[153] Der Garten. Im Hintergrund links, bergauf, das Haus, dahinter der Berg. Rechts, bergab, das Bette des Baches, von Weiden verdeckt. Den Hintergrund schließt der Zaun, dahinter eine schmale Landstraße, jenseits Buschwerk. Der ganze Garten ist ein grasbewachsener Abhang, auf dem unregelmäßig Obstbäume stehen. Abendsonne.
Elis liegt auf dem Boden, auf dem von der tiefstehenden Sonne durchwärmten Rasen. Sein Kopf ruht auf einem weißen Bettpolster. Seine Augen sind geschlossen. Großmutter und Anna stehen hinter ihm, Anna über ihn geneigt.
ANNA.
Siehst du, Großmutter, wie er nun sanft atmet?
Stell dich hierher, Großmutter, und ich will
Die Hand vorhalten, daß die Sonne ihm
Nicht auf die Lider scheint. Versteckt sie sich?
Wie gut! Das war die erste Nacht im Leben,
Die ich gewacht hab. So kommt alles einmal.
Zuerst warf er sich wild herum und sprach so wirr,
Dann nahm er wieder meine Hand in seine ...
Großmutter, später wenn ich seine Frau bin –
Großmutter, weißt du, daß es morgen sein soll?
Daß so etwas so wird! Kannst dus denn fassen?
Auf einmal war es da, war ausgesprochen!
Er liegt und hält mir fest die Hand in seiner,
Und mitten in sein schwaches Augen-Auf-
Und wieder Zuschlagen, da spricht der Vater
Als wie im Scherz und halb, ihn zu erfreuen,
Ein Wort und er, halbaufgestemmt im Bette,
Drängt seinen Blick in mich und dann zum Vater
Und »morgen« sagt er, »laßt es morgen sein«,
So ängstlich innig erst, dann noch einmal
Befehlend heftig und doch flehend »morgen!«[153]
Dann sank er hin und nahm auch mein Blut mit,
Daß ich kaum hörte, was der Vater ... Du,
Du sprachst dann noch, das gab den Ausschlag, du!
Und morgen! Die Verwandten werden kommen,
Den Vater freuts, nicht wahr, Großmutter? Sag!
Er gönnt mich ihm. Es hätt ja doch nicht anders,
Nicht wahr, es hätt nicht anders kommen können?
Sprech ich zu viel? Meinst du, ich weck ihn auf?
Ich kann nicht schweigen, schwieg ich doch die Nacht
Zu Tod beklommen, und vorher dies alles,
Es drückt mich tot, wenn ich nicht reden darf!
Großmutter, wenn ich seine Frau bin, weißt du,
Und er mein Mann ... Großmutter, wohin gehst du?
GROSSMUTTER auf ihren Stock gestützt, im Begriff, gegen das Haus hinaufzusteigen.
Ich geh hinein und laß den großen Schrank
Auftun, der lang nicht offen war, den hohen:
Da hängt der Anzug, den der Großvater
Zu deines Vaters Hochzeit trug: er trug ihn
Nur dieses eine Mal, die Knöpfe dran
Sind schwere Silbertaler, den soll morgen
Der Elis antun, und du legst mein Kleid an,
Das her ist noch von meiner Mutter selig.
ANNA.
Das fremdartige, das ich mir als Kind
Nicht genug sehen konnte, wenns im Schrank hing?
Paßt das für mich?
GROSSMUTTER.
Für den Tag paßt es wohl,
Und daß der Elis von Statur fast gleich ist
Wie dein Großvater, hab ich wohl bemerkt
Im Stehn und Sitzen, wenn er mit mir sprach.
Sie entfernt sich.
ANNA neben Elis niederkniend.
Ihr müßt ihm alles tun, daß er nicht merkt,
Wie nichts an mir ist, wie er da nichts hat!
Nun sind wir ganz allein. Wär ich was Andres,
Was mehr, was Schönres! Daß er sich nach mir
Verlangt! Wenn ich es denken will, verwirrts mich.[154]
Er hat mich ja schon ganz, was kann ich ihm noch geben?
Mir ist, als hätt ich niemals was gespürt,
Was sich nicht schon versteckt auf ihn bezog.
Sprang ich aus meinem Bett, die Stern zu zählen,
So wars um ihn, und zogs mich in den Wald,
Ich weiß, es war um ihn.
ELIS richtet sich auf.
Du sitzt bei mir! So ist es wahr, sag, Anna!
Sag: morgen! sag mir, daß es wirklich ist!
Und daß dus warst, die ganze Nacht du, wirklich ...
ANNA.
Nicht fragen!
ELIS plötzlich verfinstert.
Doch vorher!
ANNA.
Was denn vorher?
Denk nicht daran: du gingst um deinen Mantel,
Da faßte dich der böse schwere Dunst
Und schlug dich nieder.
ELIS schüttelt den Kopf.
ANNA.
Elis, ich weiß jetzt,
Was ihr vorher gesprochen habt, ihr beide ...
ELIS angstvoll aufgerichtet.
Wir beide?
ANNA völlig harmlos.
Nun, du und der Vater, Elis.
ELIS.
Doch drunten dann die lieblich ersten Worte
Vergeudet, statt an dich! Kannst dus verzeihen?
Mich grausts, wenn ich es denk!
ANNA.
Sag, welche Worte?
ELIS.
Es kam aus seinem Dunkel auf mich zu
Und hatte dein Gesicht.
Bedeckt sich die Augen.
ANNA.
So wars ein Nichts!
Und ausgebrütet von der bösen Luft
Und Finsternis. Ich hatt einmal ein Fieber
Und war noch klein, da meint ich immerfort,[155]
Ich sähe eine Hand an meinem Bett,
Und wie das Fieber fort war, wars auch fort.
Denk nicht mehr an die Träume, nun ists hell,
Und wirds auch dunkel, sind wir beieinander.
Und künftig, wenn ich merk, du träumst so finster,
Und wenn du mirs erlaubst, so weck ich dich,
Dann plaudern wir, und wie du merkst, daß ichs bin,
Die dir gehört und die lebendig ist,
Besinnst du dich auf alles, und die Träume
Huschen so weg.
ELIS.
Du Liebe, in der Kammer,
In der du bist und mir gehörst, da brauch ich
Nicht Sonne und nicht Mond.
ANNA.
Nicht laut es sagen!
Eine kleine Pause.
ELIS einen Gedanken verfolgend.
So weißt du denn, wie alles kam?
ANNA.
Geh, freilich:
Ich sah dich fort und fort und hatte dich
Ja lieb vom ersten Abend an!
ELIS.
Nicht so,
Ich meins nicht so! Ahnst nicht, ist nichts in dir,
Das ahnt, wie alles dies zusammenhängt?
ANNA.
Ich kann dich nicht verstehn, jetzt gar nicht, Elis.
Daß mich auch du anfingest liebzuhaben?
Du lieber Gott, freilich begreif ichs nicht!
Sag, meinst du das? Ists denn auch wirklich wahr?
Könnt ichs nur glauben! Zwar ich spürs, ich trau mich
Nur nicht zu glauben, daß es das auch ist,
Was ich so spür. Verstehst du, wie ichs mein?
ELIS ohne auf sie zu achten.
Ich mein, ob du begreifst, wie ich herkam,
Was mich herführte, hier zu euch, zu dir?
ANNA.
Was gehts mich an, wie du mir kamst, ich hab dich!
ELIS stärker erregt.
Du mußt mich hören! Das, was mich hierhertrieb,[156]
Das, dünkt mich, war im Dunkeln irgendwie
Drauf abgesehn, dich zu verderben!
ANNA hält ihm den Mund zu.
Elis!
ELIS macht sich frei, liegt aufgestemmt; immer erregter. Sie kniet neben ihm.
Nein, laß mich reden. Es muß an den Tag.
Habt ihrs euch nie gesagt? Wer bin denn ich,
Daß ich, ich, der verlaufene Matros,
Hinunterfahren mocht in euren Schacht
Und eure alten Bergleut wie im Traum
Dahin und dorthin weisen, alles lenken,
Und euch reich machen, wie kein Mensch hier ist.
Habt ihr euchs nie geträumt, daß irgendwie
Ein Preis dafür gezahlt müßt worden sein?
