Auf die Christnacht

[117] Die seelge Nacht der Wunsch der ersten Zeit

Des Hoffens Zweck/ des Lebens Zuversicht/

Der Thränen Ziel/ das Pfand der Ewigkeit

Die alle Macht der Finsternüß zubricht;


Die schöne Nacht begrüst die müde Welt/

Die Adam hat in grimster Angst begehrt/

Als Gott ob ihm ein schweres Urtheil fällt/

Und ihn die Glut des rauen Gri is verzehrt.


Die Nacht tritt ein/ nach welcher Heva rufft

Schon jenen Tag/ als sie den Garten ließ

Aus dem nach Angst nach Schmertzen Pein und Grufft

Der Schöpffer sie in langes Elend stieß.


Die Nacht bricht an und bringt des Höchsten Kind

Mit in das Licht das GOTT und Licht von Licht

Doch als ein Mensch für aller Menschen Sünd

Sich opffert und vom Fluch uns ledig spricht.
[117]

Die Schlang erschrickt/ der Grund der Höll erkracht:

Die Erdeni it des Weibes Saamen an:

Der Himmel reist; was hi ilisch singt und wacht/

Weil der nun da/ der GOTT versöhnen kan.


Weil der nun da/ der auf der Schlangen Haupt

Ob sie die Zähn auf seine Fersen wetzt

Ob schon der Gri i des Abgrunds raßt und schnaubt/

Den steiffen Fuß mit starcken Kräfften setzt.


Weil der nun da/ der ihren Kopff zutritt

Und/ was uns hielt/ in Band und Ketten legt.

Weil der nun da/ der durch Verdienst und Bitt

Des Vatern Hertz zu erster Huld bewegt.


Weil der nun da/ der uns des Himmels-Thor

Eröffnet/ und den Weg ins Leben weist/

Durch den uns Gott vergönnt ein gnädig Ohr/

Durch den uns Gott selbst seine Kinder heist.


Weil der nun da/ der in mein Fleisch verhüllt

Mein Bruder ist und mir das Heil erwirbt/

Der Noth und Angst und Schmertz und Wehmuth stillt/

Ja selbst vor mich/ damit ich lebe/ stirbt.


Willkommen Nacht! du Schmuck der letzten Zeit

Der müden Trost/ der Zweck begreister Jahr.

Willkommen Nacht! du Quell der Ewigkeit

Der Väter Wunsch/ Verlangen Heilger Schaar.


Willkommen Fürst! du Mann/ du Horn/ du Port

Gewünschter Ruh/ du Trost der grossen Welt/

Des Abrahms Wonn/ und Jacobs Heil und Hort

Der Kirchen Haupt/ des Davids Sohn und Held.


Du Kind und Herr/ der keuschen Jungfer Frucht

Messia/ Freund und Retter in der Noth;

Des Höchsten Wort/ und Uhrsprung heilger Zucht;

Erlöser/ Felß; Willkommen Mensch und Gott!

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 3, Tübingen 1963, S. 117-118.
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