An eine Verlobte

[32] Des Wiedersehens Tränen, des Wiedersehns

Umfangen, und dein Auge bei seinem Gruß, –

Weissagend möcht ich dies und all der

Zaubrischen Liebe Geschick dir singen.


Zwar jetzt auch, junger Genius! bist du schön,

Auch einsam, und es freuet sich in sich selbst,

Es blüht von eignem Geist und liebem

Herzensgesange die Musentochter.


Doch anders ists in seliger Gegenwart,

Wenn an des Neugefundnen Blicke dein Geist sich kennt,

Wenn friedlich du vor seinem Anschaun

Wieder in goldener Wolke wandelst.


Indessen denk, ihm leuchte das Sonnenlicht,

Ihn tröst und mahne, wenn er im Felde schläft,

Der Liebe Stern, und heitre Tage

Spare zum Ende das Herz sich immer.


Und wenn er da ist, und die geflügelten,

Die Liebesstunden schneller und schneller sind,

Dann sich dein Brauttag neigt und trunkner

Schon die beglückenden Sterne leuchten –


Nein, ihr Geliebten! nein, ich beneid euch nicht!

Unschädlich, wie vom Lichte die Blume lebt,

So leben, gern vom schönen Bilde

Träumend, und selig und arm, die Dichter.

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 32-33.
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