Nahmt ihrs, wie ihr die Birnen nehmt vom Baum?
ANNA.
Ein Fürchterliches willst du mir jetzt sagen:
Dir im Gesicht arbeitet schon der Schein,
Dens voraus wirft. Elis, erbarm dich, schnell!
ELIS.
Hör mich: Ich, der hierherkam, hier zu wohnen,
Hier ging und stand und aß und schlief bei euch:
Ich durfte das nicht tun.
ANNA.
Was denn, mein Lieber?
ELIS.
Ich richtete manchmal bei Tisch die Rede
So halb an dich, daß du wohl fühlen konntest,
Mir wars um dich, ob ich nun sprach, ob schwieg!
ANNA.
Mir war, als wärs so.
ELIS.
Abends setzt ich mich
Dort hin, wo du vorübergehen mußtest?
ANNA.
Ja, Elis, oder nicht?
ELIS.
Und einmal nahm ich,
Einmal, am Zaun dort, dich bei deiner Hand?
ANNA.
Ja freilich. Das ist schon zwei Monat her.[157]
ELIS.
Von meinem Vater und von meiner Mutter
Erzählt ich dir, und als du weintest, sprach ich ...
Was denn?
ANNA.
Ja hast dus denn vergessen, Elis?
ELIS.
Und überhaupt, hier oder dort und früh
Und spät drängt ich mich in dein Denken ein,
Wollt wissen, was dir lieb war, fragte dich
Um alles aus mit sehnsuchtsvollem Atem.
Wie? Oder nicht?
ANNA.
Nicht mehr mich fragen, Elis!
Was siehst du so auf mich? Verdrieß ich dich?
ELIS.
Dies alles, alles, alles durft ich nicht!
ANNA sanft.
Du darfst an mir so tun, wie dir gefällt!
ELIS wilder.
Ich durft es nicht!
Dumpf.
Ich warb und durfte nicht!
ANNA springt auf.
Ich fleh dich an, verschon mich nicht, sag alles!
Du hast ein Weib in einem andern Land?
ELIS aufgestemmt auf dem Rasen wie ein Kranker im Bett.
Kein Weib auf Erden, das zu mir gehört!
Mißhör mich nicht, komm näher her zu mir!
Ich selber, ich, bin so beschaffen, Anna,
Daß ich nicht mehr daheim sein kann auf Erden:
Mir widerfuhrs einmal, daß mich ein Etwas
Hindrängte an den Rand, dann zog es mich
Hinüber, ich gehör nicht mehr hierher,
Ich bin ein Gast, ein schauerlicher Gast!
Bitt nicht mit deinen Augen, daß ich schweige:
Es muß heraus, begreif mich!
ANNA.
Du bist krank.
ELIS.
Versteh mich doch. Es ist nicht bloß in mir:
Gemeinschaft hats mit Anderem, das draußen![158]
Ist eine Welt wie eure, stärker, größer:
Die Sterne sind ihr untertan, die Zeiten.
Zu der gehör ich. Sieh, ich meinte auch,
Ich wähnte ja, man könnte ihr entrinnen.
Allein sie legt den Körper und den Geist
An ihre Ketten. Wollt ich ihr Geheimnis
Hinunterschlingen, es zerfleischte mir
Mein Inneres und bräch aus seinem Käfig.
Könnt ichs vergessen, mirs vom innern Aug
Wegblenden, sieh, dann wär ich selber nichts,
Gar nichts mehr, dies war alle meine Macht:
Was dich verfing an mich, war dieser Zauber,
Er sitzt in allen Fibern meines Wesens,
Und liebst du mich, so liebst du mich um Dinge,
Die mehr als Tod hinhauchen über dich.
Ich wollt es ja vergessen, wollte atmen
An dir, bei dir nur diese süße Luft.
Es ließ mich auch, es ließ mich, aber gestern
Sprangs aus dem Dunkel vor und nahm mich wieder
Und drückte mir den Schlüssel in die Hand ...
Er schaudert.
ANNA.
Hab Mitleid mit dir selber! Welchen Schlüssel?
ELIS.
Den, der die erste äußre Tür aufschließt.
