Hymne an den Genius

der Jugend

[172] Heil! das schlummernde Gefieder

Ist zu neuem Flug erwacht,

Triumphierend fühl ich wieder

Lieb und stolze Geistesmacht;

Siehe! deiner Himmelsflamme,

Deiner Freud und Stärke voll,

Herrscher in der Götter Stamme!

Sei der kühnen Liebe Zoll.


Ha! der brüderlichen Milde,

So von deiner Stirne spricht!

Solch harmonisches Gebilde

Weidete kein Auge nicht;

Wie um ihn die Aare schweben,

Wie die Lock im Fluge weht! –

Wo im ungemeßnen Leben

Lebt so süße Majestät?


Lächelnd sah der Holde nieder

Auf die winterliche Flur,

Und sie lebt und liebet wieder,

Die entschlummerte Natur;

Um die Hügel und die Tale

Jauchz ich nun im Vollgenuß,

Über deinem Freudenmahle,

Königlicher Genius!
[173]

Ha! wie diese Götteraue

Wieder lächelt und gedeiht!

Alles, was ich fühl und schaue,

Eine Lieb und Seligkeit!

Felsen hat der Falk erschwungen,

Sich, wie dieses Herz, zu freun,

Und, von gleicher Kraft durchdrungen,

Strebt und rauscht der Eichenhain.


Unter liebendem Gekose

Schmieget Well an Welle sich;

Liebend fühlt die süße Rose,

Fühlt die heilge Myrte dich;

Tausend frohe Leben winden

Schüchtern sich um Tellus Brust,

Und dem blauen Aether künden

Tausend Jubel deine Lust.


Doch des Herzens schöne Flamme,

Die mir deine Huld verlieh,

Herrscher in der Götter Stamme!

Süßer, stolzer fühl ich sie;

Deine Frühlinge verblühten,

Manch Geliebtes welkte dir; –

Wie vor Jahren sie erglühten,

Glühen Herz und Stirne mir.


O! du lohnst die stille Bitte

Noch mit innigem Genuß,

Leitest noch des Pilgers Tritte

Zu der Freude Götterkuß;

Mit der Balsamtropfe kühlen

Hoffnungen die Wunde doch,[174]

Süße Täuschungen umspielen

Doch die dürren Pfade noch.


Jedem Adel hingegeben,

Jeder lesbischen Gestalt,

Huldiget das trunkne Leben

Noch der Schönheit Allgewalt;

Törig hab ich oft gerungen,

Dennoch herrscht zu höchster Lust,

Herrscht zu süßen Peinigungen

Liebe noch, in dieser Brust.


An der alten Taten Heere

Weidet noch das Auge sich.

Ha! der großen Väter Ehre

Spornet noch zum Ziele mich;

Rastlos, bis in Plutons Hallen

Meiner Sorgen schönste ruht,

Die erkorne Bahn zu wallen,

Fühl ich Stärke noch und Mut.


Wo die Nektarkelche glühen,

Seiner Siege Zeus genießt,

Und sein Aar, von Melodien

Süß berauscht, das Auge schließt,

Wo, mit heilgem Laub umwunden,

Der Heroën Schar sich freut,

Fühlt noch oft, von dir entbunden,

Meine Seele Göttlichkeit.


Preis, o Schönster der Dämonen!

Preis dir, Herrscher der Natur![175]

Auch der Götter Regionen

Blühn durch deine Milde nur;

Trübte sich in heilgem Zorne

Je dein strahlend Angesicht –

Ha! sie tränken aus dem Borne

Ewger Lust und Schöne nicht!


Eos, glühend vom Genusse,

Durch die Liebe schön und groß,

Wände sich von Tithons Kusse

Alternd und verkümmert los;

Der in königlicher Eile

Lächelnd durch den Aether wallt,

Phoebus trauert' um die Pfeile,

Um die Kühnheit und Gestalt.


Träg zu lieben, und zu hassen,

Ganz, von ihrer Siegeslust,

Ihrer wilden Kraft verlassen,

Schlummert' Ares stolze Brust;

Ha! den Todesbecher tränke

Selbst des Donnergottes Macht! –

Erd und Firmament versänke

Wimmernd in des Chaos Nacht.


Doch in namenlosen Wonnen

Feiern ewig Welten dich,

In der Jugend Strahlen sonnen

Ewig alle Geister sich; –

Mag des Herzens Glut erkalten,

Mag im langen Kampfe mir

Jede süße Kraft veralten,

Neuverschönt erwacht sie dir!

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 1, Stuttgart 1946, S. 172-176.
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