9.

In der Frühe

[288] Auf dem Faubourg Saint-Marceau

Lag der Nebel heute morgen,

Spätherbstnebel, dicht und schwer,

Einer weißen Nacht vergleichbar.


Wandelnd durch die weiße Nacht,

Schaut ich mir vorübergleiten

Eine weibliche Gestalt,

Die dem Mondenlicht vergleichbar.


Ja, sie war wie Mondenlicht

Leichthinschwebend, zart und zierlich;

Solchen schlanken Gliederbau

Sah ich hier in Frankreich niemals.


War es Luna selbst vielleicht,

Die sich heut bei einem schönen,

Zärtlichen Endymion

Des Quartier Latin verspätet?


Auf dem Heimweg dacht ich nach:

Warum floh sie meinen Anblick?

Hielt die Göttin mich vielleicht

Für den Sonnenlenker Phöbus?


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 288.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Gedichte
Neue Gedichte
Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Düsseldorfer Ausgabe / Neue Gedichte
Neue Melodien spiel ich: Gedichte (Insel Bücherei)
Neue Gedichte: Deutschland. Ein Wintermärchen. Atta Troll (insel taschenbuch)
Neue Gedichte