Tristans Weltglück.

[38] Nun, Tristan, der ist heimgekommen,

Unwissend, wie ihr habt vernommen,

Und meinte heimathlos zu sein.

Der unvermeinte Vater sein,

Marke, der tugendreiche Mann,

Der that gar tugendlich daran,

Und dessen war auch große Noth;

Er bat besonders und gebot

Dem ganzen Hofgesinde,

Daß es dem fremden Kinde

Gütig und gnädig wäre

Und böte ihm alle Ehre

Mit Rede und mit Geselligkeit.

Deß waren sie allesammt bereit

Mit williglichem Muthe;

Und ward Tristan der gute

Des Königs Hofgenosse so.

Der sah ihn gern und war sein froh;

Denn ihn zog auch sein Herze dar,

Und nahm sein oft und gerne wahr;

Denn er, zu allen Zeiten,

Blieb höfisch an seiner Seiten

Und trug ihm seine Dienste an,

Wie er Gelegenheit gewann.

Wo Marke ging und wo er war,

Blieb er der Zweite immerdar,

Und nahm das Marke auf für gut;

Er trug ihm immer holden Muth

Und that ihm wohl, wo er ihn sah.

In diesen Dingen es geschah,

Daß in den nächsten acht Tagen

Er selbst mit ihm aufs Jagen

Und viel des Hofgesindes mit,

Zu schauen seinen Jagdbrauch, ritt,

Und seine Künste zu nehmen wahr.

Der König hieß ihm bringen dar

Ein Jagdroß, das er ihm verlieh.

Besser beritten war er nie,

Denn es war stark und schön und schnell.

Ein kleines Jagdhorn, süß und hell,

Hieß er ihm geben an seine Hand.

»Tristan,« sprach er, »dir ist bekannt,

Daß du mein Jägermeister bist:

Nun zeig uns, wie dein Jagdbrauch ist

Nimm deine Hunde hin und fahr

Und beschicke die Warte dar,

Wo sie dich dünket recht zu stehn.« –

»Nein, Herre, es kann nicht also gehn,«

Sprach da Tristan, der höfische Knab:

»Schicket nur Eure Jäger ab,

Die sollen sich mit befassen

Und die Bracken vom Seile lassen:

Sie sind ja heimisch hier zu Land,

Und ihnen ist baß denn mir bekannt,

Wo sich der Hirsch hinziehet

Und vor den Hunden fliehet;

Die kennen die Gelegenheit.

Ich habe ja hie zu keiner Zeit

Gejagt und bin ein fremder Knecht.« –

»Das weiß Gott, Tristan, du hast Recht:

Du kannst die Warte nicht versehn,

Die Jäger müssen selber gehn,

Ihr Amt zu thun nach Zeit und Ort.« –

Auf dieses gingen die Jäger fort

Und kuppelten die Hunde

Und stellten zu der Stunde

Die Warte auf dem rechten Grund,

Bestätigten einen Hirsch im Rund

Und jagten ihn wacker trabend

In die Wette bis zum Abend.

Da erliefen ihn die Hunde,

Und zu derselben Stunde

Kam Marke mit seinem Kinde

Und vielem Hofgesinde

Gerannt, ihn abzufangen.

Die Jägerhörner klangen

In mancherlei Getöne;

Sie horneten so schöne,

Daß König Marken dieses Spiel

Und all den Seinen wohl gefiel.

Nun sie den Hirschen fällten,

Den Meister sie hinstellten,

Tristanden, ihren heimischen Gast,

Und baten, daß er sie den Bast[39]

Von Anfang ließe zu Ende sehn.

Der Höfische sprach: »Das mag geschehn,« –

Und bereitete mit dem Worte sich.

Nun wähne ich wohl und dünket mich,

Daß es unnöthig wäre,

Euch zweimal eine Märe,

Die nämliche, vorzutragen.

Recht wie beim ersten Jagen,

Wie jenen Hirsch, nach gleichem Brauch

Entbästete er den zweiten auch.

Den Bast und die Furkie,

Die Kunst von der Curie,

Als sie das sahen, zu der Stund

Bekannten sie mit Einem Mund,

Daß Niemand diese Sachen

Besser wisse zu machen,

Noch besser könne erfinden.

Der König hieß da binden

Den Hirschen auf und ritt davon

Mit seinem Jäger, seinem Sohn,

Und seiner Massenie.

Mit Gehörne und Furkie

Ritten sie heim zur Abendzeit.

So war der gute Tristan seit

Ein lieber Hofmann in Tintayol.

König und Hof, die hielten ihn wohl

Und boten ihm gute Genossenschaft.

Auch war er selber so diensthaft,

So freundlich gegen Arm und Reich,

Daß, hätte er sie alle gleich

Auf den Händen können tragen,

Er hätt's nicht abgeschlagen.

Den Segen hatte ihm Gott gegeben:

Er konnte und wollte Allen leben,

Lachen, tanzen, singen,

Reiten, laufen, springen,

Mit Allen jubiliren

Und konnte Allen hofiren.

Er lebte, wie man's wollte,

Und wie die Jugend sollte;

Was ihrer Einer nur begann,

Das hub er alsbald mit ihm an.

Nun fügete sich aber das,

Daß Marke an einem Tage saß,

Ein wenig nach der Essenszeit,

Wo Kurzweil ist und Müßigkeit,

Und lauschte sehr an einem Ort

Einem Leiche, den ein Harfner dort

Spielte, ein Meister seiner Kunst,

Der beste, und in großer Gunst;

Und war derselbe ein Galois.

Nun kam Tristan, der Parmenois,

Und saß zu seinen Füßen dar

Und nahm mit solchem Fleiße wahr

Des Leiches und der süßen Noten,

Wär es ihm auf den Leib geboten,

Er konnte sich länger nicht verstellen;

Sein Muth begann ihm aufzuschwellen,

Sein Herze ward des Muthes voll:

»Meister,« sprach er, »Ihr harfet wohl,

Die Noten sind recht fürgebracht,

Sehnlich, und wie sie sind erdacht.

Das haben brittische Zungen

Von Herrn Gurun gesungen,

Von ihm und seiner Minne.« –

Dies nahm in seine Sinne

Der Harfner und lauschte immer dar,

Als nähme er nicht der Rede wahr,

Bis er den Leich vollendete.

Zu dem Kind er da sich wendete:

»Was weißt du,« sprach er, »liebes Kind,

Von wannen diese Noten sind?

Verstehst du diese Kunst etwan?« –

»Ja, schöner Meister,« sprach Tristan:

»Ich hatte einst mehr Meisterschaft,

Nun hat es aber so kleine Kraft,

Daß ich mir nicht vor Euch getrau.« –

»Nein, Freund, nimm diese Harfen, schau,

Laß hören, was und welcherhand

Kann man bei dir in deinem Land?« –

»Gebietet Ihr das, Meister mein,

Und soll's mit Euren Hulden sein,

Daß ich Euch harfe?« sprach Tristan. –

»Ja, traut Geselle, schau, fang an.« –

Wie er die Harfen also nahm,

Stand sie den Händen wundersam:

Die waren, wie ich las, so fein,

Daß sie nicht feiner konnten sein,

Weich und linde, klein und schlank,

Und wie ein Hermelin so blank.

Mit diesen rührte er und schlug

Vorspiel und Nötelein genug,[40]

Seltsame, süße, gute.

Da kamen ihm zu Muthe

Seine brittischen Leiche;

Sein Plektrum nahm der Reiche,

Wirbel und Saiten spannte er,

Die einen minder, die andern mehr,

Recht so, wie sie ihm sollten stehn.

Nun, das war alsobald geschehn;

Der neue Spielmann, Herr Tristan,

Also sein neues Amt begann,

Als wär es ihm geboten:

Sein Vorspiel, seine Noten,

Seine seltsamen Grüße,

Die harfte er also süße

Und machte sie so schöne

Mit schönem Saitengetöne,

Daß Jeder zu dem Knaben lief.

Der Eine den Andern näher rief.

Gar eilig kam vom Hof die Schaar

Zu allermeist gelaufen dar,

Und Keinem däuchte es zu fruh.

Nun, Marke, der sah immer zu

Und saß, auf alles achtend,

Seinen Freund Tristan betrachtend,

Und wunderte ihn die Märe,

Daß er so höfische Lehre

Und gute Kunst in seiner Brust,

Da er sich ihrer doch bewußt,

Also konnte verhehlen.

Nun fing aus voller Seelen

Einen klingenden Leich Tristan

Von der viel stolzen Freundin an

Gralandes des schönen.

Den ließ er süß ertönen

Und harfete so zu Preise

In britannischer Weise,

Daß mancher Mann da stund und saß,

Der seinen eignen Namen vergaß;

Da begannen Herz und Ohren

Wie thöricht und verloren

Aus ihrem Recht zu wanken,

Und wurden da Gedanken

In mancher Weise fürgebracht.

Da wurde oft und viel gedacht:

»Wohl dem Kaufmann, dem frommen Mann,

Der solchen höfischen Sohn gewann!« –

Ja, seine Finger, lang und weiß,

Die gingen wohl mit Kunst und Fleiß

Wogend in den Saiten

Und ließen Töne gleiten,

Daß der Palast erfüllet ward.

Da ward der Augen nicht gespart,

Da lugten manche Blicke dar

Und nahmen seiner Hände wahr.


Nun, dieser Leich, der war vollbracht;

Der gute König nahm Bedacht

Und sprach, daß man ihn bäte,

Daß er noch einen thäte.

»Mu voluntiers,« sprach da Tristan,

Und aber hub er herrlich an

Einen sehnlichen Leich, wie eh,

De la curtoise Tisbe

Von der alten Babylon;

Den harfete er in so schönem Ton

Und ging so recht den Noten mit,

Mit recht vollkommenem Meisterschritt,

Daß es den Harfner Wunder nahm;

Und als es an die Worte kam,

So ließ das tugendreiche Kind

Zu großer Wonne süß und lind

Seine Schanzune gleiten,

Die Weisen zu den Saiten,

Britannische und galoise,

Lateinische und franzoise,

Die sang er so süß mit seinem Mund,

Daß Niemand wußte zu dieser Stund,

Welches süßer wäre

Oder werther der Ehre,

Sein Harfen oder sein Singen.

Da erhub sich von diesen Dingen,

Von seiner Geschicklichkeit, Art und Fug

Rede und Märe im Saal genug;

Da bekannten sie Alle gleich,

Sie wüßten in dem ganzen Reich

An einem Mann die Künste nie.

Der Eine sprach dort, der Andre hie:

»Was ist das von einem Kinde!

Wen haben wir zum Gesinde!

Alle Kinder, die nun sind,

Sind gegen dieses wie ein Wind,

Tristanden, dem kommt keines gleich.«[41]

Und als nun Tristan seinen Leich

Vollendet hatte nach Begehr,

Der König sprach: »Tristan, geh her!

Der dich das hat gelehret,

Der sei vor Gott geehret

Und du mit ihm! Das klingt ja fein.

Gern will ich hören die Leiche dein

Unterweilen gegen Nacht,

So noch gerne dein Herze wacht;

Nicht wahr, dies thust du mir und dir?« –

»Ja, Herre, wohl.« – »Nun sage mir:

Kannst du kein ander Saitenspiel?« –

»Nein, Herre,« sprach er. – »Grad ans Ziel!

So lieb als ich dir bin, Tristan,

Sage du mir die Wahrheit an!« –

»Herre, Ihr durftet nicht so hoch

Mich mahnen,« sprach er, »ich hätt es doch

Gesagt auf Euer Fragen,

Da ich's Euch doch muß sagen

Und Ihr es wollet wissen.

Herre, ich war beflissen,

Zu lernen jegliches Saitenspiel;

Und kann doch in keinem also viel,

Daß ich nicht gerne verstünde mehr.

Auch hab ich die Kunst nur nebenher

Und nicht gar lange Zeit getrieben,

Und zwar bin ich dabei geblieben,

Wenn's hoch kommt, etwa sieben Jahr

Oder wenig darüber, das ist wahr.

In Parmenien, da lehrten sie

Die Fiedel mich und die Symphonie:

Harfen aber und Rotten,

Das lehrten mich Galeotten,

Zween Meister, waren Galoise.

