Vierzehnte Szene

[292] KRIEMHILD.

So redest du? Das wird dir schlecht gedankt!

Man hält dich für den Brecher und Verächter

Von Brauch und Sitte, für den Hüter nicht,

Und wundert sich noch immer, wenn ein Bote

Von dir erscheint, daß er mit dir gesprochen

Und doch nicht Arm und Bein verloren hat.

ETZEL.

Man sieht mich, wie ich war, nicht wie ich bin! –

Ich ritt einmal das Roß, von dem dir nachts

In dem gekrümmten, funkelnden Kometen

Am Himmel jetzt der Schweif entgegen blitzt.

Im Sturme trug es mich dahin, ich blies

Die Throne um, zerschlug die Königreiche

Und nahm die Könige an Stricken mit.

So kam ich, alles vor mir niederwerfend,

Und mit der Asche einer Welt bedeckt,[292]

Nach Rom, wo euer Hoherpriester thront.

Den hatt ich bis zuletzt mir aufgespart,

Ich wollt ihn samt der Schar von Königen

In seinem eignen Tempel niederhauen,

Um durch dies Zorngericht, an allen Häuptern

Der Völker durch dieselbe Hand vollstreckt,

Zu zeigen, daß ich Herr der Herren sei,

Und mit dem Blute mir die Stirn zu salben,

Wozu ein jeder seinen Tropfen gab.

KRIEMHILD.

So hab ich mir den Etzel stets gedacht,

Sonst hätt Herr Rüdeger mich nicht geworben;

Was hat ihn denn verwandelt?

ETZEL.

Ein Gesicht

Furchtbarer Art, das mich von Rom vertrieb!

Ich darf es keinem sagen, doch es hat

Mich so getroffen, daß ich um den Segen

Des Greises flehte, welchem ich den Tod

Geschworen hatte, und mich glücklich pries,

Den Fuß zu küssen, der den Heilgen trug.

KRIEMHILD.

Was denkst du denn zu tun, den Eid zu lösen?

ETZEL deutet gen Himmel.

Mein Roß steht immer noch gesattelt da,

Du weißt, es ist schon halb zum Stall heraus,

Und wenn sichs wieder wandte und den Kopf

In Wolken tief versteckte, so geschahs

Aus Mitleid und Erbarmen mit der Welt,

Die schon sein bloßer Schweif mit Schrecken füllt.

Denn seine Augen zünden Städte an,

Aus seinen Nüstern dampfen Pest und Tod,

Und wenn die Erde seine Hufen fühlt,

So zittert sie und hört zu zeugen auf.

Sobald ich winke, ist es wieder unten,

Und gern besteig ichs in gerechter Sache

Zum zweiten Mal und führe Krieg für dich.

Ich will dich rächen an den Deinigen

Für all dein Leid, und hätt es längst getan,

Hättst du dich mir vertraut, nur müssen sie

In vollem Frieden erst geschieden sein.[293]

KRIEMHILD.

Bis dahin aber dürfen sie beginnen,

Was sie gelüstet, und den Bart dir rupfen,

Wenns ihnen so gefällt?

ETZEL.

Wer sagt dir das?

KRIEMHILD.

Sie stechen deine Mannen tot, und du

Erklärst es für Versehn.

ETZEL.

Sie glaubten sich

Verraten, und ich mußte ihnen zeigen,

Daß sies nicht sind. In dieser letzten Nacht

Geschah gar viel, was ich nicht loben kann

Und sie entschuldigt. Sonst verlaß dich drauf:

Wie ich die Pflichten eines Wirtes kenne,

So kenn ich die des Gastes auch, und wer

Den Spinnwebs-Faden, der uns alle bindet,

Wenn wir das Haus betreten, frech zerreißt,

Der trägt die Eisenkette, eh ers denkt.

Sei unbesorgt und harre ruhig aus,

Ich bringe dir für jeden Becher Wein,

Den sie hier trinken, eine Kanne Blut,

Wenn ich auch jetzt die Mücken für sie klatsche,

Nur duld ich nicht Verrat und Hinterlist.


Ab.


Quelle:
Friedrich Hebbel: Werke. Band 1–5, Band 2, München 1963, S. 292-294.
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