Zeitlandschaft

[408] Schimmernd liegt die Bahn im tiefen Tale,

Über Tal und Schienen geht die Brücke

Hoch hinweg, ein Turm ist jeder Pfeiler,[408]

Kunstgekrönet in die Lüfte ragend,

Zu den Wolken weite Bogen tragend.


Wie ein Römerwerk, doch neu und glänzend,

Bindet wald'ge Berge sie zusammen;

Auf der Brücke fahren keine Wagen,

Denn kristallnes Wasser geht dort oben,

Dessen fromme Flut die Schiffer loben.


Unten auf des Tales Eisensohle

Schnurrt hindurch der Wagen lange Reihe,

Hundert unruhvolle Herzen tragend,

Straff von Nord nach Süd mit Vogels Schnelle.

Drüber streicht das Fischlein durch die Welle.


Langsam, wie ein Schwan, mit weißem Segel,

Herrlich auf des Himmels blauem Grunde

Oben fährt ein Schiff von Ost nach Westen; –

Ruhvoll lehnt der Schiffer an dem Steuer:

Ist das nicht ein schönes Abenteuer?


Quelle:
Gottfried Keller: Sämtliche Werke in acht Bänden, Band 1, Berlin 1958–1961, S. 408-409.
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