie mich schelten wollen, so müssen Sie billig seyn, Sie wissen was mich unzufrieden, launisch, und verdrüsslich machte, das Dach war gut, aber die Betten hätten besser seyn können, sagt Franziska.

[168] Apropos was macht unsre Franziska, verträgt sie sich bald mit Justen? Ich dencke's. So lang der Wachtmeister noch da war, nun da dachte sie an ihr Versprechen, jetzt da er nach Persien ist, eh nun, aus den Augen aus dem Sinn, da nimmt sie lieber einen Diener, den sie sonst nicht mochte, als gar keinen. Grüssen Sie mir das gute Mädgen. Sie formalisiren Sich über das ganz besondere Compliment an Ihre Nachbarinn. Was für Sie übrig bleibt? Was da für eine Frage ist. Sie haben meine ganze Liebe, meine ganze Freundschafft, und das allerbesonderste Compliment, ist doch noch lange nicht der tausendste Teil davon, das wissen Sie auch, ob Sie gleich zur Plage, oder Unterhaltung, Ihres Freundes |: denn beydes heisst bey Ihnen einerley :| tuhn als ob Sie es nicht wüssten, wie Sie es in mehr Stellen Ihres Briefes getahn haben, Z. E. in der Stelle vom Abschied pp. das ich übergehe.

Zeigen Sie diesen Brief, und wenn ich bitten darf alle meine Briefe, Ihren Eltern, und wenn Sie wollen, Ihren besten Freunde, aber niemand weiter; Ich schreibe, wie ich geredet habe, aufrichtig, und dabey wünschte ich, dass es niemand, wer es falsch auslegen könnte zu sehen kriege. Ich binn wie immer, unaufhörlich

ganz der Ihrige

JWGoethe.[169]


1/46.


An Friederike Oeser

Franckfurt am 6. Nov. 1768.

Mamsell,

So launisch, wie ein Kind das zahnt;

Bald schüchtern, wie ein Kaufmann den man mahnt,

Bald still, wie ein Hypochondrist,

Und sittig, wie ein Mennonist,

Und folgsam, wie ein gutes Lamm;

Bald lustig, wie ein Bräutigam,

Leb' ich, und binn halb kranck und halb gesund,

Am ganzen Liebe wohl, nur in dem Halse wund;

Sehr missvergnügt, dass meine Lunge

Nicht so viel Ahtem reicht, als meine Zunge

Zu machen Zeiten braucht, wenn sie mit Stolz erzählt,

Was ich bey Euch gehabt, und was mir jetzt hier fehlt.


Da sucht man nun mit Macht mir neues Leben,

Und neuen Muht und neue Krafft zu geben;

Drum reichet mir mein Docktor Medicinä

Extrackte aus der Cortex Chinä,

Die junger Herrn erschlaffte Nerven

An Augen, Fus und Hand,

Auf's neue stärcken, den Verstand,

Und das Gedächtniss schärfen.

[170] Besonders ist er drauf bedacht,

Durch Ordnung wieder einzubringen,

Was Unordnung so schlimm gemacht,

Und heisst mich meinen Willen zwingen.


»Bey Tag, und sonderlich bey Nacht,

Nur an nichts reitzendes gedacht!«

Welch ein Befehl für einen Zeichnergeist,

Den jeder Reitz bis zum Entzücken reisst,

Des Bouchers Mädgen nimmt er mir

Aus meiner Stube, hängt dafür

Mir eine abgelebte Frau,

Mit riesigem Gesicht, mit halbzerbrochnem Zahne,

Vom fleissig kalten Gerhard Dow

An meine Wand, langweilige Tisane

Setzt er mir statt des Weins dazu.


O sage Du,

Kann man was traurigers erfahren?

Am Körper alt, und jung an Jahren,

Halb siech, und halb gesund zu seyn?

Das giebt so melanchol'sche Laune,

Und ihre Pein

Würd' ich nicht los, und hätt' ich sechs Alraune.

Was nützte mir der ganzen Erde Geld?

Kein krancker Mensch geniesst die Welt.


