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[191] Wir haben deinen tiefen Gram vernommen
Und sind in deinen Garten still gekommen;
Wir stimmen unsre Saiten mit Bedacht,
Erwartend lauscht die laue Maiennacht.
Zu deines Ungetreuen Reu und Leide,
Zu deiner Nachbarinnen scheelem Neide,[191]
Zu deiner Mutter Stolz und stiller Lust!
So wollen singen wir aus voller Brust.
Zünd an dein Licht, daß unser Lied dich ehre
Und vor dem Sternenzelt dein Leid verkläre!
Noch gibt's manch Auge, das in Treuen blitzt,
Manch Herz, das noch an rechter Stelle sitzt!
Wohl selig sind, die in der Liebe leiden,
Und ihrer Augen teure Perlen kleiden
Die weißen Wangen mehr als Morgentau
Die Lilienkelche auf der Frühlingsau.
Laß deine Augen ruhn vom bittern Grämen,
Wir wollen jeder eine Rose nehmen
Aus deinem Garten, daß die Welt erfährt:
Noch seien deine Blumen hoch begehrt!