1.*
Zwischen 1765 und Mitte 1768.
Beide Schwestern, Marie und Doris, gedachten gern ihres Vaters, des Leipziger Kupferstechers Stock, von dem Goethe als Student sich unterrichten ließ. Goethe sagt darüber in seinem »Leben«, daß beide Schwestern ihm stets ihre Freundschaft bewahrt hätten, daß die älteste glücklich verheirathet, die jüngere eine ausgezeichnete Künstlerin sei. Den Schwestern blieb jene Studienzeit gar wohl erinnerlich; denn sie waren beinahe erwachsen. Das Gedächtniß der älteren bewahrte manche kleinen Züge, die, an sich unbedeutend, zur Vervollständigung von Goethes Lebensbild dienen können. Stock's Verhältnisse waren sehr beschränkt. Eine geräumige Bodenkammer in dem großen Breitkopf'schen Hause zum Silbernen Bären diente ihm, seiner Frau und den beiden Töchtern als Arbeits- und Empfangszimmer, in welchem auch der Schüler Platz fand. Während Stock und Goethe je an einem Fenster über ihren Platten schwitzten, saßen die Töchter an dem dritten Fenster[7] mit weiblicher Arbeit beschäftigt oder sie besprachen mit der Mutter die Küche. Das Gespräch ging ohne Unterbrechung fort; denn schon damals zeigte Goethe eine große »Lust am Discuriren«.
Eines Tages sagte Stock: »Goethe, meine Töchter wachsen heran, was meinst Du, worin soll ich die Mädchen unterrichten lassen?« »In nichts anderem, erwiederte Goethe, als in der Wirthschaft. Laß sie gute Köchinnen werden, das wird für ihre künftigen Männer das beste sein.« Der Vater befolgte diesen Rath, und nicht ohne Empfindlichkeit versicherte mich die ältere Schwester, daß sie dies Goethen immer nachgetragen habe, und daß sie infolge dieses Rathes ihre ganze Ausbildung mit der größten Mühe sich selbst habe erwerben müssen.[8]
2.*
Zwischen 1765 und Mitte 1768.
Was mir [Friedrich Förster] Frau Appellationsräthin Körner in Loschwitz (1809, Mai) über ihre erste Bekanntschaft mit Goethe mitgetheilt hat ..... »Der Vater arbeitete vornehmlich kleine Vignetten für den Verlagsbuchhändler Breitkopf; auch durch Unterricht in seiner Kunst hatte er Verdienst. Von seinen Schülern der eifrigste, zugleich aber zu allerhand munteren Streichen der aufgelegteste war der später so berühmt gewordene Goethe,[8] damals Student der Rechte, sechzehn Jahre alt. Unsrer guten Mutter machte diese Bekanntschaft, mancherlei Sorge und Verdruß. Wenn der Vater in später Nachmittagsstunde noch fleißig bei der Arbeit saß, trieb ihn der junge Freund an, frühzeitig Feierabend zu machen und beschwichtigte die Einwendungen der Mutter damit, daß die Arbeit mit der feinen Radirnadel im Zwielicht die Augen zu sehr angreife, zumal er dabei durch das Glas sehe. Wenn nun auch die Mutter erwiederte, durch das Glas zu sehen, greife die Augen nicht so sehr an, als in das Glas und manchesmal zu tief sehen, so ließ doch der muntre Student nicht los und entführte uns den Vater zu Schönkopf's oder nach Auerbach's Keller ... Diese Bekanntschaft hat unsrer guten Mutter manche Thränen gekostet. Wenn aber am andern Morgen Mosje Goethe, – denn vornehme junge Herrn wurden ›Mosje‹ titulirt – sich wieder bei uns einfand und ihn die Mutter tüchtig ausschalt, daß er den Vater in solche ausbündige Studentengesellschaft führe, in welche ein verheiratheter Mann, der für Frau und Kinder zu sorgen habe, gar nicht gehöre, dann wußte er durch allerhand Späße sie wieder freundlich zu stimmen, sodaß sie ihn den Frankfurter Strubbelpeter nannte und ihn zwang, sich das Haar auskämmen zu lassen, welches so voller Federn sei, als ob Spatzen darin genistet hätten. Nur auf wiederholtes Gebot der Mutter brachten wir Schwestern unsere Kämme, und es währte lange Zeit, bis die Frisur wieder in Ordnung[9] gebracht war. Goethe hatte das schönste braune Haar; er trug es ungepudert im Nacken gebunden, aber nicht wie der alte Fritz als steifen Zopf, sondern so, daß es in dichtem Gelock frei herabwallte. Wenn ich – erzählte Frau Körner – in späteren Jahren Goethe hieran erinnerte, wollte er es nie zugeben, sondern versicherte, es hätte sich die Mutter ein besonderes Vergnügen daraus gemacht, ihn zu kämmen, sodaß sie sein wohlfrisirtes Haar erst in Unordnung gebracht, um ihn dann recht empfindlich durchzuhecheln.
