Alles oder nichts

[100] Ja, du bist frei, mein Volk, von Eisenketten,

Frei von der Hörigkeiten alter Schande;

Kein Hochgeborner schmiedet dir die Bande,

Und wie du liegen willst, darfst du dir betten!


Doch nicht kann dies dich vor der Herrschaft retten,

Die ohne Grenzen schleicht von Land zu Lande;

Ein grimmer Wolf im weichen Lammsgewande,

Schafft sie zum Lehn sich all' bewohnte Stätten.


Wenn du nicht völlig magst den Geist entbinden

Von ihres Dunstes tödlicher Umhüllung,

Nicht tapfer um der Seele Freiheit ringen:


So wird der Feind stets offne Tore finden,

All deinem Werke rauben die Erfüllung

Und jede Knechtschaft endlich wiederbringen!


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 100.
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