Präludium

[57] Dieses ist Amerika!

Dieses ist die Neue Welt!

Nicht die heutige, die schon

Europäisieret abwelkt. –


Dieses ist die Neue Welt,

Wie sie Christoval Kolumbus

Aus dem Ozean hervorzog.

Glänzet noch in Flutenfrische,


Träufelt noch von Wasserperlen,

Die zerstieben, farbensprühend,

Wenn sie küßt das Licht der Sonne.

Wie gesund ist diese Welt!


Ist kein Kirchhof der Romantik,

Ist kein alter Scherbenberg

Von verschimmelten Symbolen

Und versteinerten Perucken.


Aus gesundem Boden sprossen

Auch gesunde Bäume – keiner

Ist blasiert und keiner hat

In dem Rückgratmark die Schwindsucht.


Auf den Baumesästen schaukeln

Große Vögel. Ihr Gefieder

Farbenschillernd. Mit den ernsthaft

Langen Schnäbeln und mit Augen,


Brillenartig schwarz umrändert,

Schaun sie auf dich nieder, schweigsam –[57]

Bis sie plötzlich schrillend aufschrein

Und wie Kaffeeschwestern schnattern.


Doch ich weiß nicht, was sie sagen,

Ob ich gleich der Vögel Sprachen

Kundig bin wie Salomo,

Welcher tausend Weiber hatte


Und die Vögelsprachen kannte,

Die modernen nicht allein,

Sondern auch die toten, alten,

Ausgestopften Dialekte.


Neuer Boden, neue Blumen!

Neue Blumen, neue Düfte!

Unerhörte, wilde Düfte,

Die mir in die Nase dringen,


Neckend, prickelnd, leidenschaftlich –

Und mein grübelnder Geruchsinn

Quält sich ab: Wo hab ich denn

Je dergleichen schon gerochen?


War's vielleicht auf Regentstreet,

In den sonnig gelben Armen

Jener schlanken Javanesin,

Die beständig Blumen kaute?


Oder war's zu Rotterdam,

Neben des Erasmi Bildsäul',

In der weißen Waffelbude

Mit geheimnisvollem Vorhang?


Während ich die Neue Welt

Solcher Art verdutzt betrachte,

Schein ich selbst ihr einzuflößen

Noch viel größre Scheu – Ein Affe,
[58]

Der erschreckt ins Buschwerk forthuscht,

Schlägt ein Kreuz bei meinem Anblick,

Angstvoll rufend: »Ein Gespenst!

Ein Gespenst der Alten Welt!«


Affe! fürcht dich nicht, ich bin

Kein Gespenst, ich bin kein Spuk;

Leben kocht in meinen Adern,

Bin des Lebens treuster Sohn.


Doch durch jahrelangen Umgang

Mit den Toten nahm ich an

Der Verstorbenen Manieren

Und geheime Seltsamkeiten.


Meine schönsten Lebensjahre,

Die verbracht ich im Kyffhäuser,

Auch im Venusberg und andern

Katakomben der Romantik.


Fürcht dich nicht vor mir, mein Affe!

Bin dir hold, denn auf dem haarlos

Ledern abgeschabten Hintern

Trägst du Farben, die ich liebe.


Teure Farben! Schwarz-rot-goldgelb!

Diese Affensteißcouleuren,

Sie erinnern mich mit Wehmut

An das Banner Barbarossas.


Quelle:
Heinrich Heine: Werke und Briefe in zehn Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21972, S. 57-59.
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