Bußlied

[5] Nach der Stimme: Aus tieffer Noht schrey ich zu dir, usw.


1.

Wir Menschen sind lebendig tod,

Wenn wir in Sünden wallen:

Wir stehen in der Seelennoht,

Bis daß wir sicher fallen.

Wir leben hin ohn Sorg und Scheu,

Gedenken spat deß Höchsten Treu,

So schwebet ob uns allen.


2.

Ob wir gleich offt aus falschem Wahn

Der Frömmkeit uns beflissen,

Jedoch sich niemand rühmen kan,

Daß er ein rein Gewissen.

Gott ist und bleibt allein gerecht,

Wir sind die stets unnützen Knecht',

Als die sich schämen müssen.


3.

Ich unter aller Sünder Stand

Muß mich den grösten nennen,

Dann meine Sünd ist gleich dem Sand,

Deß zahle nicht zu kennen.

Ach Gott, laß mich so grosse Schuld

Von deiner Milde, Gunst und Huld

Die Sündenwelt nicht trennen.


4.

Ich, ich bin der verlorne Sohn,

Den seine Sünden reuen,

Der nun zu deinem Gnadenthron

Zu fliehen nicht will scheuen.

O Vatter! ich hab für und für

Sehr offt und viel gesündigt dir;

Ich muß üm Gnade schreyen.


5.

Ich bin ach, leider! nun nicht wehrt,

Daß ich dein Sohn soll heissen:

Ich bin mit deinem Grimm beschwert,

Du wolst dich gnädig weisen.

Du sihest meine Reu und Schmertz

Und eilst mich mit dem Vatterhertz

Aus aller Noht zu reissen.


6.

Der ich zuvor war gleichsam todt,

Empfind' ein neues Leben:

Ein neues Kleid, Speiß, Trank und Brod

Läst du mir freudig geben.

So wil ich nun ohn falschen Schein

Dir als ein Kind gehorsam seyn,

Nach deinen Wort zu streben.


Quelle:
A. Fischer / W. Tümpel: Das deutsche evangelische Kirchenlied des 17. Jahrhunderts, Band 5, Hildesheim 1964, S. 5.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon