Der Sieg des Geistes

[228] Hast Du den Schmerz schon einst empfunden,

Den Seelenschmerz, der tief im Innern nagt,

Und hast in diesen trüben Stunden

Du nie und nimmermehr trostlos verzagt?


Auch bei des Körpers großen Leiden,

Wenn Grauen schon Dein Aug' bedeckt,

Du fühlst das Leben von Dir scheiden

Und bist auch dann nicht aufgeschreckt?


Wohl Dir, Du bist nicht überwunden,

Es endet alles Erdenleid,

Glück auf! Es nahen bessere Stunden,

Und Du erhältst für alles einst Bescheid.


Bescheid vom ewigen Richter droben,

Wofür Du Edler denn gelitten hast. –

Es höret auf des Herzens Toben,

Und weg ist sie, die schwere Sorgenlast.


Der Geist ist Sieger, er sieht heiter,

Mit froh und unumwölkten Blick

Auf die Vergangenheit zurück,

Und schreitet ewig immer weiter!

Quelle:
Friederike Kempner: Gedichte. Berlin 81903, S. CCXXVIII228-CCXXIX229.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedichte (Ausgabe 1903)
Kennst Du das Land, wo die Lianen blühn?: Gedichte des schlesischen Schwans
Dichterleben, Himmelsgabe: Sämtliche Gedichte
Friederike Kempner: Das Leben ist ein Gedicht
Ausgewählte Gedichte : Aus d. Liederschatz d.
Gedichte: Ausgabe 1903