Zweite Szene

[245] Bechlarn.

Empfang-Saal. Götelinde von der einen Seite mit Gudrun, Rüdeger von der andern mit Dietrich und Hildebrant. Hinter ihnen Iring und Thüring.


GÖTELINDE.

Es freut mich, edler Dieterich von Bern,

Euch in Bechlarn zu sehn, nicht minder gern

Erblick ich Euch, Herr Hildebrant. Ich habe

Nur eine Zunge, und ich kann mit ihr

Zwei tapfre Recken nicht auf einmal grüßen,

Allein ich hab zwei Hände, die dem Herzen,

Das euch gleich stark entgegen schlägt, gleich willig

Gehorchen und


[245] Sie streckt ihre Hände aus.


verbeßre so den Fehl.

DIETRICH während der Begrüßung.

Zu milde Worte für so alte Knochen!

HILDEBRANT.

Das find ich nicht. Ich küß sie noch einmal,


Er küßt auch Gudrun.


Da sie nun einmal doppelt vor mir steht.

DIETRICH.

Die Ähnlichkeit ist wirklich groß genug,

Um die Verwechslung zu entschuldigen.


Er küßt Gudrun gleichfalls.


RÜDEGER.

Nur immer zu!

DIETRICH.

Ich und mein Waffenmeister,

Wir spielen heut: Wer ist der größte Narr?

Mit braunen Köpfen haben wir gerauft,

Mit weißen küssen wir!

GÖTELINDE zu Iring und Thüring.

Euch, edle Herrn

Von Dänemark und Thüring, hab ich schon

So oft gesehn, daß ich euch wohl als Freunde

Behandeln darf!

IRING während der Begrüßung.

Herrn Dieterich gebührt

Der Rang auch ohne das. Wo er erscheint,

Tritt alles gern zurück.

DIETRICH.

Wenn wir uns so

Zusammenfinden, wir, die Amelungen,

Und ihr, die ihr aus fernstem Norden stammt,

Ein jeder mehr, als hundert Mal, gekerbt

In blutgen Kämpfen, wie ein Eichenbaum,

Den sich der Jäger für die Axt bezeichnet,

Doch nie gefällt, wie der, so mögt ich glauben,

Wir haben, ohne selbst darum zu wissen,

Das Kraut gepflückt, das vor dem Tode schützt.

IRING.

Ein Wunder ists.

THÜRING.

Das Wunder ist nicht groß!

Einst saßen wir auf unsren eignen Thronen,

Jetzt sind wir hier, um für den Heunen-Fürsten

Die blutgen Nibelungen zu begrüßen[246]

Und tragen unser Diadem zum Spott.

Herr Etzel hat sich seinen stolzen Hof

Aus Königen gebildet, und er sollte

Für sich auf einen neuen Namen sinnen,

Bei dem man gleich an dreißig Kronen denkt:

Wir aber hätten wohlgetan, das Zepter

Mit einem Bettelstabe zu vertauschen,

Der Stock, das schnöde Mittelding, entehrt.

DIETRICH.

Auch ich bin unter euch und kam von selbst.

THÜRING.

Ja wohl, doch keiner ahnt, warum, und Etzel,

Das glaube nur, ist so erstaunt, wie wir.

Wärst du von meinem Holz, so würd ich glauben,

Du hättst dich eingefunden, um den Löwen

Zu spielen und ihn selber zu verschlingen,

Nachdem er Bär und Wolf im Magen hat,

Doch dies liegt deinem Wesen fern, ich weiß.

Und da du ganz aus freien Stücken tust,

Was wir aus Klugheit und aus halbem Zwang,

So mußt du wunderbare Gründe haben,

Die unser plumpe Kopf nicht fassen kann.

DIETRICH.

Ich habe Gründe, und der Tag ist nah,

Wo ihr sie kennen lernt.

IRING.

Ich brenne drauf,

Sie zu erfahren, denn daß du dich beugst,

Wo du gebieten könntest, ist so seltsam,

Daß es, ich sag es frei, an Schande grenzt,

Besonders dieser Weg.

THÜRING.

Das mein ich auch!

RÜDEGER.

Vergeßt nicht Etzels Sinn und edle Art!

Ich würd ihm willig dienen, wenn ich auch

So frei, wie Dietrich, wäre, denn er ist

Uns gleich an Adel, doch wir hattens leicht,

Wir erbtens mit dem Blut von unsern Müttern,

Er aber nahm es aus der eignen Brust!

THÜRING.

So fühl ich nicht, ich folge, weil ich muß,

Doch wäre ich, wie der –

IRING.

Ich tröste mich

Mit unsern Göttern, denn derselbe Sturm,[247]

Der uns die Kronen raubte, hat auch sie

Gestürzt, und wenns mich auch einmal verdrießt,

Daß dieser


Er faßt an sein Diadem.


Reif nicht länger blitzt, wie sonst,

So tret ich rasch in Wodans Eichenhain,

Und denk an den, der mehr verloren hat!

DIETRICH.

So machst dus recht! – Das große Rad der Welt

Wird umgehängt, vielleicht gar ausgetauscht,

Und keiner weiß, was kommen soll.

RÜDEGER.

Wie das?

DIETRICH.

Ich saß einst eine Nacht am Nixenbrunnen

Und wußte selbst nicht, wo ich war. Da hab ich

Gar viel erlauscht.

RÜDEGER.

Was denn?

DIETRICH.

Wer sagts dir an?

Du hörst ein Wort und kannst es nicht verstehn,

Du siehst ein Bild und weißt es nicht zu deuten,

Und erst, wenn was geschieht, besinnst du dich,

Daß dirs die Norne schon vor Jahr und Tag

In Schattentänzen vorgegaukelt hat!


Trompeten.


IRING.

Die Helden nahn!

THÜRING.

Die Mörder!

RÜDEGER.

Davon still!

DIETRICH.

So blieb ein Rätsel mir im Ohre hängen,

Das lautete: Der Riese soll den Riesen

Nicht fürchten, nur den Zwerg! Hättst dus gelöst?

Seit Siegfrieds Tod versteh ichs nur zu wohl.

GÖTELINDE am Fenster.


Die Trompeten ganz nahe.


Da sind sie.

GUDRUN.

Welche muß ich küssen, Mutter?

GÖTELINDE.

Die Kön'ge und den Tronjer!

RÜDEGER zu den Recken.

Kommt denn, kommt!

DIETRICH.

Ihr, um zu grüßen, um zu warnen ich.

RÜDEGER.

Wie?

DIETRICH.

Ja! Wenn sie auf meine Winke achten,

So trinken sie mit dir und kehren um!


[248] Im Abgehen.


Halt Feuer und Schwefel auseinander, Freund,

Denn löschen kannst du nicht, wenns einmal brennt.


Alle ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 245-249.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Nibelungen
Die Nibelungen
Dramen (Judith - Maria Magdalena - Gyges und sein Ring - Die Nibelungen)
Agnes Bernauer - Die Nibelungen - Deutsche Klassiker Bibliothek der literarischen Meisterwerke

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon