Zweite Szene

[113] GENOVEVA tritt auf.

MARGARETHA.

Ist das die Gräfin, der du dienst?

KATHARINA.

Ja wohl!

MARGARETHA.

Hochedle Gräfin! Wenn Ihr mich nicht ganz

Geblendet seht von Eurer Schönheit Licht,

So ists, weil ich im Traum Euch schon erblickt,

Doch eine goldne Krone trugt Ihr da.

GENOVEVA zu Katharina.

Wer ist die Alte?

MARGARETHA schnell.

Eine Pilgerin,

Seit zwanzig langen Jahren auf dem Weg

Zum heilgen Grabe nach Jerusalem;

Jedoch der Böse, welcher mächtig ist,

Schlug mich mit Gliedergicht und Knochenpein,

So, daß ich selten von der Stelle kann!


Heimlich zu Katharina.


Der Graf zog in den Heidenkrieg, nicht wahr?

KATHARINA nickt.

MARGARETHA küßt Genoveva die Hand.

Heil mir! nun kann ich sagen, daß mein Mund

Die schönste aller Hände hat geküßt.

Darf ich hinein schaun in die Hand?


Sie tuts.


O weh!

Ich nannt Euch Gräfin! Ihr seid Königin!

Ihr staunt? Ja, ja! So ists! Versteht mich nur!

Erst stirbt der Graf, dann wirbt der König.


Mit Gebärden.


Ha!

Ihr seid schon Witwe! Sarg, hinab mit dir!

Dem Hochzeitsreigen stehst du breit im Weg!

GENOVEVA.

Abscheuliche, du lügst!

MARGARETHA.

Ich sehs! Ich sehs!

Doch freilich sehe ich die Tränen auch,

Die züchtig Ihr um den Gemahl vergießt.

Sie werden strömen, bis der erste Blick

Euch zündend aus des Königs Auge tritt.

Vor dem vertrocknen sie.

GENOVEVA.

Ich sag dir: schweig!

Mein Herz erbebte schon, denn sterben kann[113]

Herr Siegfried, kann es doppelt leicht im Krieg.

Doch, sähest du ihn eingesargt und tot,

So sähst du auch der Witwe ewgen Gram.

Den zweiten Gatten wählen? Ganz so leicht

Den zweiten Vater, wenn es möglich wär!

Nein, ist das Schwerste über mich verhängt,

So schau ich von der Erde, die ihn deckt,

Nur noch zu Gott auf, der ihn einst erweckt.

Mir graut in deiner Nähe.


Zu Katharina.


Gib ihr schnell,

Was sie begehrt, und laß sie weiterziehn!


Ab.


MARGARETHA.

Das Alter, schöne Gräfin, steckt nicht an!

Die Jugend, leider, tut es auch nicht, sonst

Verfolgt ich Euch. Die ist ja, wie ein Glas,

Worin ein Licht steht: hell und blank und rein.

KATHARINA.

Sie ist dazu gemacht, daß man sich schämt,

Wenn man sie hört und sieht. Doch mir gefällt

Das nicht besonders. Wen ich lieben soll,

Der muß mit mir verwandt sein. Engel sind

Gar unbequeme Vettern.

MARGARETHA reicht ihr die Hand.

So ists recht.

KATHARINA.

Wo kommst du her?

MARGARETHA.

Ich komm von Heidelberg.

Und wenn ich lügen wollte, sagt ich jetzt:

Ich komme, weil mein Herz zu dir mich trieb.

Doch nein, mein Schatz, ich komme gar nicht gern,

In jener kleinen Bergstadt ging mirs wohl,

Der Teufel hole die, die mich verjagt.

KATHARINA.

Wer wars?

MARGARETHA.

Ei, wer? Es war die ganze Stadt.

Natürlich trieb ich mancherlei Gewerb,

Zitierte Geister, stand Verliebten bei,

Verkaufte Tote an Lebendige,

Leichname an Doktoren, die mir gut

Bezahlten, was ich nachts dem Kirchhof stahl.

Verflucht! Ein totes Kind erwachte jüngst

Bei mir, die Augen riß es mächtig auf

Und griff mit seinem Händchen nach dem Kranz[114]

Von kalten Blumen auf dem fahlen Haupt

Und stammelte mit schwerer Lipp ein Wort.

Das war mir doch zu viel, ich floh entsetzt

Aus meiner Hütte, schrie das Wunder aus

Und faselte von Gott und Jüngstem Tag.

Was folgte drauf? Die Nachbarn drangen ein,

Sie sahen, was sie längst geahnt, man zog

Als Leichenräuberin mich vor Gericht.

Dann – doch, was gehts dich an. Jetzt ziehe ich

Hinauf nach Straßburg! Wär ich nur erst dort!

Man hats von da zum Blocksberg freilich weit.

Was tuts, man kommt wohl hin. Ich reite gut,

Und du, ehrwürdge Schwester? Nun, du bist

Dem Kätzchen gleich, das nie das Haus verläßt,

Wo es geworfen ward. Ich wußte stets,

Wo du zu finden seiest, wenn ich gleich

In dreißig Jahren nichts von dir vernahm.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 113-115.
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