Der erste eingang.


[109] Theodosia schlummert auff einem stuhl. Vor ihr stehet ihrer frauen[109] mutter geist, wie er allhier beschrieben wird, welcher, in dem sie auffwachet, verschwindet.

Theodosia. Phronesis. Der oberste priester. Ein bothe.


THEODOSIA.

Ach! grauen volle nacht! Ha! schreckenreiche zeit!

Betrübte finsternis! Muss denn das grimme leid

Des kummers auch die ruh des müden schlaffs bestreiten?

Umgibt denn throne nichts als raue bitterkeiten?

PHRONESIS.

Klagt ihre majestät? Was ists, das sie beschwert?

THEODOSIA.

Uns hat ein herber traum die kurtze rast gewehrt.

Die kalte brust erstarrt, doch schwitzen alle glieder;

Der gantze leib erbebt. Wir satzten uns was nieder,

Als wir auffs fest geschmückt. Wie sich die seel besan

Und jene jahr betracht, stiß uns ein schlummern an.

Die erden, wie uns daucht, hub an entzwey zu springen;

Die mutter schauten wir aus ihrem grabe dringen,

Nicht fröhlich, als sie pflag, wenn sie den tag begieng,

Nicht, wie der vater sie mit reichem gold umhieng,

Der purpur war entzwey, ihr kleid lag gantz zurissen,

Die brust und armen bloß, sie stund auf bloßen füßen.

Kein demant, kein rubin umgab ihr schönes har,

Das leider gantz zuraufft und nass von thränen war.

Wir küssten ihr gesicht und rufften: Ach! willkommen!

Wilkommen, wehrte frau! Nun ist uns nichts benommen,

Nun dich der herren HERR, den du so steiff geliebt,

Aus deiner gruben reißt und deinem kinde gibt.

Leg alle leid-tracht hin und singe dem zu ehren,

Der in der krippen lacht! Die wüste klippen hören

Der engel jauchtzen an! Die enge see erklingt,

Indem Bizantz voll lust danck über danck anbringt.

Ach! sprach sie, ach, mein kind! und wand die blassen hände,

Es ist nicht jauchzens zeit! Dein herrschen laufft zu ende.

Auf! wo es nicht zu spät (wo man noch retten kan,

Nach dem der tod schon greifft) und rette sohn und mann![110]

Die heilge nacht bedeckt die höchsten missethaten,

Die sichre kirche mord! Ach! dir ist nicht zu rathen!

Sie wolte noch was mehr, als eine thränen bach

Von beyden wangen schoss und ihre worte brach.

Ihr kam ein blutig schweiß auf iedes glied gefahren;

Die tropffen hiengen als corallen an den haaren.

Als sie (eh wir vermeynt,) in leichtem wind verschwand,

Wurd unser purpur-kleid12 in einen sack verwand.

Wir irrten gantz allein in unbekandten wüsten,

In welchen grimme bär und rauhe tyger nüsten,

Biss ein erhitztes thier die klauen auf uns schmiss

Und beyde brüst abhieb und unser hertz ausriss.

Da rieb die angst den schlaff von den bethränten wangen.

Was hat, der alles weiß, doch über uns verhangen!

Allwesend ewigkeit! lass deiner blitzen macht,

Der ernsten donner-gluth, und was die ernste nacht

Dräut deiner armen magd, in tieffste gunst verschwinden!

Doch, bitten wir umsonst, so lass diß haupt empfinden,

Was dein gericht ausspricht! Nimm uns zu opffer an

Vor den, ohn den das reich nicht ruhig leben kan!

PHRONESIS.

Wo sorgen, da sind träum. Ein kummer-voll gewissen

Entsetzt sich auch ob dem, das wir nicht fürchten müssen.

THEODOSIA.

Wo scepter, da ist furcht!

PHRONESIS.

Furcht ist nur spiel und spott,

Wo nichts zu fürchten ist.

THEODOSIA.

O wolte! wollte gott!

Wo ist der fürst?

PHRONESIS.

Voran, zum gottsdienst.

THEODOSIA.

