Der Einzige

[168] [Dritte Fassung]


Was ist es, das

An die alten seligen Küsten

Mich fesselt, daß ich mehr noch

Sie liebe, als mein Vaterland?

Denn wie in himmlischer

Gefangenschaft gebückt, dem Tag nach sprechend

Dort bin ich, wo, wie Steine sagen, Apollo ging,

In Königsgestalt,

Und zu unschuldigen Jünglingen sich

Herabließ Zevs, und Söhn in heiliger Art

Und Töchter zeugte

Stumm weilend unter den Menschen.


Der hohen Gedanken aber

Sind dennoch viele

Gekommen aus des Vaters Haupt

Und große Seelen

Von ihm zu Menschen gekommen.

Und gehöret hab ich

Von Elis und Olympia, bin

Gestanden immerdar, an Quellen, auf dem Parnaß

Und über Bergen des Isthmus

Und drüben auch

Bei Smyrna und hinab

Bei Ephesos bin ich gegangen.
[169]

Viel hab ich Schönes gesehn

Und gesungen Gottes Bild

Hab ich, das lebet unter

Den Menschen. Denn sehr, dem Raum gleich, ist

Das Himmlische reichlich in

Der Jugend zählbar, aber dennoch,

Ihr alten Götter und all

Ihr tapfern Söhne der Götter,

Noch einen such ich, den

Ich liebe unter euch,

Wo ihr den letzten eures Geschlechts,

Des Hauses Kleinod mir

Dem fremden Gaste bewahret.


Mein Meister und Herr!

O du, mein Lehrer!

Was bist du ferne

Geblieben? und da

Ich sahe, mitten, unter den Geistern, den Alten

Die Helden und

Die Götter, warum bliebest

Du aus? Und jetzt ist voll

Von Trauern meine Seele

Als eifertet, ihr Himmlischen, selbst,

Daß, dien ich einem, mir

Das andere fehlet.


Ich weiß es aber, eigene Schuld

Ists, denn zu sehr,

O Christus! häng ich an dir,

Wiewohl Herakles Bruder

Und kühn bekenn ich, du[170]

Bist Bruder auch des Eviers, der einsichtlich, vor Alters

Die verdrossene Irre gerichtet,

Der Erde Gott, und beschieden

Die Seele dem Tier, das lebend

Vom eigenen Hunger schweift' und der Erde nach ging,

Aber rechte Wege gebot er mit Einem Mal und Orte,

Die Sachen auch bestellt er von jedem.


Es hindert aber eine Scham

Mich, dir zu vergleichen

Die weltlichen Männer. Und freilich weiß

Ich, der dich zeugte, dein Vater ist

Derselbe. Nämlich Christus ist ja auch allein

Gestanden unter sichtbarem Himmel und Gestirn, sichtbar

Freiwaltendem über das Eingesetzte, mit Erlaubnis von Gott,

Und die Sünden der Welt, die Unverständlichkeit

Der Kenntnisse nämlich, wenn Beständiges das Geschäftige überwächst

Der Menschen, und der Mut des Gestirns war ob ihm. Nämlich immer jauchzet die Welt

Hinweg von dieser Erde, daß sie die

Entblößet; wo das Menschliche sie nicht hält. Es bleibet aber eine Spur

Doch eines Wortes; die ein Mann erhaschet. Der Ort war aber


Die Wüste. So sind jene sich gleich. Voll Freuden, reichlich. Herrlich grünet

Ein Kleeblatt. Ungestalt wär, um des Geistes willen, dieses, dürfte von solchen

Nicht sagen, gelehrt im Wissen einer schlechten Gebets, daß sie

Wie Feldherrn mir, Heroen sind. Des dürfen die Sterblichen wegen dem, weil

Ohne Halt verstandlos Gott ist. Aber wie auf Wagen

Demütige mit Gewalt[171]

Des Tages oder

Mit Stimmen erscheinet Gott als

Natur von außen. Mittelbar

In heiligen Schriften. Himmlische sind

Und Menschen auf Erden beieinander die ganze Zeit. Ein großer Mann und ähnlich eine große Seele

Wenn gleich im Himmel


Begehrt zu einem auf Erden. Immerdar

Bleibt dies, daß immergekettet alltag ganz ist

Die Welt. Oft aber scheint

Ein Großer nicht zusammenzutaugen

Zu Großem. Alle Tage stehn die aber, als an einem Abgrund einer

Neben dem andern. Jene drei sind aber

Das, daß sie unter der Sonne

Wie Jäger der Jagd sind oder

Ein Ackersmann, der atmend von der Arbeit

Sein Haupt entblößet, oder Bettler. Schön

Und lieblich ist es zu vergleichen. Wohl tut

Die Erde. Zu kühlen. Immer aber

Quelle:
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. 6 Bände, Band 2, Stuttgart 1953, S. 168-172.
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