Junge Gäste

[275] Ein Vorspruch


Ich lad' euch, meine jungen Gäste,

Ihr Kinder dampfumwölkter Zeit,

Zu einem stillen Sonnenfeste

Ruhvoller Herzensheiterkeit.


Kommt aus der Qual, kommt aus der Mühe,

Die euren Jugendpfad umgraut!

Die Knospe harrt, daß sie euch blühe,

Der Himmel harrt, daß er euch blaut.


Wie bleich ihr seid! Auf euren Wangen

Mit fahlen Fingern zuckt die Not,

Die Brust durchzittert ein Verlangen

Nach Frühlingswein und Festtagsbrot.


Kommt her – wir wollen euch erquicken,

Mit edlen Gaben euch erfreun,

Den Dunst der häßlichen Fabriken

Mit einem Schönheitsstrahl zerstreun.
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Trinkt aus dem schimmernden Pokale,

Lauscht auf der großen Künstler Spiel,

Setzt mit den Weisen euch zum Mahle,

Erkennt mit Lust des Forschers Ziel! ...


Ach, daß ihr dürftet! Welche Schranken

Sind euren Wünschen schroff getürmt!

Der Sehnsucht fliegende Gedanken,

Sind sie zu kühn vorausgestürmt?


Auch euch, auch euch noch drückt danieder

Die Erzfaust der Notwendigkeit?

Der Lebensfreude Lichtgefieder,

Entschwindet's euch noch wolkenweit?


Kommt her! Die Frist kann nimmer währen,

Bereitet eure Herzen heut!

Zum Fest an künftigen Altären

Erklingt ein lockend Maigeläut.

Quelle:
Karl Henckell: Gesammelte Werke. Band 2: Buch des Kampfes, München 1921, S. 275-277.
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