[459] Vorn am Fenster im Lehnstuhl die Mutter. Rose begleitet eine Magd und einen Knaben, die einen gepackten Koffer tragen, nach der Thür. Man sieht draußen während der ganzen Scene Bürgerfrauen, Mägde und Kinder mit Körben und Bündeln beladen, von links nach rechts vorübereilen.
ROSE.
Nun geht und grüßt den Capitän und sagt,
Wir kämen nach.
Die Beiden ab.
Nur noch den Korb gepackt;
Dann sind wir fertig, Mutter. Habt Ihr auch
Das Halsband von Topasen, das der Vater
Euch aus Brasilien mitgebracht, die Kette
Und das Granatkreuz –
MUTTER.
Kind, Kind –
ROSE.
Unsre Bibel
Liegt schon im Korb.[459]
MUTTER.
Die laß mir nur heraus!
Ich muß doch Etwas hier behalten, Kind,
Zu meinem Trost.
ROSE.
Wie, Mutter? Hierbehalten?
MUTTER.
Nun ja! Hast du im Ernst dir eingebildet,
Ich ginge mit zu Schiff?
ROSE.
Wie anders, Mutter?
Ihr könnt doch nicht –
MUTTER.
Ja sieh, du bist noch jung;
Du fängst noch anderswo ein Leben an.
Ich aber – unter diesem Dache bin ich
Geboren, hab' hier dich zur Welt gebracht,
Und hier um deinen Vater mich gegrämt.
Meinst du, ich könnt' aus unserm Häuschen gehn,
Wie aus der ersten besten Gastherberge?
Nein, da, wo man gelebt hat, soll man sterben.
ROSE.
Unmöglich, Mutter! Ihr, da Alles flieht,
Ihr wolltet hier allein in Schutt und Trümmern –
MUTTER.
Laß nur! Wenn du auch sonst wol klüger bist,
Das weiß ich einmal besser. Lieber Heiland!
Ich ohne meine Schränke, meine Stühle,
In fremden Betten schlafen, meine Suppe
Von fremdem Teller essen – nein, das bringt mich
Doch in die Grube! Da ist's besser, Kind,
Ich sitz' hier noch, so lang es Gott gefällt,
Und wenn sie mir das Häuschen überm Kopf
Zusammenschießen, bin ich eben nur
Ein altes Möbel mehr und geh' in Stücke
Am alten Fleck. Bin doch nichts weiter nutz![460]
ROSE.
Gut! Wenn Ihr bleiben wollt, so bleib' auch ich,
So sterben wir zusammen!
MUTTER.
Aber Kind,
Was fällt dir ein? Das hieße Gott versuchen.
Begreifst du nicht den Unterschied? Und denk nur,
Wenn hier ein Haufe Marodeurs, entmenschte
Mordbrenner –
ROSE.
Keiner soll mich lebend fangen!
Dort hängt des Vaters Büchse am Gesims.
Ich lud sie neulich erst, auf alle Fälle.
Allein was red' ich auch? Ihr müßt mir folgen!
O Mutter, sind nicht Aeltre noch als Ihr –
MUTTER.
Zum letzten Mal: ich bleibe! Willst du wirklich
Zum Abschied noch mich böse machen?
ROSE sich rathlos umsehend, erblickt auf der Straße den Rector mit seinem Sohn, beide bewaffnet, und eilt nach der Thür.
Herr Rector! o nur auf ein Wort!
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