Am meisten verdarb es der lustige Bruder Studio mit uns Kindern dadurch, daß er weit lieber mit dem Windspiele des Vaters, – es war ein niedliches Thierchen und hieß Joli – als mit uns spielte und ihm allerhand Unarten gestattete und es verzog, während er gegen uns den gestrengen Erzieher spielte. Für Joli brachte er immer etwas zu naschen mit, wenn wir aber mit verdrießlichen Blicken dies bemerkten, wurden wir bedeutet, das Zuckerwerk verderbe die Zähne und gebrannte Mandeln und Nüsse die Stimme. Goethe und der Vater trieben ihren Muthwillen so weit, daß sie an dem Weihnachtsabend ein Christbäumchen für Joli, mit allerhand Süßigkeiten behangen, aufstellten, ihm ein rothwollnes Camisol anzogen und ihn auf zwei Beinen zu dem Tischchen, das für ihn reichlich besetzt war, führten, während wir mit einem Päckchen brauner Pfefferkuchen, welche mein Herr Pathe aus Nürnberg geschickt hatte, uns begnügen mußten. Joli war ein so unverständiges,[10] ja, ich darf sagen, so unchristliches Geschöpf, daß er für die von uns unter unserem Tischchen aufgeputzte Krippe nicht den geringsten Respekt hatte, alles beschnoperte und mit einem Haps das zuckerne Christkindchen aus der Krippe riß und aufknabberte, worüber Herr Goethe und der Vater laut auflachten, während wir in Thränen zerflossen. Ein Glück nur, daß Mutter Maria, der heilige Joseph und Ochs und Eselein von Holz waren; so blieben sie verschont.«
Einer tragikomischen Scene muß ich noch gedenken, – fuhr die Freundin fort: – »Unser Unterricht war auf sehr wenige Gegenstände beschränkt. Um 11 Uhr Vormittags fand sich ein eingetrockneter Leipziger Magister, welcher in der Druckerei von Breitkopf mit Correcturen beschäftigt wurde, bei uns ein, der sich durch seine schwarze Kleidung und weiße Halskrause das Ansehen eines Theologen geben wollte. Er unterrichtete uns im Lesen, Schreiben und Rechnen und erhielt für die Stunde einen guten Groschen. Was seinem Anzuge im eigentlichen Sinne die Krone aufsetzte, war seine von haarfeinem Draht geflochtene, in vielen Locken herabwallende Perrücke. Beim Eintreten rief er uns schon von der Thüre her entgegen: Ihr Kinder, das Gebet! Wir sagten nun unisono einen Vers aus einem Gesangbuchliede her, worauf eine Stunde in der Bibel gelesen wurde ... Wir waren allesammt auf eine einzige Stube angewiesen, und so geschah es öfter, daß Goethe während unserer Lection eintrat und sich an den[11] Arbeitstisch des Vaters setzte. Einmal traf es sich nun, daß wir eben mitten aus einem, ihm für junge Mädchen unpassend erscheinenden Kapitel des Buches Esther laut vorlesen mußten. Ein Weilchen hatte Goethe ruhig zugehört; mit einem Male sprang er vom Arbeitstische des Vaters auf, riß mir die Bibel aus der Hand und rief dem Herrn Magister mit ganz furioser Stimme zu: ›Herr, wie können Sie die jungen Mädchen solche H .... Geschichten lesen lassen!‹ Unser Magister zitterte und bebte; denn Goethe setzte seine Strafpredigt noch immer heftiger fort, bis die Mutter dazwischentrat und ihn zu besänftigen suchte. Der Magister stotterte etwas von: Alles sei Gottes Wort, heraus, worauf ihn Goethe bedeutete: ›Prüfet alles, aber nur was gut und sittlich ist, behaltet!‹ Dann schlug er das neue Testament auf, blätterte ein Weilchen darin, bis er, was er suchte, gefunden hatte. ›Hier Dorchen!‹ sagte er zu meiner Schwester, ›das lies uns vor: das ist die Bergpredigt, da hören wir alle mit zu.‹ Da Dorchen stotterte und vor Angst nicht lesen konnte, nahm ihr Goethe die Bibel aus der Hand, las uns das ganze Kapitel laut vor und fügte ganz erbauliche Bemerkungen hinzu, wie wir sie von unserm Magister niemals gehört hatten. Dieser faßte nun auch wieder Muth und fragte bescheidentlich: der Herr sind wol studiosus theologiae; werden mit Gottes Hülfe ein frommer Arbeiter im Weinberge des Herrn und ein getreuer Hirte der Herde werden. – ›Zuverlässig,‹ –[12] fügte der Vater scherzend hinzu – ›wird er sein Fäßchen in den Keller und sein Schäfchen in's Trockne bringen; an frommen Beichtkindern wird's ihm nicht fehlen.‹ – So schloß die Lektion ganz heiter; alle lachten über den Witz des Vaters, und wir eigentlich, ohne zu wissen warum.«[13]
3.*
1768, October 27.