Und drinnen stehts im Dunkel, bebt und schimmert
Und wartet ... Anna, bieg dein Ohr zu mir,
Ich will dir alles sagen, doch von innen
Schnürts mir die Kehle zu, von außen kommts,
Unsichtbar reckt sichs zwischen uns und saugt
Das Wort mir von den Lippen!
ANNA umschlingt ihn und küßt ihn rasch auf die Lippen.
Elis, mich!
Fühl meine Lippen! Sieh, zum erstenmal,
Es kann nichts zwischen uns, ich halte dich.
Glaub mir, dies alles ist nichts, du bist krank.
Gibts nicht geheimnisvolle Krankheiten?
Greif her, wie kalt jetzt meine Hände sind:[159]
Dies ist, weil ich mich ängstig, wie du redest.
Siehst du, selbst ich, gesund und frisch und töricht,
Werd gleich etwas wie krank aus Einbildung.
Nun du! was kocht und schafft in dir nicht alles!
Das fällt dich nun auf einmal an, siehst du,
Und fürchterlich zuckts zwischen Geist und Leib
Dir hin und her, dich schwindelts, von den Lippen
Fällt dir die Rede wild, die Augen starren.
Ich aber rühr dich an und hab nicht Furcht:
Auch deine Krankheit graut mich nicht, weil sie
Von dir ein Teil. Glaub mir, fast bin ich froh.
Nun hab ich doch, was ich dir tuen darf,
Und hab das erste, was ich tragen muß
Um deinetwillen. Nun ists Angst nur halb,
Halb etwas Liebes. Um dich darf ich nun
Herumschleichen und fort und fort dich ansehn
Und schwätzen und dich nicht in Ruhe lassen,
Bis dies vorbei ist. Sinkst du so in dich
Wie jetzt und starrst so vor dich, Elis, Lieber,
So darf ich bitten: mich sieh an, nur mich!
Und keine Stelle, nirgends, nicht im Haus
Und nicht im Garten, wo dein Blick hinfällt,
Soll leer sein von Erinnerung, daß ich
Auch dort und da und dort und überall
So vor dir lag, ob nichtig auch, doch dein!
Sie hält einen Augenblick inne, sein Blick ruht auf ihr und scheint doch über sie hinauszustarren.
Und öfter war mir so, du sehntest dich
Danach ein wenig und ich würd es nicht
So vor dir sagen können, und nun kann ichs.
Bleib sitzen, bleib bei mir, was jagt dich auf?
ELIS reißt sich und zugleich Anna, die sich an ihn klammert, vom Boden auf.
Er kommt auf uns zu!
ANNA.
Elis, bleib bei mir!
Torbern ist aus den dämmernden Weiden rechts unten hervorgetreten, barhaupt, noch verfallener als früher. Er steigt mit gewaltigen Schritten den Rasenhang hinauf, grüßt Elis im Kommen, mit der knochigen Hand schlenkernd.
[160]
ELIS.
Was grinsest du auf mich, was wälzest du
Auf die und alles deinen Blick!
Anna drückt sich an Elis, fast sinnlos vor Furcht.
TORBERN.
Wieder seh ichs!
Den Anfang wieder, nun das Ende da!
Er steht etwas oberhalb und hinter den beiden, wie ein im Vorübergehn Stehengebliebener.
Hier wars wohl etwa, hier, und solch ein Haus
Und solch ein Weib. Die Züge sind entschwunden,
Allein es schwankt ein Bild heran und gleicht
In etwas diesem ... Ob sie jung verstarb?
Ob alt, was die alt nennen – beides sinkt
Gleich weit zurück, ein Dunst trinkt alles auf.
Ich bin zu alt, mich hier noch zu erinnern.
ELIS.
Du fürchterlicher Knecht, was führtest du
Mich her, hier her? Konnt ich nicht diese Frist
In der Einöde hausen? Konnt ich nicht
Mich aus der Wildnis dort hinunter wühlen?
Was mußt ich her und dies Geschöpf verderben?
ANNA zitternd an ihn gedrückt.
Elis, ich kann nicht hinschaun, deck mich zu!
TORBERN.
Ja, ja, ich brachte dich hierher. Mich freuts,
Wie stets dein Schicksal nur das meine äfft.
Triebs mich nicht auch aus solchen Armen weg!
Tritt nach, tritt nach. Weißt du noch, wie du saßest
Am Strand da drunten, wie aus deinem Mund
Der Ekel troff und Fluch auf diese Welt,
Wie dir sichs löste, daß es unsersgleichen
Gegeben ist, sie hinter sich zu lassen
Und ihre Niedrigkeiten abzutun?
Wie dir das Weib so schal war als ein Tier
Und jedes irdische Geschöpf mit Grauen
Trat hinter sich vor dir und deinem Blick ...
Da kam ich recht, da sogest du gewaltig[161]
Den Hauch, da rissest du in dich die Macht,
Die mir aus Antlitz und Gebärden quoll.
Mich trieb ein Geist, er springt auf dich hinüber,
Tritt nach, Zeit ists, ich fahre hin wie Rauch.
ANNA ohne aufzusehen.
Was spürt er noch umher und streut den Tod
Auf alles! Hab doch Mitleid, heiß ihn gehn!
TORBERN umherblickend.
Habt ihr auch Kinder? Ist mir nicht, mir hingen
Auch Kinder um die Knie? Nun stehn sie auf,
Die letzten Tage! oder warens Jahre?
Ich witter einen Duft, der sie zurückbringt,
Die Zeit, die vor dem großen Weggehn war.
Da kämpft verworren eins gegen das andre,
Im dumpfen Herzen würgt sich Wunsch und Wunsch,
Und die empörten Teile lösen fast
Das Ganze auseinander – Tod ist nah.
Da bricht ein ungeheurer Morgen an,
Da stehst du auf, sie schlafen rings um dich,
Das Weib und deine Kinder, und dein Blick
Streift über sie und achtet ihrer kaum:
Den Hund, die Katze streift dein Blick, und sie,
Gleichmütig, ungerührt, von innen funkelnd:
Denn vor ihm, dem erlösten Adlerblick,
Entblößt sich die geheime Schwelle wieder.
Spürst du den Morgen herwehn, Elis Fröbom?
Ich aber spür den Morgen, der mich nimmt.
Er wendet sich zu gehen.
ELIS dumpf.
Wo gehst du hin?
TORBERN.
Heißt du mich immer reden,
Und schon dies Denken saugt an meinem Mark.
Zu sterben geh ich, einen Wassersturz
Find ich wohl wieder, Bäume liegen dort,
Die brach ein Sturm der Nacht, die riesigen.
Dort leg ich mich, dort ziemt es mir zu liegen.
Dort fängt ein Mondstrahl sich im starren Aug
Und läßt es funkeln als einen Rubin,[162]
Nachtvögel kreisen durch den offnen Mund.
Es ziemt sich nicht, daß unsereiner sterbe,
Wo Menschen um ihn sind, denn da wir lebten,
Teilhaftig eines Bessern, stießen wir
Das Menschliche mit Füßen, redeten
Mit Höhn und Tiefen und genossen Glück
Von einem Leib, vor dem die Zeiten knien
Und dem die Sterne ihren Dienst erweisen.
ANNA fast wimmernd.
Elis, ich will nicht hören, was er redet.
TORBERN.
Ich will dich nicht mehr sehn. Es zehrt an mir,
Daß du anhebst zu leben, da ich ende.
Er geht mit großen schweren Schritten aufwärts, schief durch den Garten, tritt rückwärts auf die Straße hinaus, verschwindet drüben in der Dämmerung.
Eine Weile schweigen beide.
ANNA sich aufrichtend.
Weh, grausam, grausam. Und du ganz wie er!
Du seinesgleichen, du! Vorbei. Ganz aus.
Aus, alles aus, zu Ende, tot, vorbei.
Nicht Träume, wirklich wie dies Herz das schmerzt.
Sprich nicht, ich hab alles verstanden, alles!
Ich weiß wohl, wer er war. Ich weiß, er ließ
Sein Weib, ich weinte, als sie mirs erzählten.
Ich weinte doch, und hielt es für ein Märchen.
Nun sah ich ihn, den seit zweihundert Jahren
Kein Auge sah, und sah, wie er zu dir
So redet, wie der Gleiche zu dem Gleichen.
An mir ist nichts, das zweifelt. Eine Hand
Griff fest in mich hinein und hielt mich in die Höh,
Daß ich nicht umfiel, und so wie ein Totes
Starr sein, und alles gleich begreifen konnte.
Nun glaub ich nicht mehr, daß es Träume sind.
So hat ein jedes Ding sein Recht zu leben:
Das fürchterliche Unbegreifliche
Grad so wie Liebes, Gutes. Hast du das
Immer gewußt? Und konntest doch so sein,[163]
So sanft, so lieb, so gut, so fröhlich, Elis,
Als wie du manchmal warst! Das faß ich nicht.
ELIS.
Bleib nah bei mir und küsse mich!
ANNA.
Du Lieber,
Hast dus denn nicht gehört, es kommt ein Morgen –
Wie bald! Hast dus denn nicht gehört: er saß
In seinem Bett und wälzte seinen Blick
Über sein Weib: sie war ihm wie ein Tier,
Er stieß nach ihr, wie man nach Hunden stößt,
Und lechzte in die Nacht mit glühnden Augen,
Nach der im Dunkel Stehenden, nach der,
Von der ein unsichtbarer Hauch Gewalt hat
Über dein Blut viel mehr, viel mehr als ich,
Ob ich mich lebend an dich häng, ob sterbend!
ELIS.
Anna, ich bin bei dir! Fühlst du mich nicht?
Bin nah und in mir ist kein Tropfen Blut,
Der sich nicht lechzend sehnt in dich hinein!
ANNA sieht ihn traurig an.
Du, du! Dich ganz zu haben, daß ichs wähnte!
Daß ichs nicht besser spürte, wer du sein mußt!
Als du eintratest, ganz von ihr erfüllt:
Die Augen da, die Lippen, alles drängte
Dorthin! Ich rührte dich, weil ich noch dastand
Am Rand der Welt, von der dein Weg sich löste.
Da faßtest du mich an, da wars um mich getan.
ELIS hastig, fieberhaft.
Komm mit mir weg von hier, wir gehn hinunter
In die Seestädte, wo ich früher war.
ANNA.
Wir machen uns nicht los, du warst doch drunten,
Da zog es dich herauf: warum nur hierher?
Ich war so jung, so ohne Arg. So hast du
Dich doch an mir gefreut, solangs gegeben war?
ELIS.
Wir sinds noch! Alles ist![164]
ANNA schüttelt den Kopf.
Er sah dich ja
Schon einmal, ich habs wohl gehört, er sah dich,
Da stießest du ein Weib von dir zurück:
Sie war dir schal als wie ein Tier, die Arme!
Nun kommt mein Tag, weil ich die Zweite bin.
Du kommst herum um mich auf deinem Weg.
ELIS wie von einem plötzlichen Krampf verzerrt.
Was für ein Wort du redest, Anna! Anna!
Gib acht, sprich nicht! Wie wirst du mir auf einmal?
Du scheinst mir so verwandelt, du verbleichst so!
So sag doch, daß dus bist!
ANNA demütig.
Ich bin ja nichts,
Als was du machst aus mir. Nein, Elis, nein:
Das weiß ich wohl, daß ich mit meiner Lieb
Und meinem Leib und allem, was ich bin,
Dich niemals halten kann, dich nie, für den
Dies Leben hier nicht alles ist, wie mir.
Ist dir, du hättest Lust an mir? Da träumst du!
Die Augen hier, der Leib, den alles schüttelt,
Was kanns dir sein, der maßlos wünschen darf?
Ich müßt in deinem Arm vergehn vor Scham:
Mit dem enttäuschten Blick an mir hinwühlend,
Zerstörst du deine Lust und mich zugleich.
Was sollt ich tun, was lassen, dich zu halten?
Wahnsinnig müßt ich werden, stieg' mein Denken
Aus meinem Herzen auf in diesen Kopf.
Nichts bleibt mir, nichts, als Scham und Qual und Not.
Stehst du noch immer da und siehst mich an?
Dahlsjö und die Großmutter kommen aus dem Hause langsam den dämmernden Garten herab.
ANNA.
Daß dus nicht bist! Daß du noch anders bist!
Und wer du seist und wie du mich zerstörst,
Solang du hier willst bleiben, bin ich dein.
Mein Herz zerreißt, doch niemand soll es wissen.
Da kommen die. Willst du mich küssen, Elis?
Sie sollen es nicht sehen, daß ich starb.
Sie biegt ihm ihr Gesicht hin. Ihn treibt ein Schauder zurück und er weicht aus.
[165]
DAHLSJÖ nahe herangekommen.
Elis, die Mutter will dir ein Wort sagen.
Elis wirft den Kopf zurück, steigt den Abhang hinauf zu der Großmutter.
Dahlsjö geht zu Anna. Diese wandelt langsam vor ihm her, nach vorne, dann von rechts gegen links vorne, so daß er ihr Gesicht nicht sehen kann.
DAHLSJÖ.
Mein Kind, ich tät dir gern was sagen, Anna.
Weil heut doch ein besondrer Abend ist.
Heut geht dir recht die Mutter ab, nicht wahr?
ANNA schweigt.
DAHLSJÖ.
Gibst du nicht Antwort, ist dir über Reden?
Ist mir doch selber Weinen nah, so viel
Geht durcheinander in so einer Stunde.
ANNA.
Ich kann nicht reden, Vater, und nicht weinen.
DAHLSJÖ.
Als ich die Mutter freite, wars mir nicht
So feierlich als nun, da's wiederkommt.
Nicht wahr, obs auch der Weg zur Freude ist,
Es macht doch einen dumpfen Schmerz, nicht wahr?
ANNA.
Doch stürb man dran, nicht wahr, so ging ich nicht
Hier neben dir...
DAHLSJÖ.
Wie meinst du denn das, Anna?
ANNA.
Laß, Vater, laß. Wir gehen nun ins Haus.
Sie steigen an der linken Seite zum Haus hinauf. Elis, die Großmutter an der Hand führend, kommt an der rechten Seite herabgestiegen.
GROSSMUTTER.
So freuts Euch, daß Ihr meinem Mann sein Kleid
Anlegen werdet für den Ehrentag?
Einhergehn unter allen Anverwandten,
Als wär der Angesehene, der Gute
Ein Auferstandener in ihrer Mitte.[166]
ELIS läßt ihre Hand los, bleibt vor ihr stehen.
Ich will Euch Antwort geben, Frau, merkt auf.
Ihr habt ein altes Herz, das hat viel Leid
Erfahren und gelernt, viel zu begreifen.
Und da Ihr blind seid, müßt Ihr sehn ins Innre!
Merkt auf: die Hochzeit, die Ihr da ausrichtet
Für Euer Kind und mich, den Elis Fröbom,
Die wird ein Märlein, das nach hundert Jahren
Die Mägde sich erzählen, wenn es dunkelt.
Die Braut tritt hin, der Bräutigam ist nicht da:
Sie trägt den Kranz und klopft an seine Kammer,
Er ist nicht da, er gibt ihr keine Antwort.
Da reißt sie sich den Kranz aus ihrem Haar,
Ihr Aug verdreht sich und sieht durch den Grund:
Da sieht sie, wie ihr Bräutigam Hochzeit hält:
Da sieht sie stehen eine andre Braut:
Der ihrer Hand entblüht ein solcher Glanz,
Davon er blaß und rot wird wechselweis;
Wie die den Mund auftut, da schwillt sein Blut
Und tausend Sterne tanzen um ihn her;
Wie die den Schleier aufhebt, schwinden ihm
Die Sinne, fremd wird ihm sein eigner Leib
Und strahlend wie der neugeborne Tag!
Das sieht die droben und dann fällt sie hin.
Schweigt, alte Frau: eh wart Ihr blind und redend,
Nun macht ich Euch sehend, nun seid stumm!
Zwingt Euer Herz, Zeit kommt, dann tut den Mund auf!
Indem er die Großmutter, die schwankt, als wenn sie umsinken wollte, ergreift, sie gegen das Haus zu führen, fällt der Vorhang.
[167]
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