Mich lehrten Britunoise,

Die waren aus der Stadt von Lut,

Spielen die Leier und Sambiut.« –

»Sambiut, was ist das, lieber Mann?« –

»Das beste Saitenspiel, das ich kann.« –

»Seht,« sprach das Hofgesinde,

»Gott hat dem holden Kinde

Zu wonniglichem Leben

Seiner Gnaden viel gegeben.«

Marke fragte ihn aber mehr:

»Tristan, ich hörte dich doch vorher

Britannisch singen und galois,

Auch gut lateinisch und franzois:

Kannst du die Sprachen?« – »Herre, ja,

So ziemlich wohl.« – Nun kam aber da

Der Haufe dargedrungen,

Und wer nur fremde Zungen

Wußte aus einem Nachbarland,

Der versuchte ihn, was er verstand,

Der Eine so, der Andre so.

Da gab er Allen frei und froh

Antwort mit Hofmanieren:

Den Norwegern, den Iren,

Alemannen, Schotten und Dänen.

Manch Herz begann sich zu sehnen

Nach Tristans Kunst und Geschicklichkeit.

Da waren ihrer genug bereit,

Die wären gewesen gern wie er,

Und rief ihm manches Herzens Begehr

Minniglich und süße zu:

»Ach, Tristan, wär' ich doch wie du!

Tristan, du magst wohl gerne leben,

Tristan, dir ist der Preis gegeben

In allen Künsten, die ein Mann

Auf Erden beisammen haben kann.« –

Auch machten sie mit Worten

Groß Wesen und Wunder dorten:

»Hört!« sprach Dieser, und »hört!« sprach Der:

»Alle Welt, die höre her!

Ein Kind, ein vierzehnjährig Kind,

Kann alle Künste, die nun sind!«

Marke sprach: »Tristan, höre her!

An dir ist alles, was ich begehr,

Du kannst alles, was ich will,

Jagd und Sprachen und Saitenspiel:

Nun wollen wir auch Gesellen sein,

Du der mein und ich der dein.

Bei Tage wollen wir jagen, reiten,

Bei Nacht daheim uns Lust bereiten

Mit höfisch gethanen Dingen:

Harfen, fiedeln und singen,

Das kannst du wohl, das thu du mir.

Auch ich kann Spiele und thue dir,

Was auch dein Herze wohl begehrt,

Gebe dir Kleider und Rosse werth

Und alles, worauf dein Herze zielt:

So habe ich dir wohl mitgespielt.

Sieh hier, mein Schwert und meine Sporn,[42]

Meine Armbrust und mein gülden Horn,

Geselle, die befehle ich dir,

Die nimm zu Handen, die pflege mir,

Und sei du höfisch und sei froh.«


Nun ward der Heimathlose so

Der Liebste vom Hofgesinde.

Man sah bei keinem Kinde

Solch Glück und Segen, nicht vor noch nach:

Denn, was er that und was er sprach,

Das däuchte und war auch also gut,

Daß alle Welt ihm holden Muth

Und innigliches Herze trug.

Hiemit sei nun der Rede genug:

Wir legen diese Märe nieder

Und greifen zu der andern wieder,

Sein Vater, der Marschall Don Rual,

Li foitenant et li leal,

Was der für Rath erkoren,

Nachdem er ihn verloren.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 38-43.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristan und Isolde
Tristan und Isolde: Teil 1
Tristan und Isolde: Teil 2
Tristan und Isolde (Sammlung Goschen)
Die Geschichte der Liebe von Tristan und Isolde
Tristan und Isolde

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Elixiere des Teufels

Die Elixiere des Teufels

Dem Mönch Medardus ist ein Elixier des Teufels als Reliquie anvertraut worden. Als er davon trinkt wird aus dem löblichen Mönch ein leidenschaftlicher Abenteurer, der in verzehrendem Begehren sein Gelübde bricht und schließlich einem wahnsinnigen Mönch begegnet, in dem er seinen Doppelgänger erkennt. E.T.A. Hoffmann hat seinen ersten Roman konzeptionell an den Schauerroman »The Monk« von Matthew Lewis angelehnt, erhebt sich aber mit seiner schwarzen Romantik deutlich über die Niederungen reiner Unterhaltungsliteratur.

248 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon