Totenopfer für Karl Gangloff1

[143] Der Menschheit Seufzer schweigen,

Von Flöten und süßen Geigen

Ertönt ein muntrer Chor,

In freien Laubgewinden

Sich wieder Sänger finden,

Die singen wie zuvor.


Duftreiche Lilien blühen,

Melodisch Flüsse ziehen

Zum freigewordnen Rhein.

Mit himmelblauen Wogen

Kommt jauchzend er gezogen,

Von Blut und Tränen rein.


Die Männer, die aus Schlachten

Uns Ros' und Lilie brachten,

Durch Wunden rot und bleich,

Die laß uns würdig preisen,

Ich mit Gesangesweisen,

Du, Freund, mit Bildern reich!


O Traum! – du junges Leben!

Von Bildern hell umgeben,

Die deine Kunst erfand,

Liegst du im stillen Zimmer

Erbleicht im Sarge, – nimmer

Rührt sich die teure Hand!


Wie könnt' so ich mich trügen!

Bilder und Griffel liegen

Verlassen ja herum!

Wie seid ihr bleich, ihr Wangen!

Ihr Lichter, wie vergangen!

Du Mund, wie kalt und stumm!


Im Tod ist dir erklungen

Das Lied der Nibelungen,

Schwertschlag der Hermannsschlacht;

Drauf hat dir wonnetrunken

Der sel'ge Freund gewunken,2

Und sieh! – es war vollbracht.[144]


Die du hier oft in Bildern

Versuchtest treu zu schildern,

Hellen'scher Männer Chor,

Helden aus Hermannsstreiten,

Jungfraun aus deutschen Zeiten,

Die tragen dich empor.


In linden Armen halten

Dich göttliche Gestalten,

Die ahnend du geschaut;

Wohl sind es deine Führer,

Mengs, Raffael und Dürer,

Dir ewig nun vertraut.


Doch ich muß einsam wallen!

Ihr andern laßt erschallen

Jubel und Siegsgesang! –

O Geist in sel'ger Wonne!

Send' mir aus deiner Sonne

Nur einen einz'gen Klang!

1

Karl Gangloff starb in seinem vierundzwanzigsten Jahre zu Merklingen. Ohne je Unterricht erhalten zu haben, schuf er in Umrissen die herrlichsten Kompositionen. Früher Tod führte ihn zu herrlichern Gestalten des Lichts.

2

August Mayer, Tonkünstler und Dichter. Auch ihn verloren die Freunde früh aus ihrem Kreise.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 143-145.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon