Vierte Szene

[559] Diener treten auf und ordnen das Fest an.


MOSES.

Nun, Artaxerxes? Wieder in Gedanken?

Flink! Flink! Du stellst bei uns die Uhr nicht vor!

ARTAXERXES.

Hättst du das jahrelang getan, wie ich,

So würd es dir auch ganz so gehn, wie mir!

Besonders, wenn du alle Nächte träumtest,

Du hättst das alte Amt noch zu versehn!

Ich greif ganz unwillkürlich mit der Rechten

Mir an den Puls der Linken, zähl und zähle

Und zähle oft bis sechzig, eh ich mich

Besinne, daß ich keine Uhr mehr bin!

MOSES.

Merk dir es endlich denn, daß du bei uns

Die Zeit nicht messen sollst! Wir haben dazu

Den Sonnenweiser und den Sand! Du selbst

Sollst, wie wir andern, in der Zeit was tun!

Faulenzerei, nichts weiter!

ARTAXERXES.

Laß dir schwören!

MOSES.

Schweig! Schweig! Beim Essen zähltest du noch nie!

Im übrigen: man schwört auch nicht bei uns,

Und


Für sich.


Wär der König nicht ein halber Heide,

So hätten wir auch fremde Diener nicht!

Da kommen schon die Musikanten! Flink!


Geht zu den übrigen.


JEHU.

Du, ist das wirklich wahr, was man von dir

Erzählt?

ARTAXERXES.

Wie sollt es denn nicht wahr sein?

Soll ichs vielleicht noch hundert Mal beteuern

Am Hofe des Satrapen war ich Uhr

Und hatt es gut, viel besser, wie bei euch!

Nachts ward ich abgelöst, dann wars mein Bruder,

Und auch bei Tage, wenns zum Essen ging.

Ich dank es wahrlich eurem König nicht,

Daß er mich mit den andern Kriegsgefangnen

Hiehergeschleppt! Zwar ward mein Dienst zuletzt

Ein wenig schwer! Ich mußte mit ins Feld,[559]

Und wenn man links und rechts die Pfeile fliegen,

Die Menschen fallen sieht, verzählt man sich

Natürlich leichter als in einem Saal,

Wo sie zusammenkommen, um zu tanzen.

Ich schloß die Augen, denn ich bin kein Held,

Wie es mein Vater war. Den traf ein Pfeil

Auf seinem Posten – er war Uhr, wie wir,

Ich und mein Bruder, alle waren Uhren –

Er rief die Zahl noch ab und starb! Was sagst du?

Das war ein Mann! Dazu gehörte mehr,

Als nötig war, den Pfeil ihm zuzuschicken!

JEHU.

Habt ihr denn keinen Sand bei euch zu Hause,

Daß ihr das tun müßt?

ARTAXERXES.

Wir? Wir keinen Sand?

Genug, um ganz Judäa zu bedecken!

Es ist ja nur, weil der Satrap bei uns

Es besser haben soll, wie's andre haben!

Der Puls des Menschen geht doch wohl genauer,

Wenn er gesund ist und kein Fieber hat,

Wie euer Sand durch seine Röhre läuft?

Und nützen euch die Sonnenweiser was,

Wenn es der Sonne nicht gefällt zu scheinen?


Zählt.


Eins – Zwei –

MOSES kommt zurück.

Fort! Fort! Die Gäste kommen schon!

ARTAXERXES.

Das ist das Fest? Da sah ich andre Feste!

Wo keine Frucht gegessen ward, die nicht

Aus einem fremden Weltteil kam! Wo Strafe,

Oft Todesstrafe, darauf stand, wenn einer

Nur einen Tropfen Wasser trank. Wo Menschen,

Die man mit Hanf umwickelt und mit Pech

Beträufelt hatte, in den Gärten nachts

Als Fackeln brannten –

MOSES.

Höre auf! Was hatten

Die Menschen dem Satrapen denn getan?

ARTAXERXES.

Getan? Gar nichts! Bei uns ist in Begräbnis

Viel prächtiger, wie eine Hochzeit hier![560]

MOSES.

Vermutlich freßt ihr eure Toten auf!

Es paßte gut zum übrigen!

ARTAXERXES.

