3.

[305] Während solcherlei Beschwerde

In der Unterwelt sich häuft,

Jammert Ceres auf der Erde.

Die verrückte Göttin läuft,

Ohne Haube, ohne Kragen,

Schlotterbusig durch das Land,

Deklamierend jene Klagen,

Die euch allen wohlbekannt:


»Ist der holde Lenz erschienen?

Hat die Erde sich verjüngt?

Die besonnten Hügel grünen,

Und des Eises Rinde springt.

Aus der Ströme blauem Spiegel

Lacht der unbewölkte Zeus,[305]

Milder wehen Zephirs Flügel,

Augen treibt das junge Reis.

In dem Hain erwachen Lieder,

Und die Oreade spricht:

›Deine Blumen kehren wieder,

Deine Tochter kehret nicht.‹


Ach wie lang ist's, daß ich walle

Suchend durch der Erde Flur!

Titan, deine Strahlen alle

Sandt ich nach der teuren Spur!

Keiner hat mir noch verkündet

Von dem lieben Angesicht,

Und der Tag, der alles findet,

Die Verlorne fand er nicht.

Hast du, Zeus, sie mir entrissen?

Hat, von ihrem Reiz gerührt,

Zu des Orkus schwarzen Flüssen

Pluto sie hinabgeführt?


Wer wird nach dem düstern Strande

Meines Grames Bote sein?

Ewig stößt der Kahn vom Lande,

Doch nur Schatten nimmt er ein.

Jedem sel'gen Aug' verschlossen

Bleibt das nächtliche Gefild',

Und solang der Styx geflossen,

Trug er kein lebendig Bild.

Nieder führen tausend Steige,

Keiner führt zum Tag zurück;

Ihre Träne bringt kein Zeuge

Vor der bangen Mutter Blick.«
[306]

Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21972, S. 305-307.
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