[Cornelia Goethe läßt in einem Briefe einen Vetter, der sie gleichzeitig mit den, ihrem Bruder von Leipzig her befreundeten Herren von Olderogge besucht hatte, sagen:]
»Ma chère cousine, je ne Vous ai pas encore communiqué la joie que j'ai ressentie en trouvant à mon retour ici un cousin si aimable; on a sujet de Vous féliciter d'un frère si digne d'être aimé.« – »Je suis charmée, Monsieur, que Vous êtes convaincu à présent, combien j'avais raison d'être affligée de l'absence de ce frère chéri; ces trois années ont été bien longues pour moi; je souhaitais à tout moment son retour.« – »Ma soeur, ma soeur! et maintenant que je suis là, personne ne désire de me voir; c'est tout comme si je n'y étais pas.« – »Point de reproches, mon frère! Vous le savez Vous même que ce n'est pas là ma faute: Vous êtes toujours occupé et je n'ose Vous interrompre si souvent que je le voudrais.«[13] – »Mais ma chère cousine, comment va donc la musique? Vous excel liez déjà l'hiver passé, que ne sera ce maintenant! Oserais – je Vous prier de me faire entendre Vos nouveaux progrès? je suis sûr que ces Messieurs en seront charmés.« – Il faut Vous dire, ma chère, que je me portais mieux à tout moment, et je commençais à recouvrir toute ma présence d'esprit. Je me levais d'abord et lorsqu'ils virent que je marchais vers mon clavecin, ils se postèrent tous autour de moi; le cadet [d'Olderogge] se mit de façon à pouvoir me regarder à son aise pendant que je jouais ..... Mon cousin me ramena à ma chaise et en me demandant ce qu'il devait faire encore pour m'obliger, je le priais de reprendre sa place; Vous saurez qu'elle était vis-à-vis de moi. – »Je vois à quoi ça aboutit«, s'écria-t-il, »Vous voulez que je m'éloigne; c'est Vous, Monsieur,« dit-il au jeune d'Olderogge, »qu'elle a élu pour être toujours près d'elle.« – .... Mon frère, pour donner un tour à la conversation, parla de Leipzig' du temps agréable qu'il y avait passé et en même temps il commença à se plaindre de notre ville, du peu de goût qui y regnait, de nos citoyens stupides et en fin il s'emancipa que nos demoiselles n'étaient pas supportables. »Quelles différences entre les filles Saxonnes et celles d'ici,«: s'scria-t-il. – Je lui coupais la parole et m'adressant â mon aimable voisin: »Monsieur,« lui dis-je, »ce sont ces reproches qu'il faut[14] que j'entende tous les jours. Dites moi, je Vous prie, si c'est en effet la vérité, que les dames Saxonnes sont tant supérieures à celles de toute autre nation?« – »Je Vous assure, Mademoiselle, que j'ai vu le peu de temps que je suis ici, beaucoup plus de beautés parfaites qu'en Saxe; cependant j'ose Vous dire, ce qui porte tant Ms. Votre frère pour elles, c'est qu'elles possèdent une certaine grâce, un. certain air enchanteur« – »C'est justement«, interrompit mon frère, »cette grâce et cette air qui leur manque ici; je suis d'accord qu'elles sont plus belles, mais à quoi me sert cette beauté, si elle n'est pas accompagnée de cette douceur infinie qui enchante plus que la beauté même?«[15]
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