Und dennoch wollt' ich gar nicht klagen,

Denn ich binn schon im Leiden sehr geübt;

[171] Hätt' ich nur das, was uns die Plagen,

Die Last der Kranckheit zu ertragen,

Mehr Krafft als selbst die Tugend giebt;

Verkürzung grauer Regenstunden,

Balsam'sches Pflaster aller Wunden,

Gesellschafftsgeister die man liebt.


Zwar hab ich hier an meiner Seite

Beständig rechte gute Leute,

Die mit mir leiden, wenn ich leide,

Sie sorgen mir für manche Freude,

Es fehlt mir nur an mir, um recht beglückt zu seyn.

Und dennoch kenn' ich niemand, der die Pein

Des Schmerzens, so behende still, die Ruh

Mit Einem Blick der Seele schenckt, wie Du.


Ich kam zu Dir, ein Todter aus dem Grabe,

Den bald ein zweyter Todt zum zweytenmal begräbt;

Und wem er nur einmal recht nah um 's Haupt geschwebt,

Der bebt

Bey der Erinnerung, gewiss so lang er lebt.

Ich weiss wie ich gezittert habe;

Doch machtest Du mit Deiner süssen Gabe,

Ein Blumenbeet mir aus dem Grabe;

Erzähltest mir wie schön, wie kummerfrey,

Wie gut, wie süss Dein sellig Leben sey,

Mit einem Ton von solcher Schmeicheley,

Dass ich, was mir das Elend jemals raubte,

Weil Du's besas'st selbst zu besitzen glaubte.

[172] Zufrieden reisst ich fort, und was noch mehr ist, froh,

Und ganz war meine Reise so.


Ich kam hierher, und fand das Frauenzimmer

Ein bissgen – ja man sagt's nicht gern – wie immer,

Gnug bis hierher hat keine mich gerührt.

Zwar sag ich nicht was einst Herr Schübler

Von Hamburgs Schönen prädicirt,

Doch binn ich auch ein starcker Grübler,

Seitdem Ihr Mädgen mich verführt,

Die ich wohl schweerlich je vergesse;

Und da begreiffst Du wohl, daß jede leicht verliert,

Die ich nach Eurem Maasstab messe.

Du lieber Gott! an Munterkeit ist hie

An Einsicht, und an Witz Dir kein einz'ge gleich,

Und Deiner Stimme Harmonie

Wie käme die heraus in's Reich.


So ein Gespräch, wie unsers war, im Garten,

Und in der Loge noch, mit diesem seltnen Zug,

So aufgeweckt, und doch so klug,

Ja, darauf kann ich warten.


Binn ich bey Mädgen launisch froh;

So sehn sie sittenrichtrisch sträflich,

Da heisst's: der Herr ist wohl aus Bergamo?

Sie sagen's nicht einmal so höflich.

Zeigt man Verstand, so ist auch das nicht recht.

Denn will sich einer nicht bequemen

[173] Des Grandisons ergebner Knecht

Zu seyn, und alles blindlings anzunehmen

Was der Dicktator spricht,

Den lacht man aus, den hört man nicht.


Wie seyd Ihr nicht so gut, so Euch zu bessern willig,

Auf eigne Fehler streng, und gegen fremde billig,

Und zum Gefallen ohnbemüht,

Ist niemand den Ihr nicht gewönnet.

Ah, man ist Euer Freund, so wenig man Euch kennet,

Man liebt Euch, eh man's sich versieht;

Mit einem Mädgen hier zu Lande,

Ist's aber ein langweilig Spiel,

Zur Freundschafft fehlt's ihr am Verstande,

Zur Liebe fehlt's ihr am Gefühl.


Drauf ging ich ganz gewiss, hätt ich nicht soviel Laune,

Bräch' ich mir nicht gar manche Lust vom Zaune,

Lacht ich nicht da wo keine Seele lacht.

Und dächt ich nicht, dass Ihr schon offt an mich gedacht.


