Der Winter

Die Erde traurt im weißen Todtenkleide,

Und übergiebt sich träger Ruh.

Kein Westwind haucht dem Wandrer Scherz und Freude

Mit frischen Veilchendüften zu.


Der Ströme und der Bäche Urnen schließet

Des wilden Winters kalte Hand;

Und Boreas durchwühlt die Luft, und gießet

Ein Meer von Flocken auf das Land.


Nun sinken auf die Wälder Silberhüllen,

Und auf das fahle Hüttendach

Des Landmanns. Hohe Schneegebürge schwillen

Rings um den kleinen Wiesenbach.


Er murmelt keine Wonne durch die Fluren,

Wie er im jungen Frühling that.

An seinem Ufer schlummern welke Spuren

Der Blume, die der Frost zertrat.


Der Landschaft vormahls bunte Scenen liegen

Entstellt. Ein finstrer Schleyr umzieht

Des Tages Antlitz. Neue Flocken fliegen

Im Luftraum, wo kein Phoebus glüht.
[1]

Sey mir, du Flur, du weißgeschleyrte Erde

Gegrüßet! Deine Majestät

Bezaubert mich, wiewohl jetzt keine Herde

Auf deinen öden Triften geht,


Und keine Harmonie die Schattengänge

Des Waldes füllt. Ich liebe dich

Mehr als den Flitterprunk, und das Gedränge

Der Stadt, von der die Ruhe wich.


Die Schönen wandeln hier im Hermeline

Den Bällen zu, und Chloe fängt

Mit ihrem Busen, ihrer Zaubermiene

Den Stutzer, der ihr Weyhrauch schenkt.


Die Siegerin! Die Männerblicke hangen

An ihrem Haar, an ihrer Brust,

Die immer wallt, an ihren Rosenwangen,

Und sie ist ihres Siegs bewußt.


Nun rollen, gleich des Windes Flügeln, Schlitten

Durch des gedrängten Pöbels Schwall;

Und Stentor trabt mit abgemeßnen Schritten,

Sobald der Abend winkt, dem Ball.


Entgegen, wo sein Lockenbau und Weste

Der Schönen Augen auf sich reißt.

Sein Federhut verräth, er sey der größte

Erfindungsvollste, feinste Geist.


Hier dreht man sich im Tanze,

Der labyrinthisch sich verstrickt,

Und von der jungen Schönen Myrtenkranze

Wird oft ein Blätchen abgepflückt.
[2]

Quelle:
Ludwig Christoph Heinrich Hölty: Sämtliche Werke. Band 1, Weimar 1914, S. 1-3.
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