Die Dämonen der Städte

Sie wandern durch die Nacht der Städte hin,

Die schwarz sich ducken unter ihrem Fuß.

Wie Schifferbärte stehen um ihr Kinn

Die Wolken schwarz vom Rauch und Kohlenruß.


Ihr langer Schatten schwankt im Häusermeer

Und löscht der Straßen Lichterreihen aus.

Er kriecht wie Nebel auf dem Pflaster schwer

Und tastet langsam vorwärts Haus für Haus.


Den einen Fuß auf einen Platz gestellt,

Den anderen gekniet auf einen Turm,

Ragen sie auf, wo schwarz der Regen fällt,

Panspfeifen blasend in den Wolkensturm.


Um ihre Füße kreist das Ritornell

Des Städtemeers mit trauriger Musik,

Ein großes Sterbelied. Bald dumpf, bald grell

Wechselt der Ton, der in das Dunkel stieg.


Sie wandern an dem Strom, der schwarz und breit

Wie ein Reptil, den Rücken gelb gefleckt

Von den Laternen, in die Dunkelheit

Sich traurig wälzt, die schwarz den Himmel deckt.


Sie lehnen schwer auf einer Brückenwand

Und stecken ihre Hände in den Schwarm

Der Menschen aus, wie Faune, die am Rand

Der Sümpfe bohren in den Schlamm den Arm.
[186]

Einer steht auf. Dem weißen Monde hängt

Er eine schwarze Larve vor. Die Nacht,

Die sich wie Blei vom finstern Himmel senkt,

Drückt tief die Häuser in des Dunkels Schacht.


Der Städte Schultern knacken. Und es birst

Ein Dach, daraus ein rotes Feuer schwemmt.

Breitbeinig sitzen sie auf seinem First

Und schrein wie Katzen auf zum Firmament.


In einer Stube voll von Finsternissen

Schreit eine Wöchnerin in ihren Wehn.

Ihr starker Leib ragt riesig aus den Kissen,

Um den herum die großen Teufel stehn.


Sie hält sich zitternd an der Wehebank.

Das Zimmer schwankt um sie von ihrem Schrei,

Da kommt die Frucht. Ihr Schoß klafft rot und lang

Und blutend reißt er von der Frucht entzwei.


Der Teufel Hälse wachsen wie Giraffen.

Das Kind hat keinen Kopf. Die Mutter hält

Es vor sich hin. In ihrem Rücken klaffen

Des Schrecks Froschfinger, wenn sie rückwärts fällt.


Doch die Dämonen wachsen riesengroß.

Ihr Schläfenhorn zerreißt den Himmel rot.

Erdbeben donnert durch der Städte Schoß

Um ihren Huf, den Feuer überloht.
[187]

Quelle:
Georg Heym: Dichtungen und Schriften. Band 1, Hamburg, München 1960 ff., S. 179-180,186-188.
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