Ja, dencken müsst Ihr offt an mich, das sage

Ich Euch, besonders an dem Tage

Wenn Ihr auf Euerm Landgut seyd,

Dem Ort der mir so manche Plage

Gemacht, dem Ort der mich so sehn erfreut.


Doch Du verstehst mich nicht, ich will es Dir erklären,

Ich weiss doch Du verzeihst es mir.

[174] Die Lieder die ich Dir gegeben, die gehören

Als wahres Eigentuhm dem schönen Ort und Dir.


Wenn mich mein böses Mädgen plagte,

Wenn der Verdruss mich aus den Mauern jagte,

War ich verwegen gnug, und wagte

Dich aufzusuchen eh es tagte,

Auf Deinen Feldern die Du liebst,

Die Du mir offt so schön beschreibst.


Da ging ich nun in Deinem Paradiese,

In jedem Holz, auf jeder Wiese,

Am Fluss, am Bach, das hoffende Gesicht

Vom Morgenstrahl geschminckt, und sucht' und fand Dich nicht.


Dann schlug ich, angereitzt von launischem Verdrusse,

Den armen Frosch, am sonnbestrahlten Flusse,

Dann jagt' ich ringsumher, und fing

Bald einen Rein bald einen Schmetterling.


Und mancher Reim, und mancher Schmetterling

Entging

Der ausgestreckten Hand, die mitten

In ihrem Haschen stille stand,

Wenn aus dem Wald, von Stimmen ober Tritten

Den Schall, mein lauschend Ohr empfand.


Am Tage sang ich diese Lieder,

Am Abend ging ich wieder heim,

[175] Nahm meine Feder, schrieb sie nieder

Den guten und den schlechten Reim.


Offt kehrt ich noch mit immer schlechterm Glücke

Auf die fatale Flur zurücke,

Biss mir zuletzt das günstige Geschicke

Noch einen Tag den ich nicht hoffte gab.

Doch ich genoss sie kaum die süssen letzten Stunden,

Sie waren gar zu nah am Grab.

Ich sage nicht, was ich empfunden,

Denn mein prosaisches Gedicht

Stimmt diesesmal sehr zur Empfindung nicht.


Du hast die Lieder nun, und zur Belohnung

Für alles was ich für Dich litt,

Besuchst Du Deine seelge Wohnung;

So nimm sie mit;

Und sing sie manchmal an den Orten

Mit Lust wo ich aus Schmerz sie sang,

Dann denck an mich, und sage: dorten

Am Flusse wartete er lang,

Der Arme der so offt mit ungewognem Glücke

Die schönen Felder fühllos sah!

Käm er in diesem Augenblicke,

Eh nun, jetzt wär' ich da.


Jetzt, dächt ich nun, wär's hohe Zeit zum Schliessen,

Denn wenn man so zwey Bogen Reime schreibt,

Da wollen sie zuletzt nicht fliessen.

[176] Doch warte nur wenn mich die Laune treibt,

Und Deine Gunst mir sonst versichert bleibt,

So schreib ich Dir noch manchen Brief wie diesen.


Willst Du mir die Geschwister grüssen,

So schliesse Richtern auch mit ein.

Leb wohl! Und wird das Glück Dein Freund beständig seyn

Wie ich; so wirst Du steets des schönsten Glücks geniessen.

Goethe.


1/47.


An Adam Friedrich Oeser

Franckfurt, am 9. Nov. 1768.

Hochgeehrtester Herr Professor,

Das Aussenbleiben Ihres Junges, hat diesen Brief, den ich so balde zu schreiben schuldig war, um einen Monat und drüber verzögert. Mit ihm hoffte ich ein Paquet Briefe, und ein Paquet Kleinigkeiten nach Leipzig zu schicken, die nun auf eine andre Gelegenheit warten mögen.

Wenn Sie nicht mehr Nachricht von ihm haben als ich; so werden Sie unruhiger seyn als ich; denn ich dencke immer, er hat entweder an Sie geschrieben, oder ist durch einen andern Weeg zu Ihnen zurückgekehrt. Bald hoffe ich's zu erfahren; ein guter Freund hat es auf sich genommen, sich in Grehweiler[177] zu erkundigen wie es mit ihm und seinen Sachen steht.