Dann ists

Auch wohl nicht wahr, daß Eure Königin

Im Wein einst eine Perle aufgelöst,

Kostbarer, als das ganze Königreich,

Und daß sie diesen Wein an einen Bettler

Gegeben hat, der ihn, wie andern, soff?

MOSES.

Das ist es nicht! Gott Lob!

ARTAXERXES zu Jehu.

Du sagtest's aber!

JEHU.

Weil es mir eine Ehre für sie schien,

Und weil mans von der Ägypterin erzählt!

MOSES.

Hinweg!

ARTAXERXES deutet auf die Rosen, die Jehu trägt.

Wirkliche Rosen! Die sind billig,

Bei uns sinds silberne und goldene!

Die soll man dahin schicken, wo die Blumen

So kostbar sind, wie Gold und Silber hier!


Diener zerstreuen sich. Die Gäste, unter ihnen Soemus, haben sich während der letzten Hälfte dieser Szene versammelt. Musik. Tanz. Silo und Judas sondern sich von den übrigen und erscheinen im Vordergrund.


SILO.

Was soll das heißen?

JUDAS.

Was das heißen soll?

Der König kehrt zurück! Und das noch heut!

SILO.

Meinst du?

JUDAS.

Wie kannst du fragen! Gibts denn wohl

Noch einen andern Grund für solch ein Fest?

Üb dich auf einen neuen Bückling ein!

SILO.

Es hieß ja aber –

JUDAS.

Lug und Trug, wie immer,

Wenns hieß, ihm sei was Schlimmes widerfahren,

Und ganz natürlich, da's so viele gibt,

Die ihm das Schlimme wünschen! Wird getanzt

In einem Haus, wo man um Tote klagt?

SILO.

Da wird denn bald viel Blut vergossen werden,

Die Kerker stecken seit dem Aufruhr voll!

JUDAS.

Das weiß ich besser, als dus wissen kannst,[561]

Ich habe manchen selbst hineingeschleppt.

Denn dieser Aufruhr war so unvernünftig,

Daß jeder, der nicht eben darauf sann,

Sich selbst zu hängen, ihn bekämpfen mußte.

Du weißt, ich liebe den Herodes nicht,

Wie tief ich mich auch immer vor ihm bücke,

Doch darin hat er recht: die Römer sind

Zu mächtig gegen uns, wir sind nicht mehr,

Als ein Insekt ist in des Löwen Rachen,

Das soll nicht stechen, denn es wird verschluckt!

SILO.

Mir tuts nur leid um meines Gärtners Sohn,

Der einen Stein nach einem römschen Adler

Geworfen und ihn auch getroffen hat!

JUDAS.

Wie alt ist der?

SILO.

Wie lange ist es doch,

Daß ich den Fuß brach? – Da ward er geboren,

Denn seine Mutter konnte mich nicht pflegen,

Ja, richtig – zwanzig!

JUDAS.

Da geschieht ihm nichts!


Mariamne und Alexandra erscheinen.


Die Königin!


Will gehen.


SILO.

Wie meinst du das? Ein Wort noch!

JUDAS.

Wohl! Im Vertraun denn! Weil er zwanzig ist,

Geschieht ihm nichts! Doch wenn er neunzehn wär

Und einundzwanzig, ginge es ihm schlecht!

Im künftgen Jahr stehts anders!

SILO.

Spaße nicht!

JUDAS.

Ich sage dir, so ists! Und willst du wissen

Warum? Der König selbst hat einen Sohn

Von zwanzig Jahren, doch er kennt ihn nicht!

Die Mutter hat ihm, als er sie verließ,

Das Kind entführt und feierlich geschworen,

Es zu verderben –

SILO.

Greuelhaftes Weib!

Heidin?

JUDAS.

Vermutlich! Zwar, ich weiß es nicht! –

So zu verderben, daß ers töten müsse,

Verstehst du mich? Ich halts für Raserei,[562]

Die sich gelegt hat nach der ersten Wut,

Doch ihn machts ängstlich, und kein Todesurteil

Ward je an einem Menschen noch vollzogen,

Der in dem Alter seines Sohnes stand.

Tröst deinen Gärtner! Doch behalts für dich!


Verlieren sich wieder unter die übrigen.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 1, München 1963, S. 559-563.
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