Auf einer nahen Anverwandtin Tod

Der Frühling meiner Zeit und Anfang erster Tage

Verschwand in Angst und Ach und rauher Traurigkeit/

Mein Weinen und Verstand bejammerte die Plage/

Die mir auf dieser Welt die rauhe Noth bereit.

So bald sich die Vernunft fand in ein besser Wesen/

Und der gezierte Leib zu etwas Kräfften kam/

Lernt ich der Menschen Leid aus fremden Unfall lesen/

Aus dem ich eigne Furcht und Hoffnung an mich nahm/

Bald brach der Jammer an mit ungeheurem Leiden/

Das schnelle Wetter fiel auf mich noch zarte Blum/

Man zwang von Grab und Haus der Eltern mich zu scheiden/[124]

Und gab in fremde Macht mein freyes Eigenthum.

Da hab ich Welt und Tod bey zweyer Männer Leichen/

Und in der Einsamkeit der Freunde Treu erkennt.

Ach Menschen! eure Gunst stirbt eh als wir erbleichen/

Gleich wie der Thau verraucht wenn nun der Mittag brennt.

Der Schmertzen grimme Qual/ des Vaterlandes Aschen/

Dieselbe raubten mir die treffliche Gestalt/

Indem ich stets mich must aus heissen Thränen waschen/

Verdorret ich und ward vor meinem Alter alt.

Hier ruh ich dann die hier kaum eine Ruh genossen/

Und finde was umsonst die trübe Welt begehrt:

Das Leben hätt ich wohl noch viel zu früh beschlossen/

Wenn Gott ein bessers mir dort oben nicht beschert.

Quelle:
Andreas Gryphius: Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke. Band 3, Tübingen 1963, S. 118-119,124-125.
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