Meine Gesundheit fängt an, wieder etwas zu steigen, und doch ist sie noch nicht viel übers Schlimme. Inliegender Brief, den ich mich unterstanden habe an Ihre Mademoiselle Tochter zu schreiben, sagt mehr von diesem Punckte, und mehr von meinen übrigen Leben.

Die Kunst, ist, wie sonst, fast jetzt meine Hauptbe schäfftigung, ob ich gleich mehr drüber lese, und decke, als selbst zeichne, denn jetzt da ich so allein lauffen soll, fühle ich erst meine Schwäche; es will gar nicht mit mir fort Herr Professor, und ich weiss vor der Hand nichts anders, als das Lineal zu ergreifen, und zu sehen, wie weit ich mit dieser Stütze in der Baukunst und in der Perspecktiv kommen kann.

Was binn ich Ihnen nicht schuldig, Theuerster Herr Professor, dass Sie mir den Weeg zum Wahren und Schönen gezeigt haben, dass Sie mein Herz gegen den Reitz fühlbaar gemacht haben. Ich binn Ihnen mehr schuldig, als dass ich Ihnen dancken könnte. Den Geschmack den ich am Schönen habe, meine Kentnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast unbegreifliche Satz geworden, dass die Werckstatt des grossen Künstlers mehr den keimenden Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen und des Kritickers. Lehre[178] tuht viel, aber Aufmunterung tuht alles. Wer unter allen meinen Lehrern hat mich jemals würdig geachtet mich aufzumuntern, als Sie. Entweder ganz getadelt, oder ganz gelobt, und nichts kann Fähigkeiten so sehr niederreissen. Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach dem Reegen, fruchtbaares Gedeyen. Ja Herr Professor wenn Sie meiner Liebe zu den Musen nicht aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt. Sie wissen was ich war da ich zu ihnen kam, und was ich war da ich von Ihnen ging, der Unterschied ist Ihr Werck. Ich weiss wohl, es war mir wie Prinz Biribinckern nach dem Flammenbaade, ich sah ganz anders, ich sah mehr als sonst; und was über alles geht, ich sah was ich noch zu tuhn habe, wenn ich was seyn will.

Sie haben mich gelehrt demütig ohne Niedergeschlagenheit, und stolz ohne Präsumtion zu seyn.

Ich würde kein Ende finden, zu sagen was Sie mich gelehrt haben; verzeihen Sie meinem danckbaaren Herzen diese Apostrophe, diese Sentenzen; das habe ich mit allen tragischen Helden gemein, dass meine Leidenschafft sich sehr gerne in Tiraden ergiesst, und wehe dem der meiner Lava in den Weeg kömmt.

Die Gesellschafft der Musen, und eine fortgesetzte schrifftliche Unterredung mit meinen Freunden, wird mir diesen Winter ein kränckliches einsames Leben angenehm machen, das ohne sie für einen Menschen von zwanzig Jahren eine ziemliche Folter seyn möchte.

[179] Mein Freund Seekatz ist einige Wochen vor meiner Ankunft gestorben. Meine Liebe für die Kunst, meine Danckbarkeit gegen die Künstler, werden Ihnen das Maas meines Schmerzens angeben. Sollte Hr. Creisteuereinnehmer Weisse die Gefälligkeit für mich haben wollen, einige Nachrichten von seinem Leben und seiner Kunst in die Bibtiotheck einzurücken: so wollte ich sie Ihnen zusenden. Haben Sie die Gütigkeit, ihn bey Gelegenheit darum zu ersuchen. Idris habe ich eben gelesen, meine Gedancken hiervon ein andermal. Meine Eltern grüssen Sie und Ihre Famielie, mit der Liebe und Danckbaarkeit, die sie einem Manne schuldig sind, dem ihr Sohn soviel schuldig ist. Leben Sie wohl. Ich binn

Theuerster Hr. Professor

Der Ihrige

Goethe.


1/48.


An Adam Friedrich Oeser

Franckfurt, am 24 Nov. 1768.

Hochgeehrtester Herr Professor,

Junge geht Morgen ab, sollte ich diese Gelegenheit versäumen, an Sie zu schreiben? Ich beneide alle Welt, die nach Sachsen geht, und meine Briefe dazu; und doch ist meine Correspondenz nach Sachsen, jetzt fast das einzige, daran ich ein würckliches Vergnügen finde.

Sie werden sich verwundern, was Ihr Tischer für Kostbaarkeiten mitbringt; wir haben uns alle gefreut, dass seine Reise, die Kranckheit ausgenommen, so glücklich[180] gewesen ist, und hoffen, dass seine Rückreise bey dieser schlimmen Jahrszeit, so gut gehen wird, als es wahrscheinlich ist.

Wäre der Weeg nach Leipzig, nur nicht gar so schlimm, und gar so lang; ich wollte Sie einmal recht unvermuhtet überfallen. Denn Ich habe Ihnen gar zu viel zu sagen. Sie wissen ich hatte immer einen hübschen Fond von Reflecktiohnen die ich Ihnen meistenteils vortrug, freylich gingen sie manchmal etwas queer, nun, da belehrten Sie mich eines bessern; aber es giebt tausend Dinge, die man ohne Bedencken sagt, die man aber groses Bedencken träg zu schreiben.

Meine Gedancken über den Idris, und den Brief an Riedeln, über den Ugolino, über Weissens Grosmuht für Grosmuht, über die Abhandlung von Kupferstichen, aus dem Englischen, sind zwar zum erzälen ganz erträglich, zum Schreiben noch lange nicht ordentlich, nicht richtig genug.

Die Cabinette hier, sind zwar klein, dafür sind sie häufig und ausgesucht, mein gröstes Vergnügen ist, mich recht darinne umzusehen. Es ist gut dass Sie mich gelehrt haben, wie man sich umsieht.

Sonst leide ich viel der Kunst wegen; mein Glück, dass ich schon gewohnt binn, um meiner Freunde willen zu leiden. Apostel, Propheten und Poeten, schätzt man selten in ihrem Vaterlande, und noch seltner zu der Zeit, da man sie alle Tage sehn kann; und doch kann ich mich nicht enthalten den guten Geschmack[181] zu predigen; richtet man gleich nicht viel aus, so lernt man doch immer dabey, und sollte man auch nur bey der Gelegenheit erfahren, dass weitausgebreitete Gelehrsamkeit, tiefdenckende spitzfündige Weisheit, fliegender Witz und gründliche Schulwissenschafften, mit dem Guten Geschmacke sehr heterogen sind.

Das Frauenzimmer liebt sich hier sehr das erstaunliche, vom schönen, naiven, komischen halten sie weniger. Desswegen sind alle Meerwunder: Grandison, Eugenie, der Galeerensclave, und wie die ganze fantastische Famielie heisst, hier im grossen Ansehn, Von der Wilhelmine, die doch dem Himmel sey Danck, dreymal aufgelegt ist, habe ich trutz aller Nachfrage in keiner Damenbibliothek Ein Exemplar auftreiben können. Nächstens ein mehreres von diesen betrübten Umständen.

Wenn der Rothstein und die schwarze Kreide gut sind, so steht Ihnen mehr zu Diensten. Empfehlen Sie mich gütig, Ihrer Frau Gemalinn, und der ganzen Famielie; wie auch meinen Gönnern und Freunden, denen Herren Kreuchauff, Weisse, Clodius, Huber, v. Hardenberg, Gervinus, Gröning, namentlich. Meine Eltern empfelen sich Ihnen. Und ich binn, mit der zärtlichsten Hochachtung,

Ihr

ergebenster Schüler

und Diener,

Goethe.[182]


1/49.


An Anna Katharina Schönkopf

Franckf. am 30. Dec. 68.

Meine beste, ängstliche

Freundinn

Sie werden ohne Zweifel zum neuen Jahre, durch Hornen die Nachricht von meiner Genesung erhalten haben; und ich eile es zu bestättigen. Ja meine Liebe, es ist wieder vorbey, und inskünftige müssen Sie Sichberuhigen wenn es ja heissen sollte: Er liegt wieder! Sie wissen meine Constitution macht manchmal einen Fehltritt, und in acht Tagen hat sie sich wieder zurechte geholfen; diesmal war's arg, und sah noch ärger aus als es war, und war mit schröcklichen Schmerzen verbunden. Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Kranckheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. Es ist vorbey, und ich binn wieder ganz munter, ob ich gleich drey volle Wochen nicht aus der Stube gekommen binn, und mich fast niemand besucht, als mein Docktor, der, Gott sey danck, ein liebenswürdiger Mann ist. Ein närrisch Ding um uns Menschen, wie ich in muntrer Gesellschafft war, war ich verdrüsslich, jetzt binn ich von aller Welt verlassen, und binn lustig; denn selbst meine Kranckheit über, hat meine Munterkeit meine Famielie getröstet, die gar nicht in einem Zustande war, sich, geschweige mich zu trösten. Das Neujahrslied,[183] das sie auch werden empfangen haben, habe ich in einem Anfall von groser Narrheit gemacht, und zum Zeitvertreibe drucken lassen. Uebrigens zeichne ich sehr viel, schreibe Mährgen, und binn mit mir selbst zufrieden. Gott gebe mir das neue Jahr was mir gut ist, das geb er uns allen, und wenn wir nichts mehr bitten als das; so können wir gewiß hoffen dass er's uns giebt. Wenn ich nur biss in Aprill komme, ich will mich gern hinein schicken lassen. Da wird's besser werden hoffe ich, besonders kann meine Gesundheit täglich zu nehmen, weil man nun eigentlich weiss was mir fehlt. Meine Lunge ist so gesund als möglich, aber am Magen sitzt was. Und im Vertrauen man hat mir zu einer angenehmen vergnüglichen Lebensart Hoffnung gemacht, so dass meine Seele sehr munter und ruhig ist. Sobald ich wieder besser binn, werde ich ausgehen in fremde Lande, und es soll nur auf Sie und noch jemand ankommen, wie bald ich Leipzig wiedersehen soll; Inzwischen dencke ich nach Franckreich zu gehen, und zu sehen wie sich das französische Leben lebt, und um französch zu lernen. Da können Sie Sich vorstellen was ich ein artiger Mensch seyn werde, wenn ich wieder zu Ihnen komme. Manchmal fällt mir's ein, dass es doch ein närrischer Streich wäre, wenn ich trutz meiner schönen Projeckten vor Ostern stürbe. Da verordente ich mir einen Grabstein, auf dem Leipziger Kirchhof, dass ihr doch wenigstens alle Jahr am Johannes, als meinem Nahmens[184] Tag, das Johannismänngen, und mein Denckmal besuchen möget. Wie meynen Sie?

Empfelen Sie mich Ihren Eltern zu beständiger Freundschafft; Küssen Sie Ihre lieb Freundinn, und dancken Sie ihr für den Anteil den Sie an mir nimmt; ich werde bald an sie schreiben.

Ihre Nachbarinn bedaur' ich; sollte das nicht den grösten Strich in die Rechnung, des verliebten Paars machen? Die armen Leute! Sie find in grosser Noth, und unser Herr Gott mag ihnen helfen oder nicht, so werden sie's ihm nicht dancken, das werden Sie erleben, und darnach sagen Sie: hat's Goethe nicht gesagt. Es ist gar zu ein gros Ding um den Ehstand heut zu Tage, und kein's von beyden, wenigstens gewiss, Eins von beyden, hat nicht für einen Sechser Ueberlegung. Heiliger Andres, komm, und tuh ein Wunder, oder es giebt eine Sau. NB. dass niemand den Artickel sieht als wem er nütz ist. Leben Sie wohl meine Liebe, ich binn, kranck wie Gesund

ganz der Ihrige

Goethe.


Quelle:
Goethes Werke. Weimarer Ausgabe, IV. Abteilung, Bd. 1, S. 156-185.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon