Zweite Szene

[550] SAMEAS tritt ein; er trägt Ketten an den Händen.

Der Herr ist groß!

MARIAMNE.

Er ists!

ALEXANDRA.

Du frei und doch

In Ketten? Noch ein Rätsel!

SAMEAS.

Diese Ketten

Leg ich nicht wieder ab! Jerusalem

Soll Tag für Tag daran erinnert werden,

Daß Jonas' Enkel im Gefängnis saß!

ALEXANDRA.

Wie kamst du denn heraus? Hast du die Hüter

Bestochen?

SAMEAS.

Ich? Die Hüter?

ALEXANDRA.

Zwar, womit!

Dein härenes Gewand hast du noch an,

Und daß sie für ein Nest von wilder Bienen,

Wie dus, mit jedem hohlen Baum vertraut,

An sie verraten konntest, dich entließen,

Bezweifle ich, denn Honig gibts genug!

SAMEAS.

Wie fragst du nur? Soemus selbst hat mir

Die Pforten aufgemacht!

MARIAMNE.

Er hätts gewagt?

SAMEAS.

Was denn? Hast du es ihm denn nicht geboten?

MARIAMNE.

Ich?

SAMEAS.

Nein? Mir deucht doch, daß er so gesagt!

Ich kann mich irren, denn ich sagte just

Rückwärts den letzten Psalm her, als er eintrat,

Und hörte nur mit halbem Ohr auf ihn!

Nun wohl! So hats der Herr getan, und ich

Muß in den Tempel gehen, um zu danken,

Und habe nichts in Davids Burg zu tun!

MARIAMNE.

Der Herr!

SAMEAS.

Der Herr! Saß ich mit Recht im Kerker?

MARIAMNE.

Die Zeiten sind vorbei, worin der Herr

Unmittelbar zu seinem Volke sprach.

Wir haben das Gesetz. Das spricht für ihn!

Die Dampf- und Feuersäule ist erloschen,[550]

Durch die er unsern Vätern in der Wüste

Die Pfade zeichnete, und die Propheten

Sind stumm, wie er!

ALEXANDRA.

Das sind sie doch nicht ganz!

Es hat erst kürzlich einer einen Brand

Vorhergesagt, und dieser traf auch ein!

MARIAMNE.

Ja wohl, doch hatt er selbst um Mitternacht

Das Feuer angelegt.

SAMEAS.

Weib! Lästre nicht!

MARIAMNE.

Ich lästre nicht, ich sag nur, was geschehn!

Der Mensch ist Pharisäer, wie du selbst,

Er spricht, wie du, er rast, wie du, der Brand

Hat uns beweisen sollen, daß er wirklich

Prophet sei und das Künftige durchschaue,

Doch ein Soldat ertappt ihn auf der Tat.

SAMEAS.

Ein römscher?

MARIAMNE.

Ja!

SAMEAS.

Der log! Er war vielleicht

Gedungen! War gedungen vom Herodes,

Gedungen von dir selbst!

MARIAMNE.

Vergiß dich nicht!

SAMEAS.

Du bist sein Weib, du bist das Weib des Frevlers,

Der sich für den Messias hält, du kannst

Ihn in die Arme schließen und ihn küssen,

Drum kannst du auch was andres für ihn tun!

ALEXANDRA.

Er hielte jetzt für den Messias sich?

SAMEAS.

Er tuts, er sagt' es mir ins Angesicht,

Als er mich in den Kerker führen ließ.

Ich schrie zum Herrn, ich rief: Sieh auf dein Volk

Und schicke den Messias, den du uns

Verheißen für die Zeit der höchsten Not,

Die höchste Not brach ein! Darauf versetzt' er

Mit stolzem Hohn: Der ist schon lange da,

Ihr aber wißt es nicht! Ich bin es selbst,

ALEXANDRA.

Nun, Mariamne?

SAMEAS.

Mit verruchtem Witz

Bewies er dann, wir sei'n ein Volk von Irren

Und er der einzige Verständige,[551]

Wir wohnten nicht umsonst am Toten Meer,

Dem die Bewegung fehle, Ebb und Flut,

Und das nur darum alle Welt verpeste,

Es sei ein treuer Spiegel unsrer selbst!

Er aber wolle uns lebendig machen,

Und müß er uns auch Mosis dummes Buch –

So ruchlos sprach er – mit Gewalt entreißen;

Denn das allein sei schuld, wenn wir dem Jordan

Nicht glichen, unserm klaren Fluß, der lustig

Das Land durchhüpfe, sondern einem Sumpf!

ALEXANDRA.

So ganz warf er die Larve weg?

SAMEAS.

Ja wohl!

Doch galt ich ihm, als er es tat, vielleicht

Für einen Toten schon; denn meinen Tod

Befahl er gleich nachher.

MARIAMNE.

Er war gereizt!

Er fand den Aufruhr vor!

SAMEAS.

Dich mahn ich nun

An deine Pflicht! Sag du dich los von ihm,

Wie er sich losgesagt von Gott! Du kannst

Ihn dadurch strafen, denn er liebt dich sehr!

Als mich Soemus frei ließ, mußt ich glauben,

Du hättst es schon getan. Tust du es nicht,

So schilt den Blitz, der aus den Wolken fährt,

Nicht ungerecht, wenn er dich trifft, wie ihn!

Ich geh jetzt, um zu opfern!

ALEXANDRA.

Nimm das Opfer

Aus meinem Stall!

SAMEAS.

Ich nehms, wo mans entbehrt!

Das Lamm der Witwe und das Schaf des Armen!

Was soll dein Rind dem Herrn!


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 550-552.
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