Sankt Alban

[165] Es steht dem Land zum Gruße

Ein Kreuz auf Bergeshöh',

Leis wallt an seinem Fuße

Ein himmelblauer See.

Viel duft'ge Kräuter blühen

An dieses Wassers Rand,

Viel fromme Pilger ziehen

Dahin aus fernem Land.[165]


Wohl vor zwölfhundert Jahren,

Da lag dies Land gar wild,

Der Wald mit Tierescharen,

Der See mit Gift erfüllt:

Denn an des Kreuzes Stelle

Ein schlimmer Felsen war,

Der stellt', zur Lust der Hölle,

Des Satans Bildnis dar.


Kalt, wie des Mondes Strahlen,

Blickt' es ins Land hinein,

Zum Fluch den Höh'n und Talen;

Statt Blumen wuchsen Stein'.

Statt Menschen wurden Drachen,

Statt Fischlein Schlangen im See;

Die Hölle sah's mit Lachen

Und pries das Bild der Höh'.


Da kam vom fernen Strande

Sankt Alban, stark und kühn,

Zu diesem wilden Lande,

Zu diesem Felsen hin.

Ihn faßt' des Landes Jammer,

Er sprang zum Felsenwall,

Zerschlug mit starkem Hammer

Das Bild, – es fiel mit Schall.


Dankvoll, daß ihm's gelungen,

Kniet' er dort auf den Höh'n,

Der Fels, der war zersprungen,

Ein Kreuz daraus blieb stehn.

Und wie dasselbe blickte

Weit in das Land hinein,

Man Ros' und Lilie pflückte

In lindem Maienschein.


Da lagen in den Klüften

Erdrückt die Drachen all;

Da sang in Blumendüften

So manche Nachtigall,

Viel Fischlein, silberhelle,

Waren im See zu schaun;

Und an Sankt Albans Stelle

Da knieten zarte Fraun.

Quelle:
Justinus Kerner: Werke. 6 Teile in 2 Bänden, Band 1, Berlin 1914, S. 165-166.
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