Sommerabend auf Kloster Lorch, der Grabstätte des Hohenstaufischen Herzog- und Kaiserhauses

[142] 1815.


Nach mildem Abendregen

Die Lüfte kühlend wehn;

Des Landes reicher Segen

Dampft auf zu blauen Höhn.

Duft kommt herangezogen

Von Blumen, Kräutern grün,

Die unter goldnen Wogen

Des Ährenfelds erblühn.


Es rauschen durch die Stille

Die Ähren, voll und schwer,

Der Wald in üpp'ger Fülle

Steht schwarz, ein nächtlich Meer.

Und über ihm sich breitet

Ein stolzer Felsenkranz,

Das ist die Alp, gekleidet

In blauen Himmelsglanz.[142]


Und all die Berg' und Auen,

Bebaut mit fleiß'ger Hand,

Dies Land, so schön zu schauen,

Ist deutsches Vaterland!

Geküßt von Himmelsbläue,

Steht es, des Himmels Braut.

Schützt, Brüder sie mit Treue!

Gott hat sie euch vertraut!


Schlaft süß, die ihr den Degen

Für diese Braut geführt,

Die auf des Sieges Wegen

Jüngst sel'ger Tod berührt!

Auch hier aus alten Zeiten

Schläft manches Heldenbild,

Das einst in blut'gen Streiten

War deutschem Land ein Schild.


Noch ragt der Fels vor allen,

Drauf einst der Helden Haus;

Ist auch ihr Leib zerfallen,

Die Treu' hält ewig aus.

Drum stieg in Kampfes Tagen

Hier aus der Grüfte Nacht

Manch alter Held, zu tragen

Das Siegspanier der Schlacht.


Mit solchem treu verbunden,

Da kämpften Männer gut,

Da sprang aus sel'gen Wunden

Ein Heilquell, deutsches Blut.

Laßt deutschen Mut nicht sinken,

Solang noch Alpen stehn,

Euch Heldengeister winken

Von ihren blauen Höhn!


Hängt fest wie Waldes-Eichen

Am heil'gen deutschen Land!

Wollt ritterlich euch reichen

Zu Schutz und Trutz die Hand!

Die Braut in Himmelsschöne,

Dies Land so segenreich,

Will starke, treue Söhne,

Den ew'gen Alpen gleich.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 142-143.
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