Wir verweilen[111]

Uns warlich hier zu lang! Auf jungfern! last uns eilen!

OBERSTER PRIESTER.

Mord! Mord!

THEODOSIA.

Hilff gott! was ists?

PRIESTER.

Mord! Mord!

PHRONESIS.

Wo?

PRIESTER.

Beym altar!

THEODOSIA.

O himmel! unser traum ist leider viel zu wahr!

PHRONESIS.

Princessin! sie bestürbt! Schaut wang und lipp erbleichen!

Der augenstern erstarrt als in entseelten leichen!

Bringt balsam! narden! wein! princessin! Sie vergeht!

Princessin!

THEODOSIA.

Ach sind wir zu diesem fall erhöht!

Wo rührt das unglück her?

PRIESTER.

Ich kan den grund nicht wissen.

THEODOSIA.

Wo ist der fürst?

PRIESTER.

Er blieb noch, als ich ausgerissen.

THEODOSIA.

Er blieb? ja wol er blieb, der nicht entkommen kan!

PHRONESIS.

Ist iemand angeränt.

PRIESTER.

Schaut meine wunden an!

THEODOSIA.

Erzehle, wie sich denn diß traur-spiel angefangen![112]

PRIESTER.

Es war das drite theil der finsterniss vergangen,

Als sich der priester reyh in gottes-kirchen drang.

Man hub die lieder an; der süßen seyten klang

Ließ in der stillen zeit sich angenehmer hören.

Ein ieder wurd ermahnt, die große nacht zu ehren,

In welcher der, der gott an macht und wesen gleich,

Aus seiner herrlichkeit, des höchsten vaters reich,

Ankommen in diß fleisch. Die andacht ließ sich spühren

Mit heilig-heißer brunst und steckte hertz und nieren

Durch keusche flamme an. Die seuffzer drungen vor

Und stiegen für dem dunst des weyrauchs hoch empor.

Der fürst hub selber an13 von Christus heer zu singen,

Das kein tyrann, kein tod, kein hencker können zwingen.

Indem fällt unversehns ein unbekandter hauff

Von allen ecken aus und reißt die schrancken auf,

Die priester von dem volck und chor und tempel scheiden.

Man zeucht in ein einem huy die schwerdter aus den scheiden,

Aus kertzen, stock und rock. Das schimmernde gewehr

Gläntzt schrecklicher bey licht und schüttert hin und her

Den schnellen wiederglantz; ein ieder starrt und zaget

Und weiß nicht, was er thut, und fragt den, der ihn fraget.

Wie wenn der schnelle blitz in hohe tannen fährt

Und äste, stamm und strump in lichte glut verkehrt,

Ein müder wandersmann bey so geschwindem krachen

Nicht anders meynt, als dass er schon dem tod im rachen.

Der grimm bricht endlich loß, die dolchen gehn auf mich.

Eh ich die noth erkennt, empfund ich diesen stich.

Ich schrie: ihr helden schont! schont meiner greisen haare!

Bedenckt die hohe zeit! Ihr würgt bey dem altare

Den, der euch nie verletzt! Sie wichen, als ich rieff,

Und griffen andre an. Der weinte, jener lieff,

Der fiel. Ich bin dem sturm, ich weiß nicht wie, entkommen.[113]

THEODOSIA.

Dem fürsten, zweiffelt nicht! ist leib und reich genommen.

Das wetter schlägt nach ihm. Was sag ich? ach er liegt!

Der tollen feinde list hat über uns gesiegt!

Hat unser linde-seyn die heiße flamm entzündet,

In der, was wir gehabt, gesehn, gewünscht, verschwindet?

PHRONESIS.

Es ist noch unklar.

THEODOSIA.

Wie? kan wol was klärer seyn?

PHRONESIS.

Princessin! sie vertäufft sich vor der zeit in pein.

THEODOSIA.

Princessin sonder printz! Princessin sonder crone!

Princessin sonder land! die aus dem güldnen throne

Der schlag in abgrund stöst!

BOTHE.

Verfluchte grausamkeit!

Nie vor erhörter grimm! niemals verhofftes leid!

Hat diß der christen-feind, der Bulgar ie verübet?

Hat der erhitzte Pers, und wer nur todschlag liebet,

Der wüste Scyth versucht?

THEODOSIA.

Wir wissen, was er klagt.

Uns geht sein schmertzen an. Fragt! Nein, fragt nicht! Ja, fragt!

Er melde, was er weiß! Heißt ihn doch nichts verstecken!

Wir bilden mehr uns ein, als er uns kan entdecken.

BOTHE.

Die kirchen ist entweyht! Der fürst bey dem altar

Erstoßen! ehre, cron und leben laufft gefahr.

THEODOSIA.

Mag die, die nicht mehr herrscht, was hoffen als die bare?

Komm! meld uns, welches schwerdt uns durch diß hertze fahre![114]

Die bittet, die gebot. Man zeig uns nur die hand,

Die unser seel entseelt!

BOTHE.

Was des geblütes band,

Was freundschafft, lange gunst, was ruhm-sucht und versprechen

Dem Michael verknüpfft, hat, seine noth zu brechen,

Den bloßen dolch erwischt und in das heiligthum

Sich unerkannt gewagt. Viel hat des fürsten ruhm

Mit tollem neid befleckt; viel, die bey neuen sachen

Und andrer untergang sich hoffen groß zu machen,

Stehn dieser mordschaar bey. Das wüten war entbrannt;

Man rieff: stoß zu! stoß zu! und die bewehrte hand

Schlug nach des priesters haupt aus irrthum, nicht aus rache,

Als unser fürst voll muth bey so verwirrter sache,

Ich weiß nicht wem, das schwerdt aus beyden fäusten riß

Und dem, der auf ihn schlug, nach brust und schädel schmiß,

Biss auf dess feindes stahl die kling als eyß zersprungen.

Er schaute sich umringt, die wachen fern verdrungen,

Die freunde sonder rath; doch stund er unverzagt

Als ein erhitzter löw, der, wenn die strenge jagt

Ihm alle weg abstrickt, mit aufgespanntem rachen

Itzt hund, itzt jäger schreckt und sich sucht frey zu machen.

Umsonst, weil man auf ihn von allen seiten drang,

Dem nun das warme blut aus glied und adern sprang.

Er fühlte, dass die kräfft ihm allgemach entgangen,

Als er das holtz ergriff, an welchem der gehangen,

Der sterbend uns erlöst, den baum, an dem die welt

Von ihrer angst befreyt, damit der tod gefällt,

Für dem die höll erschrickt. Denckt, rufft er, an das leben,

Das sich für eurer seel an dieser last gegeben!

Befleckt des herren blut, das diesen stamm gefärbt,[115]

Mit sünder-blut doch nicht! Hab ich so viel verkärbt,

So schont um dessen angst, den dieser stock getragen,

An Jesus söhn-altar die grimme faust zu schlagen!

Sie starrten auf diß wort, wie wenn ein felß abfällt

Und der erzörnten bach den stoltzen gang auffhält.

Denn steigt die fluth berg-auf, die tobe-wellen brausen,

Biss dass der zehnde schlag mit ungeheurem sausen

Den anhalt überschwemmt und alles mit sich reißt

Und den bemosten stein in tieffe thäler schmeißt.

Der harte Crambonit begont erst recht zu wütten;

Er schrie: Nun ists, tyrann! nun ists nicht zeit zu bitten!

Und schwung sein mordschwerdt auf, das auf den fürsten kam

Und ihm mit einem streich so arm als creutz abnahm.

Man stieß, in dem er fiel, ihn zweymahl durch die brüste.

Ich hab es selbst gesehn, wie er das creutze küsste,

Auf das sein körper sanck, und mit dem kuss verschied,

Wie man die leich umrieß, wie man durch iedes glied

Die stumpffen dolchen zwang, wie Jesus letzte gaben,

Sein theures fleisch und blut, so matte seele laben,

Die ein verschmachtend hertz in letzter angst erfrischt,

Mit käyserlichem blut, (o greuel!) sind vermischt.

THEODOSIA.

Du schwefel-lichte brunst der donnerharten flammen,

Schlag loß! schlag über sie! schlag über uns zusammen!

Brich abgrund! brich entzwey und schlucke, kan es seyn,

Du klufft der ewigkeit! uns und die mörder ein!

Wir irren; nein, nicht sie! Nur uns, nur uns alleine!

Sie auch, doch fern von uns! Wer weinen mag, der weine!

Der augen quell erstarrt. Wie ists? wird unser hertz

In harten stahl verkehrt? Rückt uns der grimme schmertz,

Das fühlen aus der brust? Wird unser leib zur leichen?

Komm, wo der wetterstrahl das haupt nicht wil erreichen,

Wo fern die erde taub, komm du, gewünschter tod!

Du ende schwartzer angst! du port der wilden noth![116]

Wir ruffen dem umsonst, der die betrübten meidet

Und nur den geist anfällt, der keine drangsal leidet.

Kommt ihr! ihr mörder kommt und kühlt den heißen muth,

Die hell-entbrandte rach in dieser adern blut!

Der fürst ist noch nicht hin, weil wir die glieder regen;

Er lebt in dieser brust. Kommt an und stost den degen

Durch diß, das in mir klopfft! Ein schnelles untergehn

Ist ein gewisser trost, wenn man nicht mehr kan stehn.

OBERSTER PRIESTER.

Princessin! der sie schueff, hat diesen tod verhangen.

THEODOSIA.

Und der verhängt, dass wir nach unser grufft verlangen.

PRIESTER.

Er heißt uns mit gedult umfassen, was uns drückt.

THEODOSIA.

Wie dass er denn gedult nicht mit dem creutze schickt?

PRIESTER.

Mag wol ein übel seyn, das trost nicht könn erreichen?

THEODOSIA.

Mag wol ein übel seyn, das unserm sey zu gleichen?

PRIESTER.

Gott legt uns nicht mehr auf, denn man ertragen kan.

THEODOSIA.

Er nimmt auf einen tag thron, crone, reich und mann.

PRIESTER.

Er nimmt, princessin! das, was er vorhin gegeben.

THEODOSIA.

Nur eines nimmt er nicht, was man nicht wil, das leben.

PRIESTER.

Er prüfft in heißer angst als gold die, die er liebt.

THEODOSIA.

Die, die er hasst, gehn frey, indem er uns betrübt.

PRIESTER.

Der euch die wunde schlägt, kan alle wunden heilen.

THEODOSIA.[117]

Unheilsam ist der schlag, der hertzen kan zutheilen.

PRIESTER.

Was scheidet nicht die zeit! Der tod bricht alles ab.

THEODOSIA.

Der fürst muss vor der zeit in sein betrübtes grab.

PRIESTER.

Der stirbt nicht vor der zeit, der seine zeit beschlossen.

THEODOSIA.

Mit blut, das in der kirch auf gottes tisch vergossen!

PRIESTER.

Man stirbt nicht, wie man wündscht, nur wie der höchste wil.

THEODOSIA.

Wil denn der höchste mord und solche jammer-spiel?

PRIESTER.

Kan wer, der sterblich ist, wol sein gericht begreiffen?

THEODOSIA.

Sprecht so und lehrt das volck vom throne printzen schleiffen!

Halt inn mit deinem trost! Die schmertzen sind zu schwer,

Die wunden sind zu frisch, das klingende gewehr

Erzittert vor der thür. Auf geist! die mörder kommen.

Wolan! last uns getrost dem, den sie uns genommen,

Nachwandern! Auf! mein geist! Die acht den feind nicht viel,

Die käyserlich gelebt und fürstlich sterben wil.

Ade! Weint nicht um mich! Thu auf! hier nutzt kein schließen!

Thu auf! man muss den tod, indem er ankommt, grüßen.


Quelle:
Andreas Gryphius: Werke in drei Bänden mit Ergänzungsband. Band 2, Darmstadt 1961, S. 109-118.
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